Gar nicht schick: Im Namen der Mode werden Flüsse verschmutzt, Pestizide versprüht und Menschen mit Niedrigstlöhnen abgespeist. Doch in Hamburg gibt es eine Reihe von Designern, die das ändern wollen.

Es ist immer die gleiche Masche bei Modenschauen: Ein Laufsteg, ein Model, ein DJ, ein Trend. Im Scandic Emporio Hotel ist das nicht anders. Mädchen, Klamotten und Fingerfood sehen gut aus, mehr braucht es selten für eine gelungene Veranstaltung. Doch bei dieser Fashion-Party gibt es für das Publikum eine Zugabe: das gute Gewissen. Unsichtbar wurde es in jedes Label eingenäht, das sich auf dem Catwalk präsentiert. Ihre Designer haben sich auf nachhaltig produzierte Mode spezialisiert. Wer diese Klamotten anzieht, kann also sicher sein, Umwelt und Mitmenschen nicht zu schädigen.

Das Gut-Sein scheint anziehend zu wirken. Mehr als 700 Gäste haben sich im Emporio versammelt. „Mich hat interessiert, ob ökologische Mode auch öko aussieht, oder ob sie wirklich was her macht“, sagt eine Besucherin. Und? Sie erkenne keinen Unterschied zu konventionellen Sachen.

Die Designer bewerten Aussagen wie diese als Kompliment. Endlich hat der Öko-Stempel einen Imagewechsel vollzogen. Vorbei die Zeit, als alle an wollsockentragende Frauen in Filzkleidern mit Hanfkordeln und Körnern zwischen den Zähnen dachten. Öko-Kleidung hat sich schick gemacht, und das fängt schon beim Namen an. Heutzutage nennt sie sich lieber Green Fashion. „Ich wollte zeigen, dass nachhaltiges Design möglich ist, ohne dass es aussieht wie ein Sack“, sagt Gabriele Braun, die das „Fashion for Friends“-Event ins Leben gerufen hat und daraus am liebsten eine regelmäßige Veranstaltung machen möchte. „Alle schielen in puncto Mode ständig nach Berlin, dabei haben wir in Hamburg doch alles: Designschulen, Modelagenturen und kreative Designer.“

Eine davon heißt Julia Starp. Erst 31 Jahre alt, aber bereits ein alter Hase im Eco-Fashion-Geschäft. 2009 gründete sie ihr Label, für das sie nur Materialien verwendet, die aus ökologischem Anbau stammen. Außerdem lässt sie nicht in China oder Bangladesch produzieren, sondern in Europa. Ihre Taschen aus alten Plakaten werden beispielsweise in einer Werkstatt für behinderte Menschen in Dithmarschen gefertigt.

Ein einwandfreies ökologisches Gewissen

Auf der Modenschau zeigt die Modemacherin ihre neue Hoodie-Kollektion und Kleider aus Flüssiglatex. Hip-Hop trifft Sexappeal. Wie soll dazu der oberlehrerhafte Begriff der Nachhaltigkeit passen? Doch wenn einer weiß, wie man Verschiedenartiges miteinander kombiniert, dann ein Modedesigner. Fast alles an Julia Starps Leben erscheint nachhaltig, nicht nur ihre Produktion. Von ihrem Atelier zu ihrer Wohnung in Barmbek sind es nur wenige Minuten; es gilt, die Wege kurz zu halten.

Sie ernährt sich von Bio-Produkten, hat einen grünen Stromanbieter und fährt gerne U-Bahn. Ein einwandfreies ökologisches Gewissen also, doch damit allein zahlt man noch keine Miete. Innere Größe lässt nicht zwangsläufig die Verkaufszahlen wachsen. „Letztendlich müssen die Sachen toll aussehen, um sich zu verkaufen“, sagt Starp. „Nur weil es ökologisch und fair hergestellt ist, findet es niemand schön.“ Sie mag die Bezeichnung Öko-Designerin nicht und hofft, dass diese Schublade in spätestens drei Generationen obsolet geworden ist, weil dann ohnehin alle Produzenten hohe ökologische und soziale Standards einhalten.

Grund zur Hoffnung besteht. Der Zeitgeist ist ein recht launischer Geselle, doch glaubt man seinem wichtigsten Repräsentanten, der Mode, dann steht er gerade auf Grün. Immer mehr Designer und Geschäfte fokussieren sich auf nachhaltig produzierte Kleidung. „Vor fünf Jahren hatten wir noch große Mühe, nur einen einzigen Anbieter zu finden, der nachhaltig produzierte Jeans vertreibt“, sagt Uli Ott vom Hamburger Concept Store Marlowe Nature. „Jetzt haben wir sogar fünf verschiedene Jeansmarken im Sortiment.“ Eine davon heißt Good Society.

100 Millionen Jeans kaufen die Deutschen

Die Marke hat es sich zum Ziel gesetzt, keinen Schaden mit ihrem Unternehmen anzurichten, und wer denkt, dass sollte doch wohl selbstverständlich sein, der irrt. Die Jeans ist das Kleidungsstück, das der Umwelt am meisten abverlangt. Nirgendwo sonst stoßen Design und Umweltschutz so hart aufeinander. Rund 7000 Liter Wasser werden für die Produktion einer Hose benötigt, hinzu kommen der Einsatz ätzender Chemikalien wie Chlor, um den Stoff zu bleichen, und das giftige Kaliumpermanganat, mit dem künstliche Altersspuren erzeugt werden.

100 Millionen Jeans kaufen die Deutschen pro Jahr; weltweit werden zwei Milliarden gefertigt. Ein Großteil in China, wo viele Flüsse durch die ungeklärt abgeleiteten Giftstoffe aus den Fabriken verschmutzt sind und mehr als 300 Millionen Menschen keinen Zugang mehr zu sauberem Trinkwasser haben. Kritiker sagen, dass man die Trendfarben der Saison an den Farben chinesischer Flüsse erkennen könne.

Die Modeindustrie allgemein ist eine der umweltschädlichsten Industrien überhaupt, was schon folgender Vergleich zeigt: 25 Prozent der global in der Landwirtschaft eingesetzten Insektizide und Pestizide landen auf Baumwollfeldern, dabei machen diese nur drei Prozent der Weltagrarfläche aus.

Große Textilketten bieten Kleidung aus Bio-Baumwolle an

In der Kritik steht zudem die bei der Jeans-Produktion eingesetzte Sandstrahltechnik, weil der gefährliche Staub die Lungen der Arbeiter schädigt. „Mir ging es deshalb nicht nur darum, eine ökologisch korrekte Hose zu machen. Was bringt einem das, wenn die Menschen bei der Herstellung krank oder ausgebeutet werden?“, fragt Dieter Weigel, Geschäftsführer von Good Society. Der Hamburger achtet außerdem auf den Ausgleich seines CO2-Fußabdrucks. Mithilfe der Umweltschutzorganisation Treedom lässt er die entstandenen Emissionen seiner Firma ermitteln und gleicht sie durch den Wiederaufbau von Waldbeständen in Argentinien aus. 100.000 Bäume will Weigel eines Tages gepflanzt haben.

Einige große Textilketten wie H&M haben ihr Sortiment erweitert und bieten zusätzlich Kleidung aus Bio-Baumwolle an. 17 große Marken von Adidas über Tchibo bis zu Zara unterzeichneten bereits das von Greenpeace ins Leben gerufene Detox-Programm. Sie verpflichten sich damit, bis 2020 auf eine Produktion ohne Risikochemikalien umzustellen. Ein Greenpeace-Test von Schuhen und Textilien aus Discountern hatte ergeben, dass mehr als die Hälfte der Produkte gefährliche Chemie enthalten.

Die riesige Resonanz, die Greenpeace mit dieser Untersuchung hervorrief, überraschte selbst die eigenen Mitarbeiter. „Den Leuten scheint es nicht mehr wurscht zu sein, wie mit der Umwelt umgegangen wird. Die Egal-Haltung der Verbraucher ist weg, das finde ich ermutigend“, sagt Kirsten Brodde, Textilexpertin von Greenpeace. Aus ihrer Sicht haben Öko-Labels und Designer eine große Macht, selbst wenn ihre Marktanteile noch gering sind. Sie bilden die Speerspitze der nachhaltigen Mode: „Die Kleinen treiben die Großen, denn sie zeigen, dass es anders geht.“ Um den Prozess voranzutreiben, veranstaltet Greenpeace sogar in Hamburg Modenschau mit ausschließlich ökofairer Kleidung.

60 Kleidungsstücke kauft ein Deutscher im Jahr

Zur grünen Avantgarde gehören in Hamburg auch Alina Schürfeld und Irina Rohpeter. Alina Schürfeld stellt Schuhe aus einem interessanten Materialmix her. Sie verwendet Leder aus biozertifizierter Lachshaut und Leder, das mit Rhabarberextrakt gegerbt wird, also pflanzlich anstatt mit Chromsalzen. Die größte Herausforderung besteht für die Schuhdesignerin darin, die Einkäufer für neue, ökologische Marken zu begeistern. Sie seien bislang zu zögerlich: „Viele Händler greifen auf das Altbewährte zurück und scheuen Risiken, die mit einem jungen Label einhergehen.“ Risiken wie: Kann zuverlässig und bei Bedarf schnell geliefert werden? Wie reagieren die Kunden? Stimmt der Abverkauf?

Weitere Herausforderung: Die Preismarge von fair produzierter Kleidung lässt nicht viel Spielraum, da die Lohnkosten höher sind. „Ich feilsche nicht mit meinen Näherinnen“, sagt Irina Rohpeter. Das weit verbreitete Preisdrücken in ihrer Branche lehnt die Eppendorferin ab. „Natürlich achte ich wie die großen Hersteller auf meine Kosten. Aber es muss jedem Kunden klar sein, dass ein Pullover für 4,99 Euro nicht fair hergestellt worden sein kann.“ Spätestens der Fabrikeinsturz in Bangladesch im April 2013 mit mehr als 1100 Toten und 2500 Verletzten hat die Aufmerksamkeit auf ein Problem gelenkt, das viele Kunden zuvor nicht erkannten: das schmutzige Geheimnis hinter ihren sauberen Sachen.

Irina Rohpeter setzt auf Schnitte, die eine unterschiedliche Tragweise ermöglichen, nach dem Motto: Man kauft ein Stück, hat aber mehrere. Eine besonders nachhaltige Herangehensweise, denn gerade das anziehende Tempo, in dem Kleidung konsumiert wird, belastet die Umwelt. Durchschnittlich 60 Kleidungsstücke kauft ein Deutscher im Jahr, das sind 800.000 Tonnen Textilien. Auf Youtube gibt es viele Haul-Videos (Haul steht für Beute), in denen junge Frauen die Ergebnisse ihrer Shopping-Touren präsentieren.

Es gibt zahlreiche Öko-Zertifikate

„Dieses Top habe ich gekauft, weil es schön pink ist“ oder „Diese Shorts musste ich haben, weil Ananas drauf sind, und Ananas sind gesund!“ lauten beispielsweise die Kaufargumente. Das McFashion-Prinzip wird befeuert durch die nahezu wöchentlich auf den Markt gebrachten neuen Kollektionen der großen Häuser. Dabei wusste schon Coco Chanel: „Ich bin gegen Mode, die vergänglich ist. Ich kann nicht akzeptieren, dass man Kleider wegwirft, nur weil Frühling ist.“

Gerade bei Kinderkleidung ist häufiges Tragen sogar besser, denn je öfter der Stoff gewaschen wird, desto weniger chemische Rückstände. Oder man kauft gleich biologische Textilien wie die des Hamburger Labels Preciosa. „Babys haben eine empfindliche Haut und sind gerade in der Stadt vielen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Ihre Haut sollte nicht noch weiter durch Schadstoffe gereizt werden“, sagt Jana Rese, die den Preciosa-Shop am Mühlenkamp führt.

Worauf kann ein Kunde beim Kauf nun achten? Es gibt zahlreiche Öko-Zertifikate, die allerdings eher verunsichern, weil niemand mehr durchblickt, welches Siegel für was steht. Bietet es einen echten Nutzen oder dient es nur als Feigenblatt? Als besonders empfehlenswert gelten GOTS (Global Organic Textile Standard) sowie IVN Best (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft). Einen guten Überblick über alle Siegel liefert die Internetseite www.label-online.de.

„Ich stehe den vielen Zertifikaten kritisch gegenüber. Wie das Biosiegel haben sie das Problem des ,geduldigen Papiers‘, um es etwas zynisch auszudrücken“, sagt Maja Daphne Holzborn. Die Designerin hat sich auf Unikate spezialisiert und zeigt auf der Modenschau unter anderem ein Kleid, das wie eine Mischung aus mittelalterlichem Ritterspiel und Pippi Langstrumpf daher kommt. Die Hamburgerin hat eine große Fantasie, aber sie ist auch Realistin: „Die Mode ist ein Rad und Hauptsache, es dreht sich.“

Die Nachfrage nach billiger Kleidung habe in der Vergangenheit dazu geführt, dass viele Schneidereien in und um Hamburg schließen mussten, weil die Produktion in Niedriglohnländer verlegt worden sei. „Da ist einiges weggebrochen, was lange braucht, um wieder aufgebaut zu werden“, sagt Holzborn. Das mache einem Designer durchaus Sorgen.

Beruhigend für die Kunden ist immerhin, dass das Beste, das man anziehen kann, absolut nachhaltig und sogar umsonst ist: ein Lächeln.