Tanzschulen melden einen starken Zulauf von jungen Leute, weiten ihr Angebot aus und freuen sich über steigende Umsätze. Ehemaliger „Let’s dance“-Star leitet frühere Tanzschule Gutmann.
Hamburg. Die Stars machen es vor. Bei jeder Show ziehen Sängerinnen und Sänger eine durchgeplante Choreografie durch. Spätestens seit dem Phänomenen Boybands schwingt auch das vermeintlich starke Geschlecht wieder Arme, Beine und Körper im Rhythmus der Musik. „Tanzen ist nichts Weibisches und Peinliches mehr“, sagt Tanzlehrer Rainer Abbé und hat eine veränderte Einstellung in der Bevölkerung festgestellt. „Insbesondere bei den Jugendlichen steht Tanzen in jeglicher Form wieder hoch im Kurs“, sagt der Geschäftsführer der Tanzschule Die Schrittmacher in Bahrenfeld.
Abbés Einschätzung wird vom Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV) bestätigt. „Prozentual tanzen heute mehr Jugendliche als früher“, sagt ADTV-Pressesprecher Christian Götsch: „Das Thema ist wieder populär.“ Dabei helfen auch Hip-Hop-Darbietungen und Videoclipdancing, denn die Tanzstile und Shows der Stars werden gerade von Jugendlichen gern in eigene Bewegungen umgesetzt.
Beim Presseball tanzen die „Schrittmacher“-Debüttanten
Abbé bietet moderne Kurse wie Hip-Hop und Videoclipdancing sowie fitnessorientierte Stunden wie Zumba und Body Complete an. Den stärksten Zulauf von den Jüngeren gebe es aber bei den Gesellschaftstänzen. „Jugendliche legen vermehrt Wert auf traditionelle Werte und schickes Anziehen. Sie wollen einen Ball erleben und lernen, sich korrekt beim Tanzen zu verhalten. Das gehört zur gesellschaftlichen Kultur dazu“, sagt der 38-Jährige. Jetzt startet die Ballsaison, beim Presseball an diesem Sonnabend im Hotel Atlantic legen Debütanten aus seiner Schule den Eröffnungstanz aufs Parkett. Als er 2010 Die Schrittmacher mit seiner Frau Britta in einem ehemaligen Gaswerk gründete, haben sie mit 100 Schülern angefangen – alles Erwachsene. Heute haben sie 1600 Kunden, rund drei Fünftel sind minderjährig. Das Angebot für sie weiteten die Abbés aus.
Bezahlt wird übrigens nicht für jeden einzelnen Kurs, an den die Schüler zu festen Zeiten gebunden sind. Die Mitglieder zahlen einen Monatsbeitrag und besuchen so viele Kurse, wie sie wollen. Für Erwachsene liegt dieser Beitrag im Classic-Club bei 57 Euro, wenn sie sich für drei Monate binden. Für Jugendliche kostet es 52 Euro. Wer sich länger verpflichtet, spart Geld. Als gesellschaftliches Highlight veranstalten die Abbés bis zu zwölf Bälle im Jahr für Jugendliche – dreimal so viele wie am Anfang. 400 junge Leute schreiten dann übers Parkett auf dem Süllberg.
Die Abbés sind verglichen mit der Tanzschule Walter Bartel sehr jung am Markt. Das seit 1923 bestehende Unternehmen von der Uhlenhorst wirbt damit, die älteste Tanzschule Hamburgs zu sein – und zieht mit dem Slogan zunehmend junge Menschen an. „Wir bieten mindestens ein Drittel mehr Kurse für Jugendliche an als vor zwei bis drei Jahren“, sagt Tanzlehrer Jörn Warns. „Und die Kurse sind voller.“ Acht 90-minütige Einheiten kosten für Anfänger und Fortgeschrittene 110 Euro. Im Medaillenprogramm können die Jugendlichen neuerdings auch den Platinstatus erwerben. Insgesamt blieben sie deutlich länger als früher der Tanzschule treu. Warns ist seit 19 Jahren als Tanzlehrer angestellt, die familiäre Atmosphäre mit Polsterstühlen und Sofas wie im Wohnzimmer werde gut angenommen. „Wir wollen den alten Charme erhalten“, sagt der 51-Jährige: „Das ist bei den Jugendlichen wieder chic geworden.“
Wissenschafter: Jugendliche suchen Gegenpol zur Alltagshektik
Dass die junge Generation Wert auf Traditionelles legt, bestätigt Professor Ulrich Reinhardt, Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg: „Die Jugendlichen entdecken vieles wieder, was früher aktuell war.“ Tanzen gelte als konservativ, altmodisch und spießig. „Genau das fasziniert sie, suchen sie doch als Gegenpol zu einer zunehmend hektischen und stressigen Lebensweise Sicherheit, Geborgenheit und eine Reduzierung auf eine Sache.“ Zudem könne in den Kursen mit Gleichaltrigen etwas unternommen werden. Nicht zuletzt seien die Tanzshows ein wichtiger Grund. Attraktive Profis bewegen sich elegant übers Parkett und führen Prominente, denen sie in kurzer Zeit die Schritte beibringen. „Diesen gilt es nachzueifern“, sagt der Trendforscher: „Wenn dann noch die ehemalige Frau van der Vaart, heutige Sylvie Meis, tanzt, dann sehen sie ihre Idole.“
Die frühere Frau des HSV-Fußballers war in der RTL-Show „Let’s dance“ zunächst Kandidatin, seit einigen Jahren moderiert sie den Quotenhit. Vor einem Millionenpublikum schwoften Musicaldarsteller Alexander Klaws, die 26-fache deutsche Rhythmische-Sportgymnastik-Meisterin Magdalena Brzeska und Schauspieler Wayne Carpendale als Sieger mit großem Erfolg übers Parkett, Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis, Sänger Guildo Horn, Boxerin Regina Halmich und Schlagerstar Patrick Lindner als Geschlagene im Feld mit weniger.
Welche Schritte sie zu den passenden Rhythmen lernen mussten, wurde in den Grundzügen übrigens in Harburg festgelegt. Gerd Hädrich entwickelte in seiner gleichnamigen Tanzschule das Welttanzprogramm. Es umfasst seit Anfang der 1960er-Jahre insgesamt zwölf Tänze, bei denen Langsamer und Wiener Walzer, Tango, Foxtrott (Quickstep), Blues (Slowfoxtrott), Rumba, Cha-Cha-Cha, Samba, Jive sowie Paso Doble zur Pflicht gehören. Je nach Land und Schule kommen noch zwei Tänze hinzu, sagt Hädrichs Schwiegersohn Bernd Hörmann, der das Unternehmen heute mit seiner Frau Evelyn Hädrich-Hörmann leitet. Zur Auswahl stehen Discofox, Boogie, West Coast Swing, Rock ’n’ Roll und Tango Argentino.
„Die Gesellschaftstänze sind für die Generation 14 plus die Einstiegsebene“, sagt Hörmann. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre sei der Anteil der Jugendlichen unter seinen Schülern um gut 30 Prozent gestiegen, so der 59-Jährige. Ein wichtiger Grund: „Die Tanzschulen haben sich geöffnet. Neben den Paartanz gibt es auch viele Solotanzangebote wie Hip-Hop, Breakdance und Pop – und das kommt bei den Jugendlichen gut an.“ 29 Euro zahlen sie und Auszubildende, wenn sie sich für sechs Monate verpflichten. Ansonsten werden wie für Erwachsene 43 Euro fällig.
Mit der wirtschaftlichen Situation ist der Tanzlehrer und geschäftsführende Gesellschafter, der fünf Festangestellte und sieben Teilzeitkräfte beschäftigt, zufrieden. „Es geht unserer Tanzschule gut. Unser Umsatz steigert sich jährlich um zwei bis drei Prozent.“ Zwar wäre mehr durchaus drin, aber er wolle lieber nette Menschen zu fairen Preisen bei sich haben. Die Haspa als seine Hausbank habe dennoch in der letzten Bilanzanalyse das „allerbeste Rating“ verteilt, das in der Betriebsgröße möglich sei, so Hörmann.
Generell sei die finanzielle Lage der Hamburger Schulen weitgehend gut, sagt ADTV-Pressesprecher Götsch: „In anderen Gegenden haben sie zu kämpfen und müssen zum Teil schließen.“ In der Metropolregion gibt es sogar Neueröffnungen. In den vergangenen drei bis vier Jahren seien ein paar Tanzschulen hinzugekommen, sagt Götsch. Bei der Handelskammer sind 86 Firmen aus der Branche gemeldet. Im ADTV organisiert seien rund 25 Schulen, bundesweit sind es etwa 800. Hinzu kommen die freien Studios. Experten schätzen die Zahl in Deutschland auf rund 3000. Zwischen zwei und 2,5 Millionen Deutsche durchlaufen jedes Jahr die Schulen. Tendenz steigend. Trendforscher Reinhardt: „Der erhöhte Sport- und Bewegungsdrang, die Lust an der Gemeinschaft und das gute Gefühl hinterher sind dafür verantwortlich, dass Tanzen eine Renaissance erlebt.“
Zu neuer Blüte will ein prominentes Gesicht die frühere Tanzschule Gutmann führen. Die ehemalige „Let’s dance“-Akteurin Isabel Edvardsson leitet nun in Hammerbrook die Geschicke, macht als Unternehmerin ihre ersten Schritte – und ist auf den Spuren von Rainer Abbé. Bis vor rund zehn Jahren reiste er als Turniertänzer um den Globus, im Jahr 2000 gewann er die Weltrangliste, kurzzeitig war er Profi. Anschließend arbeitete der gelernte Einzelhandelskaufmann in einer Werbeagentur und war Anzeigenleiter bei einem großen Verlag, um Abstand von seinem Sport zu bekommen. Als er vor fünf Jahren Die Schrittmacher gründete, investierte er viel Geld in das alte Gaswerk mit Backstein-Architektur. In der alten Werkshalle stellten Arbeiter in den 40er-Jahren Gasuhren her, zuletzt diente der Ort als Verkaufsfläche im Einzelhandel. Abbé ließ die 700 Quadratmeter umbauen. Getanzt wird heute in einem großen Saal direkt unter dem Dach und ein Stockwerk darunter in einem kleinen Saal. Neben dem Saal gibt es eine Bar in modernem Stil.
Für Abbé zahlte sich das finanzielle Risiko aus. Nach eineinhalb Jahren sei die Firma profitabel gewesen. „Wir haben den Umsatz kontinuierlich gesteigert, 2014 um mehr als 50 Prozent.“ Die Erlöse lägen im mittleren sechsstelligen Bereich, sagt der Chef von rund 30 Angestellten, unter ihnen sechs Festangestellte. Nur auf den Nachwuchs könne er übrigens nicht setzen. Angebote für Jugendliche füllen in den Nachmittags- und frühen Abendstunden die Säle, Erwachsene ab 19 Uhr. Daher brauche man beide Gruppen. Nach fünf Jahren Selbstständigkeit sind sich die Abbés sicher: „Die Gründung von Die Schrittmacher war die beste Entscheidung unseres Lebens.“