Ohne die Online-Plattform ist inzwischen keine Wahl vorstellbar. Ab sofort können Hamburger ihre Politiker mit Fragen löchern. Wer 180 Euro zahlt, bekommt ein “Premium-Profil“. Bevorzugt das reiche Politiker?
Hamburg. Wahlkampf im Winter ist hart. Begegnungen zwischen Politikern und Wählern sind ungemütlich, im Regen, in der Kälte. Seit diesem Mittwoch steht das Infoportal der Organisation Abgeordnetenwatch zur Bürgerschaftswahl in Hamburg Mitte Februar online. Bürger können den 887 Kandidaten auf der Webseite Fragen stellen – vom Schreibtisch zuhause aus. "Davon profitieren beide Seiten. Die Kandidaten bekommen einen guten Einblick, welche Wünsche und Vorstellungen die Wähler haben", sagte Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD). Sie ist Schirmherrin des Projekts. Und die Wähler könnten sich ein besseres Bild davon machen, wen sie für den Einzug in die Bürgerschaft für geeignet halten und wem, sie ihre Stimme geben, so Veit.
Schon vor der Wahl 2011 konnten die Kandidaten befragt werden. Insgesamt stellten die Wählerinnen und Wähler damals 1448 Fragen, 88,6 Prozent davon wurden beantwortet. Vor allem die Themen Verkehr, Gesellschaft und Bildung hätten die Bürger interessiert, sagt Roman Ebener von Abgeordnetenwatch. Der spätere Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) beantwortete damals 41 von 57 Fragen; CDU-Kandidat Christoph Ahlhaus gab 23 Antworten auf 27 Fragen. Auch in der laufenden Regierungszeit lief ein Info-Portal der Organisation. Insgesamt stellten die Wähler 950 Fragen an die Bürgerschaftsabgeordneten im Rathaus, 737 Antworten kamen zurück. Immerhin ein knapp ein Viertel der Fragen blieb unbeantwortet. Das sei vergleichbar mit der Quote in den meisten anderen Bundesländern, so Ebener.
Informationen über die einzelnen Kandidierenden sind im Hamburger Wahlrecht allerdings besonders wichtig, denn die insgesamt zehn Stimmen können die 1,3 Millionen Wahlberechtigen am 15. Februar auf verschiedene Parteien oder Personen verteilen, unabhängig vom Listenplatz des Politikers.
Jede Email wird überprüft
Auf der Internetseite abgeordnetenwatch.de findet sich seit heute ein Link zur Wahl-Seite. Dort können Bürger ihre Postleitzahl eingeben und so die Kandidaten aus ihrem Wahlkreis finden. Jeder Politiker hat ein eigenes Profil mit Angaben über das Alter, den gelernten Beruf, die derzeitig ausgeübte Tätigkeit, den Wohnort und die Parteizugehörigkeit. Über das Profil können die Nutzer ihre Fragen stellen. Die Mitarbeiter von Abgeordnetenwatch prüfen jede Email an Politiker. Beleidigende und private Anfragen sortieren sie aus.
Zusätzlich hat jeder Kandidierende die Möglichkeit, das eigene Profil zu erweitern: mit Fotos, mit Wahlprogrammen, mit Links zu Webseiten. Allerdings nur gegen Geld. 179 Euro kostet die Option, mehr auf dem Profil zu veröffentlichen als die Standard-Angaben über Beruf oder Wohnort. Auf der Internetseite sind unter der Kategorie der Kandidaten derzeit die Politiker ganz oben gelistet, die sich ein Profil gekauft haben. "Aus optischen Gründen, wegen der Fotos", wie Ebener von Abgeordnetenwatch dem Abendblatt sagte. Sobald erste Fragen der Bürger gestellt würden, ändere sich die Reihenfolge: Je nachdem, wer am meisten Fragen beantwortet, landet ganz oben.
Knapp 60.000 Euro hat die Organisation im Jahr 2013 allein durch die kostenpflichtigen Profilerweiterungen eingenommen – nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit zu Wahlkämpfen in anderen Bundesländern. Bei der Bundestagswahl 2013 nutzten mehr als 600.000 Menschen den Kandidaten-Check. Die Einnahmen der Organisation lagen laut Finanzbericht 2013 deutlich über den Ausgaben (236.000 Euro zu 140.000 Euro). Mit den Einnahmen von den Profilen bezahle Abgeordnetenwatch die Schulden von derzeit noch immer 60.000 Euro aus der Gründerzeit ab, so Ebener. Die Kosten für das aktuelle Bürgerschaftsportal betragen laut Ebener 5000 Euro, wobei noch Personalkosten für die Recherche dazukämen.
Neutralität der Internetseite gefährdet?
"Weil Transparenz Vertrauen schafft" ist der Slogan der Organisation, die 2004 in Hamburg gegründet und für ihre Arbeit für Offenheit in der Politik bereits mit dem "Grimme Online Award" ausgezeichnet wurde. Die Transparenzorganisation hatte in dieser Woche den Deutschen Bundestag auf Herausgabe von Lobbyistennamen vor dem Berliner Verwaltungsgericht verklagt. "Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Anrecht darauf zu erfahren, welche Lobbyisten auf Einladung der Fraktionen im Bundestag ein und aus gehen", erklärte Geschäftsführer Gregor Hackmack.
Doch verzerrt die kostenpflichtige Profilerweiterung im Wahlkampf die Neutralität der Internetseite? Kaufen sich Politiker mit hohem Wahlkampf-Budget einen Informationsvorsprung vor Kandidaten, die noch studieren oder von Sozialhilfe leben? Bis zum Start des Portals haben sich gut 50 Politiker das "Premium-Profil" gekauft, das entspricht nicht einmal sechs Prozent aller Kandidaten. Roman Ebener verteidigt die Entscheidung des Bezahlmodells. Alle wichtigen Informationen zu den einzelnen Kandidierenden stelle Abgeordnetenwatch kostenfrei auf die Seite. "Wer zusätzlich Werbung schalten will, der zahlt." Zudem halte sich die Organisation offen, für Kandidaten mit wenig Geld günstigere Tarife für die Profilerweiterung zu vereinbaren.