Drei Monate vor der Bürgerschaftswahl sorgte die Umfrage im Auftrag des Abendblatts für Diskussionen in der Stadt. Der Parteienforscher Elmar Wiesendahl sieht die SPD dank Olaf Scholz unangefochten.

Hamburg. Die SPD mit 45 Prozent nahe der absoluten Mehrheit, die CDU holt auf 27 Prozent auf, Grüne (elf Prozent) und Linke (sieben) stabil, FDP (2) und AfD (4) nicht in der Bürgerschaft – drei Monate vor der Bürgerschaftswahl sorgte die repräsentative Umfrage im Auftrag des Abendblatts für Diskussionen in der Stadt. Der Hamburger Parteienforscher Professor Elmar Wiesendahl analysiert im Interview die politische Lage.

Hamburger Abendblatt: Normalerweise verlieren Parteien an Zustimmung, wenn sie regieren. In Hamburg würde die SPD hingegen auch nach knapp vier Jahren im Senat fast auf eine absolute Mehrheit kommen. Wie ist das zu erklären?
Professor Elmar Wiesendahl: Das ist in der Tat paradox. Denn die 45 Prozent resultieren aus einer gemischten Bilanz. Einige Bereiche wie Innere Sicherheit, Kultur und öffentlicher Nahverkehr werden von den Wählern positiv bewertet, andere wie Zustand der Straßen, Wohnungsbau oder Schulpolitik stoßen auf Unzufriedenheit. Das müsste sich in der Zustimmung für die SPD niederschlagen, tut es aber nicht. Stattdessen bekommt der Senat mit 70 Prozent Zustimmung ein hervorragendes Zeugnis.

Ist das der Scholz-Effekt?
Wiesendahl: Jedenfalls liegt es nicht an der Senats-Mannschaft. Die läuft unter ferner liefen. Hamburg wird vom Platzhirsch Olaf Scholz dominiert. Er ist ein Prachtexemplar von einem Vollblutpolitiker, und weil er keinerlei Verschleiß oder Ermüdungserscheinungen zeigt, ist er das unverbrauchte Kapital der SPD. Viele Wähler sagen sich: Von dem möchte ich weiter regiert werden.

Besetzt die Opposition Themen wie Busbeschleunigung, Hochschulfinanzierung oder Kita-Qualität, bei denen es Protestpotenzial gibt, nicht gut genug?
Wiesendahl: Es gilt das Prinzip: Wenn so eine herausragende Führungsfigur zur Wahl steht, kann selbst eine solide Opposition nur auf Fehler, Skandale oder eben Verschleiß hoffen. Das ist aber nicht eingetreten.

Immerhin gewinnt die CDU auf 27 Prozent fast ein Viertel hinzu. Liegt das am Spitzenkandidaten Dietrich Wersich?
Wiesendahl: Nein, es ist genau umgekehrt wie bei der SPD. Es ist weniger der Faktor Wersich. Die CDU hat einen Schlussstrich unter ihre Vergangenheit mit von Beust und Ahlhaus gezogen und sich berappelt. Sie hat am Nullpunkt neu begonnen und positioniert sich zunehmend als sprachfähige Oppositionspartei, wobei Wersich aber noch an Format gewinnen muss.

Was fehlt ihm noch, was Scholz hat?
Wiesendahl: Er hat nicht den Bekanntheitsgrad des Bürgermeisters, er wird mit der Note 3,2 schlechter bewertet als Scholz mit 2,6, und er kann noch nicht in andere Wählerkreise hineinwirken. Nur die CDU-Wähler zu mobilisieren langt nicht. Damit kann man in Hamburg keinen Blumentopf gewinnen. Er muss auch im Milieu der SPD, der FDP und der Grünen punkten, das gelingt ihm noch nicht, obwohl er durchaus eine repräsentative Aura hat.

Hat die CDU überhaupt eine Perspektive für einen Machtwechsel bei der Wahl 2015?
Wiesendahl: Nein, überhaupt nicht. Für einen Machtwechsel müsste sie selbst stärker werden und bräuchte Bündnispartner, und die sind nicht auf dem Markt. Wie immer die Wahl ausgeht: Es wird eine Konstellation geben, bei der die CDU nicht an den Koalitionsverhandlungen teilnehmen wird.

Die Grünen liegen stabil bei für sie enttäuschenden elf Prozent. Warum kommen sie nicht darüber hinaus? Das Potenzial in Hamburg dürfte höher sein.
Wiesendahl: Das überrascht mich auch. Es hat sicher mit dem Gedächtnis früherer Grünen-Wähler zu tun. 2008 hatten sich die Grünen vor der Wahl für Rot-Grün ausgesprochen, nach der Wahl aber Schwarz-Grün mit Ole von Beust gemacht. Dafür bekamen sei 2011 die Quittung der rot-grünen Wählerschaft. Jetzt müssten sich die Grünen klar erklären.

Das sehen viele Grüne anders. Vor der Wahl 2011 hatten sie sich klar für Rot-Grün ausgesprochen, profitiert hat aber nur die SPD. Die Grünen mussten in die Opposition. Dennoch würden Sie raten, sich klar zu Rot-Grün zu bekennen?
Wiesendahl: Ja. Die Grünen für sich allein sind bei elf Prozent wie festgenagelt. Ein klares Bekenntnis zu Rot-Grün ist die einzige Chance, der SPD noch Wähler abzujagen.

Die FDP liegt mit zwei Prozent am Boden. Wie viel davon ist dem Bundestrend geschuldet und wie viel den Querelen in Hamburg?
Wiesendahl: Die Großwetterlage bläst der FDP das Lebenslicht aus. Die Hamburger FDP setzt noch mal einen drauf, weil sie sich mit ständigem Streit selbst zerlegt.

Trauen Sie Spitzenkandidatin Katja Suding zu, das Steuer erneut herumzureißen wie 2011?
Wiesendahl: Damals gab es eine Kampagne für eine sozialliberale Koalition. Das würde heute auch nicht mehr helfen – zumal die Neuen Liberalen dieses Feld besetzen. Die FDP ist dermaßen abgesunken, dass auch eine Hoffnungsträgerin wie Suding oder ein Münchhauseneffekt sie nicht mehr über die Fünfprozenthürde bringen können.

Wie erklären Sie sich, dass die AfD nur auf vier Prozent kommt? Zuletzt war sie in drei Landtage eingezogen.
Wiesendahl: Der Auftriebseffekt ist verbraucht, er war ohnehin auf ostdeutsche Bundesländer begrenzt. Jetzt macht die AfD wie jede neue Partei eine Kinderkrankheit durch: Aus dem Inneren heraus und durch Führungsquerelen zerlegt sie sich. Das ist noch nicht abgeschlossen und könnte dazu führen, dass sie nicht in die Bürgerschaft kommt. Dagegen spricht, dass es Politikfelder gibt, die sie besetzen könnte. Dazu gehört die Unterbringung der Flüchtlinge, die viele Bürger kritisch sehen. Und die Enteignung der Sparer infolge niedriger Zinsen wäre ein Thema, mit dem sie an ihre Wirtschaftskompetenz anknüpfen könnte.

Demaskiert sich die AfD nicht gerade beim Thema Flüchtlinge und Zuwanderung als extrem rechte Partei? Etliche Mitglieder sind unangenehm aufgefallen, zum Beispiel indem sie die Hooligan-Krawalle in Köln gelobt haben.
Wiesendahl: Diese Typen beschädigen natürlich die Reputation der AfD. Und wenn die Partei das nicht in den Griff bekommt, ist es ihr Ende. Aber Themen, die sie besetzen könnte, gibt es genug.

Ist die Messe schon zugunsten der SPD gelesen? Oder wie viel Bewegung kann und wird es bis zur Wahl noch geben?
Wiesendahl: Gelesen ist die Messe noch nicht. Wir haben noch ein Vierteljahr vor uns mit vielen Unwägbarkeiten: Wie entwickelt sich die Konjunktur? Die Arbeitslosigkeit? Wie viele Flüchtlinge kommen noch? Wie verhalten sich die Besetzer der Roten Flora nach dem Kauf durch die Stadt? Alles Punkte, die das Ergebnis noch leicht verändern können. Aber bei dem großen Vorsprung der SPD wird es bleiben. Und wenn sie ihre absolute Mehrheit verliert, was ich für wahrscheinlich halte, steht Rot-Grün bereit.