Die Ureinwohner Namibias wurden lange an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Der Ortsverband Hamburg-Mitte des Arbeiter-Samariter-Bundes engagiert sich mit einem Solarprojekt für die San.
Nach Eiseb kommt nur noch Botswana. Hierher führt eine lange und staubige Schotterpiste. Manchmal fliegen Perlhühner auf, zwei Strauße flüchten, die flotte Fahrt durch das akazienbestandene Buschland wird allenfalls durch ein paar wandernde Kühe gebremst. Der kleine Ort in der Kalahari hat eine Schule, an der 13 Lehrer 310 Kinder unterrichten, aber keinen Anschluss an das staatliche Stromnetz. Was Namibia reichlich hat, vor allem in den trockenen Wintermonaten, ist Sonne. Zwölf Stunden am Tag und sehr intensiv. Nicht die Spur eines Wölkchens bremst den kosmischen Energieeinfall. Was liegt also näher, als den Menschen vor Ort mit Solartechnik und Computern Strom, Bildung und den Anschluss an die Welt zu ermöglichen?
Das dachte sich auch Bernhard Luther. Der Norderstedter leitet ehrenamtlich das San-Solar-School-Projekt des Ortsverbandes Hamburg-Mitte des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB). Die San sind die Ureinwohner des südlichen Afrika. Und ihr Schicksal ist ein bitteres; vergleichbar mit dem vieler Ureinwohner auf unserem Planeten – etwa den Aborigines in Australien oder den Stämmen Nordamerikas. Zuerst vor 400 Jahren von einwandernden Bantu-Völkern in den Busch verdrängt – daher die alte Bezeichnung Buschmänner –, heute durch extensive Viehzucht und Bergbau in ihren verbliebenen Lebensräumen bedrängt, fristen sie ein Dasein am Rand der Gesellschaft. Marginalisiert heißt der moderne soziologische Terminus. 38.000 San gibt es in Namibia, einige auch in Eiseb und Umgebung. Viele sind aus Botswana herübergewandert, weil in ihren Gebieten Diamanten gefördert werden. Anwesenheit von Ureinwohnern unerwünscht.
Luther hat schon Hunderte ausgediente Rechner aus den Behörden der norddeutschen Bundesländer und etliche Solaranlagen nach Namibia gebracht. Vor zwei Jahren auch nach Eiseb, vor allem, um die Situation der San zu verbessern. Jetzt steht er auf dem Schulhof, unangemeldet, zur Inspektion. Das Lehrerkollegium ist überrascht und sichtlich auch ein wenig verlegen. Die langwierige Begrüßungs- und Vorstellungsrunde im Lehrerzimmer kürzt Luther mit der Bemerkung ab, dass die Solarmodule auf dem Schuldach doch recht staubig seien: „So können sie nicht ausreichend Energie liefern. Ihr müsst sie regelmäßig entstauben. Ein- bis zweimal im Monat!“
Im Computerraum ist ein Abakus auf dem Wechselrichter abgestellt
Der für die Technik verantwortliche Lehrer soll Stellung beziehen. Er gibt erst seiner Freude über die zehn Rechner Ausdruck, die die Schule ebenfalls erhalten hat, beklagt dann die Platzprobleme, deretwegen der Computerraum auch als ganz normales Klassenzimmer genutzt wird. Und muss dann einräumen, dass die ganze Anlage seit Monaten nicht mehr funktioniert. Die Batterie, mit der der Wechselrichter – quasi ein kleines Umspannwerk – den Gleichstrom vom Dach in Wechselstrom wandelt, hat ihren Geist aufgegeben.
Die Sache wird zum Fall für Mark Wessel und Julian Klaaßen. Die beiden Studenten der Umwelttechnik an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg wollen ihr Praxissemester in Namibia verbringen und das San-Solar-Projekt unterstützen. Arbeit scheint es reichlich zu geben. Außer der satten Staubschicht auf den Modulen stellen sie fest, dass die ganze Anlage suboptimal installiert ist, dass von den Anwesenden noch niemand etwas davon gehört hat, dass bei einer Batterie gelegentlich der Wasser- und Säurepegel geprüft und gegebenenfalls korrigiert werden muss. Der Lehrer, der einst in die Technik eingewiesen wurde, hat sein Wissen ungeteilt mitgenommen, als er die Schule verließ. Auch die Information, dass in der nahen ebenfalls mit Sonnenstrom versorgten Polizeistation destilliertes Wasser für die Schule bereitsteht. Auf dem Wechselrichter im Computerraum ist ein Abakus abgestellt. PC und Rechenhilfe mit bunten Kugeln – hier prallen sichtbar Welten aufeinander.
Mit ihren Handys sind die Lehrer allerdings ganz gut vertraut. Die haben sie immer an der Batterie der Solaranlage aufgeladen – was wohl auch zu deren vorfristigem Tod beigetragen hat. Julian versucht das Problem bildlich klarzumachen: „Wenn man einen Eimer Wasser hat, aus dem nur mit einer Tasse Wasser geschöpft werden soll, man aber stattdessen zehn Tassen verwendet, ist er schnell leer.“
Viele San verdingen sich als Hilfskräfte auf den umliegenden großen Farmen
Der kleine Trupp aus Hamburg – Luther, die Studenten, Harald Beese, Vorsitzender des ASB Hamburg-Mitte, und seine Frau Hildegard – ist schon eine knappe Woche in Namibia unterwegs. Und es kommen Zweifel auf, ob Fotovoltaik und Rechner die richtigen Mittel sind, um hier zu helfen. In einer Schule in Gam, noch etwas weiter im Norden, sind bei der Renovierung vier Module der Solaranlage spurlos verschwunden. In der Primary School M’akta wurde ein Regler neu eingebaut. Allerdings war niemand in der Lage, ihn zu programmieren. Seit Januar gibt es keinen Strom mehr für die Rechner. In der Primary School in Grashoek fiel die Anlage vor einem Monat aus, weil die Batterien mit Regenwasser gefüllt wurden. Neben allen technischen Fragen gibt es Einwände, die San doch besser in ihrer angestammten Kultur in Ruhe leben zu lassen.
„Nur eben diese Kultur können die meisten San gar nicht mehr leben“, hält Luther dagegen. Jagen und Sammeln sind ihnen wegen der ausgedehnten Viehzucht fast überall unmöglich geworden. Stattdessen verdingen sich viele als Hilfskräfte auf den Farmen – und ergeben sich dem Alkohol. „Die einzige Chance, die ihre Kinder haben, ist Bildung“, ist Luther überzeugt. Einer Lehrerin namens Memory (ein Fahrer der Truppe will nur Johnny heißen, ein anderer Germany genannt werden), die mit den San aufgewachsen ist und deren Sprache perfekt beherrscht, stellt er die Frage nach den Entwicklungschancen der San. „Alle begrüßen das Projekt und dessen Fortsetzung. Sie möchten teilhaben und sich bilden“, sagt sie.
Und so einfach aufgeben ist auch keine Option. Das Projekt beschränkt sich zudem nicht nur auf die Lieferung von Technik und Schulmöbeln. Schwerpunkt der nächsten Phase soll neben Reparatur und Neuinstallationen vor allem die IT-Schulung der Lehrer vor Ort sein. Hier kommt Jersey Katjimune ins Spiel. Er ist Gründer und Chef der Namibia San Development Organisation, der Partnerorganisation des ASB vor Ort. Und unverzichtbar. Denn erstens ist der Hamburger Ortsverband nicht groß genug, um in der Ferne alles selbst zu regeln und zu kontrollieren. Zudem gibt es auch im Wüstenstaat Namibia einen gehörigen Bürokratiedschungel. Kommt ein Container mit Hilfsgütern im Hafen von Walvis Bay an, ist Papierarbeit zu leisten, muss für die Steuerbefreiung und vor allem den Transport zunächst in die Hauptstadt Windhuk und dann in die entlegenen Schulen gesorgt werden. Zwar hat sich auch die Regierung Bildung als Hauptaufgabe auf die Fahne geschrieben und sich die bessere Integration der San zum Ziel gesetzt – was aber nicht automatisch Unterstützung von Hilfsorganisationen bedeutet.
Aber Jerseys Motto lautet: „There are no problems – just challenges!“ Für ihn gibt es keine Problem, nur Herausforderungen. Davon allerdings reichlich. Außer die Behördengänge zu absolvieren, hat er auch die Schulen ausgesucht. Bernhard Luther hat ihm empfohlen, in den entlegenen Gegenden mehrere beieinanderliegende Schulen mit San-Kindern auszuwählen, um die Transportwege zu minimieren. Bedingung: Sie müssen auch gut verschließbare Räume haben, um die wertvolle Ausrüstung sicher unterzubringen. „Ich habe so viel von Bernhard gelernt“, lobt Jersey die Zusammenarbeit. Und er hat in den vergangenen vier Jahren ein Netzwerk aus Politikern, anderen Hilfsorganisationen und Bildungseinrichtungen geknüpft, das wichtig für das San-Solar-Projekt ist.
Sein größtes Manko war zunächst seine Jugend. Jersey ist 26, ein Alter, in dem man hier keinen Mann ernst nimmt. Aber er hat sich auch dieser Herausforderung gestellt und sich mit Ausdauer und Fleiß einen guten Namen gemacht. Dabei hatte er schon einen solchen. Aus seiner Katjimune-Familie stammt die Frau des ersten Präsidenten Namibias, Sam Nujoma. Nujoma, Gründer der einstigen Befreiungsbewegung und heutigen Regierungspartei Swapo, ist Ovambo, die Familie Katjimuna sind Hereros. Die Heirat hatte wohl auch den politischen Grund, die verschiedenen Ethnien des Landes besser zu verbinden. Ebenso wie die Entscheidung, Englisch als Amtssprache zu wählen. Eine Sprache, die niemand in Namibia als Muttersprache hat, die aber auch keinen Stamm bevorzugt oder benachteiligt.
Namibia verfügt über reiche Vorkommen an Diamanten und Uran
Weniger umsichtig war die ehemals kommunistische Swapo in sozialen Fragen. Das Land steht zwar vor allem dank Diamanten- und Uranvorkommen auf einem guten siebten Platz in Afrika, was Wirtschaftskraft und Einkommen betrifft. Bei Letzterem liegt Namibia aber auch weltweit mit an der Spitze, soweit es dessen ungleiche Verteilung betrifft. Und während der Ovambo Nujoma nicht müde wird, die Deutschen an ihre koloniale Vergangenheit in Südwest-Afrika samt Niederschlagung des Herero-Aufstands zu erinnern, widmet sich Herero Jersey praktischen Dingen.
Er ist in einer Viehzüchter-Familie in Tsumkwe im Norden des Landes aufgewachsen, eine Gegend, in der viele San leben. Mit deren Problemen ist er groß geworden, und das hat ihn schließlich auch motiviert, seine Organisation zu gründen. Eine Lodge in Tsumkwe scheint auch der geeignete Ort, um ein kleines Schulungszentrum einzurichten. So wie es die Hamburger Delegation in Windhuk bereits mit Dr. Andreas Wienecke vom Bildungswerk Tucsin vorbesprochen hat. Kontakt wurde auch zur Technologie-Firma Epupa aufgenommen, die eventuell die norddeutschen Rechner überprüfen und mit Betriebsprogrammen versehen soll.
Die Inspektionsreise ist bald zu Ende. Mark und Julian werden noch bis Februar schrauben, installieren und schulen, viel afrikanisches Leben kennenlernen – und sich mancher Herausforderung stellen können. Mit Unterstützung des Ministeriums für Arbeit und Transport werden sie eine weitere Reise zu den Schulen machen – und dabei auch auf Transportfahrzeuge zurückgreifen können, die das Ministerium für das Projekt zur Verfügung stellt.
Spendenkonto: ASB-Ortsverband Hamburg-Mitte e. V. Commerzbank Hamburg, IBAN: DE96 2008 0000 0054 5454 00, Stichwort: Namibia