Der Hamburger Claus Heinemann verkauft zusammen mit seinem Vetter Duty-free-Produkte in mehr als 100 Ländern. Camilla C. John über einen Weltbürger, dem nichts wichtiger ist als die Heimat.
Claus Heinemann hat so volles graubraunes Haar, dass sein Vetter Gunnar Heinemann ihn deshalb immer foppt. „Er trägt ein Toupet“, scherzt er dann, und Claus Heinemann winkt nachsichtig lächelnd ab. „Sie können gern gleich mal dran ziehen, da ist alles fest“, widerspricht er, deutet auf den Kopf von Gunnar und pariert dessen Spaßattacke: „Mein Vetter ist nur eifersüchtig, weil er schon eine Glatze bekommt.“
Claus und Gunnar Heinemann sind nicht nur Vettern, sondern gleichberechtigte Geschäftsführer und Inhaber des Familienunternehmens Gebr. Heinemann in vierter Generation. Seit 35 Jahren arbeiten sie Seite an Seite. Claus Heinemann ist in der Doppelspitze eher der Ruhige. Er kennt die Zahlenwelt bestens, überlegt länger und ist „sicherlich introvertierter“, wie er über sich selbst sagt. Ein Hanseat aus dem Bilderbuch. Der sportliche Skifahrer und Tennisspieler gilt als kritischer, bohrt nach, kann hartnäckig sein. Manch einer würde ihn auch als spröde beschreiben. Um Worte nicht verlegen ist er dann, wenn es um die Firma geht. Die „Gebrüder Heinemann“ zu erklären, das macht ihm Freude, denn was sich dahinter verbirgt, bestimmt sein Leben.
Claus war 17 Jahre alt, weit vom Klassenbesten auf dem Schlee-Gymnasium in Othmarschen entfernt, und dennoch erste Wahl: Sein Vater, der damals das Unternehmen mit Gunnars Vater führte, stellte klar, dass Claus sein Nachfolger werden würde. Obwohl er das nicht einmal gebraucht hätte, denn eine strikte Trennung von Familien- und Firmenleben gab es nicht. Immer war das Geschäft wichtiges Gesprächsthema, und der Junge bekam vieles schon am Esstisch mit. „Eigentlich war mir schon immer bewusst, dass ich in das Unternehmen eintreten werde“, sagt er und glättet seine Krawatte. Der Schlips mit den roten Pferdchen sei 25 Jahre alt, von Hermès und eine besondere Edition, eigens für das Unternehmen Heinemann angefertigt. „Wir waren die Ersten, mit denen Hermès eine Firmenkrawatte entworfen hat.“
Der französische, weltweit bekannte Luxuskonzern ist nicht die einzige Firma, die gern Verbindungen zu den Hamburgern pflegt. Denn die Heinemanns sind eine Größe in der Branche. 230 Duty-free-Shops an 67 Flughäfen in 28 Ländern gehören ihnen, dazu beliefern sie internationale Flughäfen, Airlines, Kreuzfahrtschiffe, Diplomaten-Händler und Bordershops in 108 Ländern mit einem Duty-free-Sortiment. Auch der Vatikan ordert monatlich, unter anderem Rotwein und Parfüm. Oder Freihandelszonen wie Helgoland. 20 Prozent Marktanteil im europäischen Duty-free-Markt hatten sie im Jahr 2013 bei einem Gesamtumsatz von 2,4 Milliarden Euro.
In den Regalen findet sich alles, von Markenartikeln wie Dior-Parfüm, Lancome-Mascara, Cremes, Spirituosen über Süßigkeiten, Geschenkartikel und Kleidung. „Wir haben Produkte, die Freude machen“, sagt Claus Heinemann überzeugt.
Die gut beleuchteten und platzierten Artikel locken Reisende in die Shops, der niedrigere Preis ist das Hauptargument für den Kauf am Flughafen. „Duty free“, ein Zauberwort. „Duty free“, das klang mal nach großer weiter Welt. Privilegierte, die oft flogen, kauften hinter der Sicherheitskontrolle noch geschwind etwas ein. „Duty free“ gibt es aber nicht nur auf Flughäfen, sondern auch im Flugzeug, auf internationalen Fähren, in Bordershops sowie auf Kreuzfahrtschiffen. Innerhalb der EU fiel 1999 jedoch das Steuerprivileg. Deshalb schafften die Heinemänner ein kluges Äquivalent: „Travel Value“ hieß das Konzept, das seither allen Flugreisenden das preisgünstige Einkaufen ermöglicht: Rabatte bekommen alle Passagiere, egal ob sie auf einer Flugreise innerhalb Deutschlands, Europas oder auf dem Weg zu fernen Kontinenten sind. Alle Kunden zahlen den gleichen günstigen Preis. Eine variable Pacht und der zentrale Einkauf großer Mengen machen es dem Unternehmen kalkulatorisch möglich, dass unabhängig vom Flugziel jeder Kunde günstig einkaufen kann. „Bei 90 Prozent unserer Waren hat der Kunde einen preislichen Vorteil von bis zu 25 Prozent, besonders im Parfüm- und Kosmetikbereich“, sagt Heinemann.
Der Chef selbst indes hat kein ausgeprägtes Shopping-Gen: „Ich bin ein Albtraum-Kunde für jeden Einzelhändler“, sagt er und lacht. „Typisch deutsch, kenne ich alle Preise und nehme gern unsere Sonderangebote wahr.“ Mal kaufe er einen Wein, und „wenn ich besonders großzügig mit mir bin, dann leiste ich mir eine Hermès-Krawatte“.
Wann immer der Betriebswirt verreist, ist er eine halbe Stunde früher in Fuhlsbüttel und besucht die Mitarbeiter im Heinemann-Shop. „Wir sind ein Familienunternehmen und wünschen uns, dass unsere Mitarbeiter gern zur Arbeit kommen. Mein Vetter und ich haben immer eine offene Tür für Gespräche, vom Lagerarbeiter bis zum Buchhalter, allen hören wir bei Bedarf zu.“ Viele Angestellte kennt Heinemann seit Jahrzehnten persönlich: „Private Dinge wie Hochzeiten oder eine Geburt sind mir meist nicht unbekannt.“ Eine handgeschriebene Karte und Blumen gibt’s dann von den Chefs persönlich. Das gilt natürlich nicht für alle 5600 Mitarbeiter weltweit.
Ob seine Tochter auch einmal im Unternehmen arbeiten wird? Wenn sie möchte, aber jetzt hat sie erst einmal die Stadt verlassen und – mit 17 Jahren (!) – ihr Elternhaus gegen eine Studentenbude in München eingetauscht. Da bleibt Claus Heinemann ein wenig mehr Zeit für Ehefrau Gloria Bruni. „Wir sind seit 28 Jahren glücklich verheiratet, sie ist meine größte Kritikerin“, sagt Heinemann.
Erst kürzlich monierte Gloria Bruni, die erfolgreich als Künstlerin und Komponistin arbeitet, ein Kuscheltier im Shop; dessen Anblick sei kaum zu ertragen. Claus Heinemann lacht laut. „Das Spielzeug Glubschi mit den riesigen Augen ist wirklich nicht besonders hübsch, sie findet es furchtbar.“ Am nächsten Tag checkte der Ehemann flugs die Glubschi-Verkaufszahlen im Computer. „Ich wollte meiner Frau ja gern den Gefallen tun und diesen Artikel rausschmeißen“, sagt er, „aber er ist ein Riesenerfolg!“ Nun muss die Ehefrau das Tier wohl oder übel dulden. „Sie ist eine sehr aktive Frau“, sagt er, „sie hat mein Interesse für die klassische Musik sehr beeinflusst, dadurch habe ich viele Freunde aus den unterschiedlichsten Branchen gewonnen.“ Er treffe Autoren, Musiker, Designer. „Es ist so wichtig, sich mit Andersdenkenden auseinanderzusetzen.“ Heinemann ist es ein Anliegen, deutlich zu machen, dass Traditionen unabdingbar und bedeutend sind, es aber noch wichtiger ist, diese mit neuen Gedanken anzureichern.
Bei alldem trägt er die Heimat im Herzen. Sein Zuhause liegt an der Alster. Er liebt das Segeln, und seit vier Jahren schwimmt er jeden Morgen in der Alster, „ganz früh, nur mit den Schwänen“. Idylle pur, mitten in der Großstadt.
Für das Geschäft aber braucht er den Weitblick. „Hamburg ist nicht der Nabel der Welt. Wir leben von der Internationalität, 75 Prozent unseres Umsatzes machen wir im Ausland.“ Er sieht sich nicht als klassischen Hamburger Pfeffersack, vielmehr lebt er davon, in der Welt unterwegs zu sein, überall verteilt liegen seine Absatzmärkte, die er besucht – und auf denen er sich den ortsüblichen Gegebenheiten und Gebräuchen anpasst: In Istanbul müsse man natürlich anders auftreten und verhandeln als in Oslo, weiß Heinemann. „Deshalb ist unser Job ja so besonders interessant, weil wir die Welt kennenlernen, weil wir in Italien, Südafrika und der Türkei unterwegs sind und nicht nur Hamburg im Blickwinkel haben.“
Dennoch, Heinemann sieht sich und die Firma als Familienunternehmen, dessen Werteverständnis aus der langen hanseatischen Tradition des „Ehrbaren Kaufmanns“ kommt: ein bewährter Verhaltenskodex, der auf langfristige wirtschaftliche Erfolge hinarbeiten lässt und auf Werte wie Vertrauen, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit und Beständigkeit aufbaut. Aus der Verantwortung heraus, auch etwas zurückgeben zu wollen, engagieren sich Heinemanns für soziale und kulturelle Projekte der Stadt, unterstützen beispielsweise zuverlässig das Altonaer Kinderkrankenhaus.
Zu diesem Wechselspiel zwischen Heimatverbundenheit und Aufbruch passt es, dass die Heinemänner daran arbeiten, ihr Tochterunternehmen Heinemann Asia Pacific auszubauen. Ein wichtiger Baustein dabei: Vom 15.Februar an werden im Flughafen Sydney auf rund 10.000 Quadratmetern ihre Produkte verkauft. Claus Heinemanns Neffe Max betreut das Projekt von Singapur aus. Eine kommende Führungspersönlichkeit im Familienunternehmen? „Natürlich“, sagt Claus Heinemann. Er zieht schelmisch eine Augenbraue in die Höhe. „Und was gibt es Besseres, als dort Karriere zu machen, wo Vater und Onkel weit weg sind?“
Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Claus Heinemann bekam den Faden von Inge Volk und gibt ihn an Hartmut Juhl weiter.