Die ehemalige Sterneköchin Cornelia Poletto ist verantwortlich für das Essen der 360 Gäste. Ein Blick hinter die Kulissen der Dinnershow, die nach acht Jahren zurück in Hamburg ist.
Hamburg. Cornelia Poletto wippt im Takt mit. Sie hat die Arme vor ihrer Schürze verschränkt, lächelt versonnen und guckt hinter dem schweren braunen Vorhang in Richtung der Mittelbühne. Nach und nach setzen sich die Gäste, Stühle werden gerückt, im Hintergrund zischt die überdimensionale Spülmaschine. Die brennenden Kerzen vermehren sich in den mit Spiegeln übersäten Wänden des Zeltes. Gleich geht es los, Cornelia Polettos Palazzo.
Nach acht Jahren Abstinenz gastiert die „aufregende Dinner-Show im Spiegelpalast“ wieder in Hamburg. Dieses Mal an den Deichtorhallen, dieses Mal mit Spitzenköchin Cornelia Poletto als Gastgeberin. In der Stadt unübersehbar. Großformatige Plakate zeugen vom neuen Betätigungsfeld der 43-Jährigen. Zu viel für Paola. „Mami, es ist oberpeinlich, dass du überall zu sehen bist“, hat ihre zwölf Jahre alte Tochter mitgeteilt. Poletto lacht, als sie das erzählt. Klotzen gehört zum Job.
Zwei Wochen wurden Küchenchef und Souschefin von Poletto eingearbeitet
„Guten Abend, meine Damen und Herren, wie schön, dass ich Sie heute hier begrüßen darf“, sagt Poletto, nachdem sie den Vorhang beiseitegeschoben hat und auf einer Bühne steht. Die Gäste heute haben Glück, denn Poletto ist nicht jeden Tag da. Zwei- bis viermal pro Woche schaffe sie es. „Momentan mache ich den Spagat zwischen meinem Restaurant, der Kochschule und dem Palazzo“, sagt sie. „Gefährliches Eis, auch noch in der Weihnachtszeit. Das habe ich gedacht, als das Angebot kam, Palazzo zu machen.“ Dann reiste sie nach Wien, wo ein Palazzo gastierte, sah die Künstler und „war restlos begeistert.“ Zudem ist sie Fan von Varietés, mag die Atmosphäre und ist treuer Gast im Hansa Theater. Jetzt „muss ich nur noch ein bisschen kochen“, habe sie sich gedacht. Ein massentaugliches Vier-Gänge-Menü für bis zu 360 Gäste entwarf sie. „Eines, das der 80-jährigen Oma genauso gut schmeckt wie ihrem 13-jährigen Enkel“, sagt Poletto. Das wäre: Lachsrückenfilet auf lauwarmen Grenaille-Kartoffeln mit Orangen-Salsa-verde als Vorspeise, Parmesansüppchen mit confiertem Landei und jungem Blattspinat als Zwischengang. Zum Hauptgang Zweierlei vom Holsteiner Kalb mit geschmorten Barolo-Schalotten, Selleriemousseline und Kräuterseitlingen. Und als Dessert Karamellapfel mit Mandelbiskuit, Apfelsorbet und Karamellsoße. Alles auch abgewandelt für Vegetarier, Veganer, Allergiker und Gäste mit Unverträglichkeiten zu bekommen. Oder glutenfrei. Das ist massenkompatibel? „Ja.“ Poletto kocht zwar sonst klein und fein, doch „so anders ist es nicht“, weiß die Köchin. „Man muss nur groß denken.“ Groß denken auf 80 Quadratmetern. Denn so viel Platz bieten die Container, in denen die Küche hinter dem Zelt untergebracht ist. Hier wird Großes geleistet. Hunderte von Kilogramm Gemüse und Fleisch verarbeitet, gerührt, gekocht, gedämpft, erwärmt.
Die mit dem Sagen am Herd sind Küchenchef Jens Rüger und Marie Hauck, Souschefin. Sie haben bei Cornelia Poletto einen zweiwöchigen Kurs gemacht, sind in ihre Welt eingeführt worden, die Welt der „mediterran geprägten Küche mit einer Vorliebe zu regionalen Produkten“. Gemeinsam haben sie mehrmals in Polettos Restaurant und in der Container-Küche das Menü gekocht. Dazu sind die Köche ein eingespieltes Team mit Palazzo-Erfahrung. „Die beiden sind super und vor allem stressresistent“, so Poletto. „Jeden Abend das gleiche Menü zu schicken, ist durchaus eine Kunst.“
Dabei ist alles bestens organisiert. Allerbestens. Auf die Minute genau ist hier kein Sprichwort, sondern Realität. Sonst bräche das Gerüst aus den Showacts im Zelt, den Musikern, der Bühnentechnik und der Küche zusammen. Minutiöse, für Außenstehende leicht kryptische Anweisungen hängen neben der Küche: „19.30Uhr Eier bei 55 Grad schieben, 19.40Uhr Kipper anmachen 60-65 Grad, Band“. Alles klar. Eine Digitaluhr hängt über dem Küchenausgang. Immer wieder schauen die Mitarbeiter aus Küche, Service und Geschirrreinigung dorthin. „Es ist wie in einem großen Pop-up-Restaruant“, sagt Poletto, die am Fließband steht, das von der Küche zu dem Gang führt, an welchen die Servicekräfte später die angerichteten Teller mit Servierhauben, den „Clochen“, versehen und ins Zelt laufen. Temporäre Spitzenküche für alle.
„Wichtig ist, die Garpunkte optimal zu treffen“, weiß Poletto, „dazu kann und muss man einiges vorbereiten.“ Selleriepüree und Soße beispielsweise. Wird morgens gekocht, in Literbeuteln vakuumiert und später im Wasserbad erwärmt. „Würden wir die große Menge in einen großen Topf aufkochen, dann würde am Boden etwas anbrennen“, sagt Poletto. Auch für die Zwiebeln in Rotwein sei es gut, wenn die einen Tag durchziehen können. Der Kartoffelsalat müsse täglich zubereitet werden. Die jeweiligen Teller warten bereits in einem riesigen Ständer, der „Tellerspinne“, der 120 Teller tragen kann. Insgesamt kommen 1500 Gläser, 4000 Besteckteile, 2000 Teller und 40 Kilogramm Servietten an einem Abend zum Einsatz.
Herzstück ist der Hauptgang. Das Kalbsfilet wurde am frühen Abend mit Kräutern eingerieben, lag dann in einem Wagen mit unterschiedlichen Schubfächern. Dem sogenannten Hot Car mit einer Kerntemperatur von 60 Grad. „Hier ruht das Fleisch nach dem Garen und kann entspannen“, so Poletto. Fleischmeisterin Marie schneidet es jetzt auf. Sie steht vorn am Fließband. Wenn sie die Fleischstücke auf dem Teller platziert, haben schon sechs Leute einen Handgriff getan: Teller aufs Band gestellt, Zwiebelhäufchen gemacht, erstes Stück Fleisch aufgelegt, Soße darüber, Schalotten daneben, Püree dazu. Jetzt das zweite Stück Fleisch von Marie. Küchenchef Jens kontrolliert jeden Teller, Soßenspritzer wischt er mit einem Tuch weg. Es herrscht eine konzentrierte Stimmung, nicht zu angespannt, vielmehr gespannt. Dabei aber höflich. „Nicht zu wenig Sellerie, bitte!“, sagt Jens ohne aufzublicken. Mit einem Pedal kann er das Förderband stoppen und starten oder die Geschwindigkeit verändern. „Jawohl!“, tönt es von der Sellerie-Auffüllstation.
Die Schritte sind genau durchgeplant. Am Ende schaut Poletto auf jeden Teller
Poletto steht neben dem Küchenchef, streut Meersalz auf das Fleisch. Manchmal kräuselt sie die Stirn. Auch sie schaut auf die Teller. Ab zum Gast. Zehn Kilometer pro Abend läuft ein Servicemitarbeiter, innerhalb von zehn Minuten werden die Gänge serviert.
„Bandstopp, danke!“, ruft Jens. Die Gespräche beginnen wieder, die leeren Töpfe klappern. Werden zum Spülen gebracht. Jens und Marie machen noch die „Rückstell-Proben“ fertig. „Von jedem Gerichtsbestandteil füllen wir eine Portion ab und bewahren sie eine Woche lang auf. Damit es möglich ist, bei eventuellen Problemen unser Essen im Labor zu untersuchen“, so Poletto. Draußen unterhält Daniel Reinsberg derweil die Gäste. Er führt unterhaltsam durch den gesamten Abend.
Poletto steht hinter dieser neuen Erfahrung, lässt sich voll auf das Abenteuer, das noch bis Anfang März andauern wird, ein. Es gibt sogar eine persönliche Anekdote zum Palazzo-Standort: „Die Großmutter von Rüdiger hatte genau hier, wo früher noch Großmarktfläche war, ihren Obst- und Gemüsestand“, sagt Poletto. Sie mag solche Zufälle. Besonders, weil dieser mit ihrem Lebensgefährten, dem Deutsche Bahn-Chef Rüdiger Grube, zu tun hat.
Es kommen Roman und Slava vorbei. Die steppenden Zwillingsbrüder aus der Ukraine haben es der Spitzenköchin angetan. „Ich wollte auch so gern Steppunterricht nehmen“, sagt sie. „Aber ich schaffe es zeitlich nicht.“ Zu einem Crashkurs bei den Zwillingen hat es dennoch gereicht. Poletto wippt wieder. Schaut über die Schulter in Richtung Küche. Aber da läuft alles. „Früher ging das nicht, heute bin ich ruhiger und kann auch mal abschalten und meinem Team vertrauen“, sagt sie. Poletto beobachtet die Künstler auf der Mittelbühne, klatscht im Takt mit und genießt die Show. Ist ja schließlich ihre.