Was macht ein Denkmal aus? Muss das Gebäude alt und schön sein? Keineswegs – sagt das Denkmalschutzamt. Und erntet damit immer mehr Widerspruch. Nicht nur viele Hamburger fordern ein Umdenken.

Ein Backsteinbau der späten 20er-Jahre, die Fassaden sind teils geschwungen, geschickt hat hier ein Planer mal mit den typischen norddeutschen Ziegeln spannende Strukturen geschaffen. Die Wohnanlage am Elisabethgehölz in Hamm gilt daher als eine der schönsten ihrer Zeit – und steht doch kurz vor dem Abriss.

„Rettet Elisa“ heißt eine Bewohnerinitiative, die das verhindern will. Doch das Denkmalschutzamt sperrt sich gegen eine Unterschutzstellung, weil zu viel schon an dem Gebäude vom Originalzustand verändert worden sei. Im hinteren Teil wohlgemerkt. Aktuell spitzt sich der Streit zu, die verantwortliche Wohngenossenschaft hat wegen angeblicher Schadstoffe im Inneren mit dem Abbruch von Leitungen begonnen, die Initiative verweist indes auf ein unabhängiges Denkmalschutz-Gutachten, das zu einem anderen Ergebnis als das Amt kommt.

Der Streit um die Backsteinbauten in Hamm ist damit vor allem ein Streit um den Denkmalschutz. Die Fassade des Gebäudes gilt allgemein als schön und auch schön alt, doch ein Denkmal ist sie aus Sicht der zuständigen Behörde eben nicht. Und das versteht in Hamburg selbst der Oberbaudirektor nicht. Man müsse einmal über den Denkmalschutz im Generellen nachdenken, forderte Jörn Walter gegenüber dem Abendblatt.

Was ist eigentlich erhaltenswert

„Ich kann nicht verstehen, dass die City-Hochhäuser geschützt sind, das Elisabethgehölz aber nicht“, so Walter. Und tatsächlich dürfte er in diesem Fall die Meinung einer Mehrheit in Hamburg teilen. Zu diesem Schluss kommt man jedenfalls, wenn man Internetforen und Leserbriefspalten zu den Themen „Rettet Elisa“ und City-Hochhäuser liest.

Die beiden Bauwerke stehen damit für die Diskussion, was eigentlich erhaltenswert ist in der Stadt und was nicht. Walter will die „hässlichen“, wie er sagt, City-Hochhäuser abreißen lassen und plädiert für Backsteinneubauten auf dem markanten Standort nahe dem Hauptbahnhof. Sozusagen als moderner Schlusspunkt des Kontorhausviertels.

Anders als die Wohnanlage in Hamm stehen die City-Hochhäuser seit 2013 aber unter Denkmalschutz: Der Architekt Rudolf Klophaus (1885–1957) hatte die vier grauen Häuser Mitte der 50er-Jahre kurz vor seinem Tod entworfen, ursprünglich mit einer hellen Fassade und als bewussten Kontrapunkt zu den älteren, dunklen Kontorhäusern.

Er folgte mit seinem Entwurf streng dem städtebaulichen Mantra seiner Zeit einer „gegliederten und aufgelockerten Stadt“ – die Häuser gelten damit als herausragendes und markantes Beispiel der Nachkriegs-Architektur in Hamburg. Und damit als schützenswert. Zwar kalkuliert die Stadt dennoch mit einem Abriss und will sie dazu möglichst teuer verkaufen, das Denkmalschutzamt könnte da angesichts des politischen Drucks einknicken. Aber, immerhin, die Hürde wäre schon ziemlich hoch.

Widerspruch kommt nur von Fachleuten

Dennoch stoßen die Abrisspläne des Senats nur auf verhaltenen Protest. Widerspruch kommt bisher nur von Fachleuten: Denkmalschützern, Planern, Architekten. Der Schutz oder Nichtschutz von Nachkriegsbauten, so scheint es, ist eher ein akademischer Disput. Aber eine ganze Reihe von Gebäuden aus dieser Zeit oder sogar aus noch jüngerer Vergangenheit sind ebenfalls offizielle Denkmäler – was, wenn man davon berichtet, immer wieder zu Erstaunen führt: Die beiden „Spiegel“-Gebäude an der Willy-Brandt-Straße werden beispielsweise unter den strengen Augen des Denkmalschutzes durch den Hochtief-Baukonzern gerade aufwendig saniert.

Beide wurden Ende der 60er-Jahre von dem Hamburger Architekten Werner Kallmorgen entworfen und gelten als Stil-Ikonen ihrer Zeit. Das dunklere Gebäude war einst Zentrale des Softwarekonzerns IBM, seine Fassade erinnert an die Lochkarten aus der Frühzeit der elektronischen Datenverarbeitung. Die Glas-Beton-Konstruktion des „Spiegel“-Hauses sollte indes Transparenz versinnbildlichen. So wie diese beiden Hochhäuser sind beispielsweise auch das alte Unilever-Hochhaus und etliche große Komplexe in der City Nord wie die alte HEW-Zentrale geschützt. Sie sind offizielle Denkmäler – obwohl selten ein Passant beim Vorbeigehen „Oh, wie schön“ ausrufen dürfte.

Um Schönheit geht es nicht

Aber um Schönheit geht es auch nicht beim Denkmalschutz. „Das ist kein Kriterium“, sagt Enno Isermann, Sprecher der Hamburger Kulturbehörde. Maßstab sei vielmehr die geschichtliche, künstlerische oder wissenschaftliche Bedeutung. Und es geht immer nur um eine Auswahl von Bauten einer Epoche. Und das führt dann offensichtlich oft genug zu Irritationen – wie im Fall des Elisabethgehölzes.

Was, bitte schön, sollte man denn sonst schützen? Diese Frage stellt eben sogar der Oberbaudirektor. Angesichts der vielen Zerstörungen müssten mehr alte Fassaden erhalten bleiben, um dem Bürger nicht so viel Vertrautes zu nehmen, fordert er. Walter: „Wenn zur gleichen Zeit am Elisabethgehölz ein Wohngebäude aus der Schumacher-Ära oder das Weiße Haus von Nienstedten vom Denkmalschutz für den Abbruch freigegeben werden, dann stimmt etwas nicht mit den Kriterien, die wir an die Denkmalwürdigkeit anlegen.“

Tatsächlich aber wird in Hamburg munter das vertraute Stadtbild abgerissen – selbst wenn sich zahlreicher Protest bildet. Bei vielen Villen an der Elbchaussee und anderen Vororten war es so. Aktuell zum Beispiel, wie von Walter kritisiert, verschwand unter der Abrissbirne die als das „Weiße Haus von Nienstedten“ bekannte Villa an der Elbchaussee 359, die nun durch einen sehr modernistischen, kubistischen Bau ersetzt wird. Der Zustand sei längst nicht mehr original gewesen, argumentiert das Denkmalamt und sperrte sich auch hier gegen einen Schutz.

Der Eigentümer hoffte auf Denkmalschutz

Noch heftiger tobt ein Kampf um zwei Gründerzeithäuser an der Breiten Straße in Altona. Sie wurden gar zum Symbol des Abrisswiderstands und gerieten jüngst durch eine gewaltsame Besetzung in die Schlagzeilen. Dabei wollte der neue Eigentümer sie zunächst erhalten und hoffte auf Denkmalschutz, was bei einer Sanierung Steuervorteile bringt. Zumal sie an der Stelle ein letzter kleiner Rest des alten Altonas zwischen lauter Nachkriegsbauten sind. Also sind eigentlich alle Voraussetzungen vorhanden, um sie zu schützen, sollte man meinen.

Doch das Denkmalschutzamt kommt zu einer völlig anderen Sichtweise; Nicht die Gründerzeitbauten seien hier schützenswert, sondern die Nachkriegsarchitektur. Man könne nicht alle historischen Bauten schützen, sondern müsse den Schutz auf eine Auswahl beschränken, weil Denkmalschutz auch immer stark in die Eigentumsrechte eingreife, so die Begründung. „Der Fokus der Denkmalpflege lag im Bereich Breite Straße bewusst nicht auf Bauten des 19.Jahrhunderts, sondern vielmehr auf den historisch bedeutenden und zugleich stadtbildprägenden Neuplanungen der Wiederaufbauphase“, heißt es in einem Schreiben des Amts.

Und so kommt es immer wieder, dass lieb gewonnene, historische Bauten aus dem Stadtbild verschwinden. Besonders radikal geschah dies in Altona in jüngerer Vergangenheit mit dem Bismarckbad, das der damalige Senat sogar gegen heftige Widerstände und trotz eines Bürgerbegehrens abreißen ließ.

In Altona gibt es ein krasses Beispiel

Noch brutaler aber ging man noch in den 70er-Jahren vor: Auch hier gibt es aus Altona ein besonders krasses Beispiel mit dem Abriss des alten Backstein-Bahnhofs. Ersetzt wurde er durch einen kubistischen Betonbau, der heute nicht selten als Bausünde bezeichnet wird. Womöglich sind es gerade solche Beispiele, die viele Bürger aufschrecken lassen, wenn wieder einmal etwa aus der Zeit vor Nachkriegsmoderne und 70er-Jahre-Beton-Euphorie abgerissen werden soll.

Weil solche Bauten selbst viel Altes verdrängt haben, finden sie möglicherweise heute so wenig Freunde. Vielleicht erkennt man ihren ästhetischen Reiz auch erst später. Oder auch nicht: Die „Betonkiste“ des heutigen Altonaer Bahnhofs will Oberbaudirektor Walter im Übrigen ebenfalls am liebsten abreißen lassen, wenn 2017 ein neuer Altonaer Bahnhof in Diebsteich gebaut wird. Aus der Bezirkspolitik bekam er dafür schon viel Zuspruch.

Doch wer weiß; möglicherweise steht der Kasten dann auch auf der Hamburger Denkmalliste. Als herausragendes Beispiel der 70er-Jahre-Kaufhaus-Architektur.

Denkmalschutz

In der Weimarer Verfassung bekam der Denkmalschutz bereits Verfassungsrang, heute ist er durch verschiedene Ländergesetze geregelt. Hamburg hat sein Denkmalschutzgesetzt gerade erst 2013 reformiert. Vorher gab es viele sogenannte erkannte Denkmäler. Aber nur wenige davon wurden streng über eine Denkmalschutzliste geschützt. Heute sind quasi alle erkannten Denkmäler kraft Gesetzes auch automatisch geschützte Denkmäler. Etwa 2800 Bauwerke und Gebäude fallen unter diese Regelung und sind in der Liste eingetragen. Bauänderungen müssen genehmigt werden, denkmalgerechte Bauten lassen sich aber auch abschreiben.