Die engagierte Initiatorin der phönikks-Stiftung will jetzt, mit 70 Jahren, kürzertreten. Autor Alexander Schuller über eine Frau, deren Lebenswerk auf eigenem Schicksal gründete.

Als Christl Bremer vor 53 Jahren ihre Diagnose erhielt, beschränkte sich die psychologische Betreuung von Krebspatienten zumeist auf ein Schulterklopfen des Arztes, begleitet von einem lapidaren Satz wie „Das wird schon wieder!“ Nicht selten wider besseres Wissen. Auch die Familien und Lebenspartner der Erkrankten mussten mit ihren Ängsten, ihrer Verzweiflung und ihrer Hilflosigkeit alleine fertig werden.

„Krebs trifft immer mitten ins Leben“, sagt Christl Bremer, und dieser Satz steht auch auf der Homepage der phönikks-Stiftung. Seit 28 Jahren leitet sie diese Einrichtung, die zu einer in Deutschland einzigartigen Anlaufstelle geworden ist und mittlerweile rund 300 neue Klienten pro Jahr psychologisch betreut; sie dabei unterstützt, mit ihrer Krebserkrankung umzugehen, und sie auf der Suche nach neuen Perspektiven und dem Weg zurück in die Normalität begleitet.

Doch schon seit einiger Zeit möchte Christl Bremer sich zurückziehen, jedenfalls aus dem operativen Geschäft. Raus aus der 40-Stunden-Woche, die manchmal auch länger dauern kann. Vom 1. Oktober an, eine Woche nach ihrem 70. Geburtstag (den sie nur im Familienkreis feiern möchte), will sie sich nur noch ums Spendensammeln kümmern müssen, „und das ist schwer genug, es wird eigentlich sogar immer schwieriger“.

Sie lehnt sich im weichen Ledersessel zurück, ihrem „Stammplatz“, wenn sie in der Geschäftsstelle im Haus der BürgerStiftung Hamburg Gäste empfängt. Ihre Großspender stammten vor allem aus dem Mittelstand, wo auch gespart werden müsse. „Dort herrscht noch dieser unternehmerische Geist, der nicht allein von Gewinnstreben bestimmt wird, sondern auch von Mitgefühl und der Freude, etwas abzugeben. Gerade in Familienunternehmen wird diese Lebenseinstellung den nachfolgenden Generationen vorgelebt. Diese Menschen sagen frei heraus, wenn es in einem Jahr kneift, um im nächsten Jahr vielleicht eine größere Summe lockerzumachen.“ Umso mehr sei man daher auf Kleinspender angewiesen sowie auf die vielen Freiwilligen, die der Stiftung ihre Zeit spendeten, wie etwa die Spendenläufer beim Hamburg-Marathon.

„Ich bin nicht etwa müde, um Spenden zu bitten“, sagt Christl Bremer, „denn gebettelt wird ja schon mal gar nicht, und als Gründerin werde ich ja auch zu meinen Lebzeiten immer dem Stiftungsvorstand angehören. Aber meine Tochter lebt mit ihren Kindern in den USA, mein Sohn in Berlin, und in den vergangenen Jahren spürte ich in mir eine zunehmende Zerrissenheit, weder meinen Enkeln noch meiner Arbeit gerecht werden zu können. Auch wenn mich meine Kinder diesbezüglich immer wieder beruhigt haben.“ Aber sie freue sich eben jetzt darauf, endlich ein bisschen mehr Oma sein zu können.

Dabei wirkt Christl Bremer nicht gerade wie die typische Großmutter aus dem Werbeclip, die mit ihren Enkeln in den Zoo oder ins Weihnachtsmärchen geht (was sie übrigens ausgesprochen gern macht). Sondern eher wie eine Kauffrau, hanseatisch-zurückhaltend, aber durchsetzungsstark, jedoch immer mit der richtigen Dosis Empathie. Sie hört aufmerksam zu, und so sind es wohl all diese Eigenschaften zusammen, die sie für ihre Tätigkeit prädestinieren.

Über ihren eigenen Tumor, der bei ihr im Alter von 17 Jahren diagnostiziert wurde, spricht sie nicht. Dafür aber über die Folgen, die ihrem Leben nach der vollständigen Genesung später die entscheidende Wendung gaben. Viele Monate konnte sie nicht zu Schule, sie bekam kein Zeugnis, musste die Klasse wiederholen. Ihren Plan, ein Musik- oder ein Sportstudium zu beginnen, musste sie jedenfalls verwerfen. Stattdessen besuchte sie die Werbefachschule in Hannover und heuerte danach als Kontakterin bei der Hamburger Lintas-Agentur an, damals eine der größten Agenturen der Welt.

Beinahe gleichzeitig heiratete sie – und wurde prompt schwanger. Es schien, als wollte sie damals für sich ganz schnell eine Atmosphäre aus klaren Strukturen und Geborgenheit schaffen. Familie, sagt Christl Bremer, sei etwas wahnsinnig Wichtiges, und das klingt nicht nur so dahergesagt: Denn ihre erste traumatische Erfahrung mit dem Krebs hatte sie bereits im Alter von neun Jahren machen müssen, als ihre Mutter schwer erkrankt war, als die Familie auseinandergerissen wurde, sie zu einer Pflegefamilie nach Schweden kam und ihr drei Jahre jüngerer Bruder zu einer Pflegefamilie in die Schweiz. Dann hieß es plötzlich, die Mutter werde es nicht schaffen. Die Geschwister wurden in aller Eile zurück nach Hannover gebracht, wohin die pommersche Familie (der Vater war ein Kaufmann) 1949 geflüchtet war. Dieser Moment am vermeintlichen Totenbett der Mutter gehört zu ihren fürchterlichsten Erinnerungen. „Es ist kaum zu glauben, aber sie wurde doch wieder gesund – nach einer sehr langen Zeit.“

All dies dürfte erklären, dass Christl Bremer, kaum dass sie selbst fest im Leben stand, damit begann, sich für andere Menschen zu engagieren. Für benachteiligte Mitglieder unserer Wohlstandsgesellschaft, wie sie zum Beispiel in einem Übergangslager für Flüchtlinge aus dem Osten am Rande von Pinneberg lebten und wohin auch sie damals gezogen war, weil die Miete in Hamburg zu hoch für die junge Familie war. Dort sorgte sie Anfang der 70er-Jahre für den Bau des ersten Abenteuerspielplatzes in Schleswig-Holstein neben dem Lager, einem „sozialen Brennpunkt“.

Spenden sammeln, Präsenz zeigen, sich einbringen, überzeugen: Offenbar war sie ein Naturtalent, denn „mein zweiter Mann Heiner, der gebürtige Pinneberger und damals so was wie der ideologische Vordenker der FDP in Schleswig-Holstein (Heiner Bremer machte später als Journalist bei ,Stern‘ und RTL Karriere), meinte wohl damals: Die muss in die Politik, die kann Wähler begeistern.“ So kam auch sie zur FDP, wo sie dem linksliberalen Parteiflügel zugerechnet wurde, „wohl auch wegen meines Mannes, der heute ganz zahm ist, aber damals am liebsten alles sozialisiert hätte, bis auf die Zahnbürste. Doch wer mit 18 kein Rebell war, wird später auch kein guter Demokrat, hat Tucholsky gesagt.“

Sie trat jedoch nach zehn Jahre aus der FDP aus. „Die Partei begann den Liberalismus zu vernachlässigen“, sagt sie, „zum anderen hatte ich da bereits meine Stiftungsidee entwickelt, und das Sammeln von Spenden funktioniert nur überparteilich.“ Ihre Idee fußte auf einer Aktion des Magazins „Stern“ für die Deutsche Krebshilfe: „Ich hatte mich geärgert, dass das Geld nur an Krankenhäuser und an die Forschung verteilt wurde.“ Dabei wusste sie doch am besten um die Bedeutung einer familienorientierten Nachsorge für Krebspatienten. In Petra Kelly, deren Schwester an Leukämie erkrankt war, hatte sie eine prominente Unterstützerin, „doch ansonsten war für unser Projekt kein politisches Interesse vorhanden“.

Letztlich sorgte ihre persönliche Nähe zum „Stern“ für die Initialzündung. Der damalige Chefredakteur Michael Jürgs überredete die Deutsche Krebshilfe zu einer Rücküberweisung von 800.000 Mark, der Verlag Gruner+Jahr stellte das notwendige Stiftungskapital von 100.000 Mark zur Verfügung. Nach zwei Jahren erfolgreicher Aufbauarbeit war jedoch das Geld verbraucht, und die Haushaltslage der Stadt Hamburg, die hinter dieser neuen Stiftung stehen sollte, ließ eine Unterstützung nicht zu. „Da habe ich Rudolf Augstein um Hilfe gebeten“, sagt Christl Bremer. „Er hat mir eine Million gegeben, aber nur unter der Bedingung, dass ich diese phönikks-Stiftung leiten würde. Er wollte sich auf keinen Fall ein soziales Denkmal setzen.“

Am Tag der Gründung, dem 15. Oktober 1986, Minuten bevor Christl Bremer ihre Antrittsrede halten sollte, rief ihr Bruder an: Ihr Vater war gestorben, an einem längeren Krebsleiden. „Ich bin zwar keine Esoterikerin“, sagt sie, „aber in jenem Moment habe ich gedacht: Christl, das ist ein Zeichen! So kann ich heute auf 28 Jahre Stiftungsarbeit zurückblicken, und das macht mich schon ein wenig stolz. Doch ohne die vielen Spender, die phönikks schon seit Jahren unterstützen, und ohne das tolle Team hätte ich es nicht geschafft.“

Der rote Faden zieht sich durch die Stadt: Er verbindet Menschen, die einander schätzen, bewundern, überraschend finden. Sie entscheiden, an wen sie ihn weiterreichen: an andere, die hier arbeiten, Besonderes für die Stadt leisten, als Vorbildgelten. Christl Bremer bekam den Faden von Jessica Bartling und gibt ihn an Heinrich Stüven weiter