Marek Erhardt wollte bei der Polizei nur für eine TV-Rolle üben. Doch daraus wurden zwei Jahre mit vielen Einsätzen in Billstedt. Jetzt schildert der Hamburger seine Erfahrungen in einem Buch.

Den Rollenwechsel und die Abwechslung mochte Marek Erhardt, Enkel der Komiker-Legende Heinz Erhardt, schon immer: Mal war er als TV-Schauspieler zu sehen, etwa in „Freunde fürs Leben“ und „Da kommt Kalle“, er überzeugte aber auch als Stadion- und als Synchronsprecher. Jetzt ist der 45-Jährige unter die Buchautoren gegangen.

Für sein Erstlingswerk „Under Cover. Mit Zivilfahndern unterwegs im härtesten Revier der Stadt“, das am vergangenen Freitag auf den Markt kam, begleitete der Hamburger Zivilfahnder in Billstedt. Eigentlich wollte er sich damit nur für eine TV-Rolle vorbereiten, doch aus den geplanten zwei Tagen wurden zwei Jahre, in denen er regelmäßig mit den Polizisten auf Streife ging.

Hamburger Abendblatt: Herr Erhardt, mehr als 100 Einsätze haben Sie in Begleitung von Zivilfahndern miterlebt. Welcher war für Sie der härteste?

Marek Erhardt: Einmal wurden wir zu einem Einsatz gerufen, weil ein junger Mann seiner Freundin Schläge angedroht hatte und versuchte, gewaltsam in ihre Wohnung einzudringen. Es war relativ schnell klar, wer der Typ war – und da die Zivilfahnder ihn auch namentlich kannten, wussten sie auch, wo er wohnt. Wir sind in diese Wohnung rein und dann passierte etwas, womit wir alle nicht gerechnet hatten: Er hatte sehr viel getrunken und auch noch Freunde mit dabei, gemeinsam gingen sie auf die Polizeibeamten los. Ich war plötzlich mittendrin.

Und dann?

Erhardt: Wir hörten, wie nebenan in einem Zimmer ein Junge schrie. Die Problematik war: Es musste jemand dieses sechsjährige Kind beruhigen, denn je lauter es wurde, desto lauter und aufgeregter wurde auch der Vater. Da haben mich die Polizisten in das Nebenzimmer verfrachtet, wo sich der Junge befand. Ich habe die Tür von innen abgeschlossen und musste mich um den Jungen kümmern. Am Anfang war das ziemlich heftig.

Warum?

Erhardt: Er hatte Angst, dass wir ihm seinen Papa wegnehmen wollten. Es endete alles damit, dass er mich später in den Arm genommen hat und mich gar nicht mehr loslassen wollte. Dann habe ich in der Wache gut zwei Stunden lang auf ihn aufpassen müssen. Auf einmal nimmt er meine Hand, fängt an fürchterlich zu weinen und fragte mich, ob er bei mir wohnen kann. Das ist mir sehr unter die Haut gegangen.

Sie erzählen in Ihrem Buch, wie Sie mit den Zivilfahndern einem Serienbrandstifter im Gebüsch liegend auflauern oder wie Sie die Wohnungen von Gewaltverbrechern stürmten. Hatten Sie keine Angst?

Erhardt: Man fühlt sich im Kreise der sechs Männer und zwei Frauen des Reviers recht sicher und wir haben eine interne Absprache gehabt, für den Fall, wenn es gefährlich werden würde. Dann zog ich mich zurück.

Was hat denn eigentlich Ihre Frau Maren zu Ihren nicht ungefährlichen nächtlichen Unternehmungen gesagt?

Erhardt: Ich war am Anfang nicht ganz ehrlich und hab’ ihr gesagt, wir schreiben nachts meistens nur Strafmandate und schleppen Falschparker ab …

Das hat sie geglaubt?

Erhardt: Nur, bis sie die Jungs mal kennengelernt und festgestellt hat, das geht ja doch ein bisschen ans Eingemachte. Ich glaube schon, dass sie Angst gehabt hat und froh war, wenn ich morgens um sechs wieder wohlbehalten zu Hause war. Sie hatte aber auch ein irrsinniges Vertrauen zu mir und den acht Zivilfahndern, mit denen ich unterwegs war. Sie hat mich nur darum gebeten, dass ich immer die schusssichere Weste trage. Das habe ich auch gemacht.

Wie fühlten Sie sich in so einem Ding?

Erhardt: Sicher. Ich wusste aber auch genau, dass die Schussweste ja nicht von Kopf bis Fuß schützt, sondern nur einen Teil meines Körpers. Die Schussweste war für mich mehr eine mentale Sicherheit. Der beste Schutz ist ehrlich gesagt, sich im Falle eines Falles auf und davon zu machen und sich aus der Situation herauszuziehen. Das kapiert man relativ schnell.

Hätten Sie gern selbst eine Waffe getragen?

Erhardt: Nein. Man neigt vielleicht auch dazu, eine Waffe mal zu schnell zu ziehen. Die Zivilfahnder sind ja an der Waffe ausgebildet, die wissen das und hätten mich im Zweifelsfall verteidigen können. Aber dazu ist es nie gekommen. Aber ich habe seit den Recherchen ein ganz anderes Problem.

Welches?

Erhardt: Seitdem ich mit den Zivilfahndern unterwegs war, kann ich nicht mehr spazieren gehen ohne immer zu observieren, also zu beobachten. Wenn ich mit meiner Frau zum Beispiel durch den Stadtpark gehe, gibt es vier, fünf Situationen, wo ich stehenbleibe und beobachte, weil mein Blick so geschärft ist, dass ich das Gespür dafür aufgebaut habe, Leute zu beobachten, die eventuell dabei sind, eine Straftat zu begehen. Das ist unfassbar. Das bekomme ich auch nicht mehr aus mir raus.

Und was machen Sie dann in so einem Fall?

Erhardt: Wenn ich merke, dass da irgendetwas vor sich geht, würde ich auch die Polizei rufen. Denn das ist das, was die Polizei ja auch immer wieder von uns einfordert, lieber einmal mehr die Polizei anrufen um Straftaten zu verhindern als zu wenig.

Nach Ihren gemachten Erfahrungen mit Kriminalität und Verbrechen die Frage an Sie als Vater zweier Töchter, sieben und elf Jahre alt: Haben Sie Angst um sie?

Erhardt: Hamburg ist an sich eine sichere Stadt. Aber Straftaten können an jedem Ort zu jeder Zeit wie in anderen Städten oder auch auf dem Land passieren. Ich bin mir bewusst: Sollte meinen Töchtern etwas zustoßen, ich könnte es nicht verhindern. Ich kann nur, gemeinsam mit meiner Frau, darauf achten, dass sie angstfrei aufwachsen. Und das gelingt uns auch ganz gut, weil wir als Eltern relativ angstfreie Typen sind. Wir können unsere Kinder nur erziehen, dass sie aufmerksam sind, dass sie bestimmte Bereiche meiden, zum Beispiel nicht in der Dunkelheit durch den Stadtpark gehen.

Rivalisierende Jugendgangs, sogenannte Intensivtäter, Autoschieber, Drogenkuriere, Dealer, gewalttätige Ehemänner, Kinderschänder: Ihr Buch bietet Einblicke in die knallharte Realität einer besonderen Ermittlertruppe in einem besonderen Hamburger Stadtteil: Billstedt. Stigmatisieren Sie mit der Konzentration auf Billstedt nicht auch diesen Stadtteil?

Erhardt: Die Gefahr besteht. Ich muss aber ganz ehrlich sagen, ich kenne jetzt Billstedt, Mümmelmannsberg und Horn in- und auswendig und kann jedem nur empfehlen, sich diese Stadtteile mal anzugucken. Gerade Billstedt ist ein Stadtteil mit so vielen schönen Ecken. Kriminalität hast du in vielen anderen Stadtteilen auch. Aber natürlich ist Billstedt schon auch ein sozialer Brennpunkt.

Und darum haben Sie sich für Ihre Undercover-Story Billstedt ausgesucht?

Erhardt: Nein, die Möglichkeit hatte ich gar nicht. Ich wurde gefragt, willst du etwas erleben? Da habe ich gesagt: ja. Die wussten, dass ich nicht so ängstlich bin, und da haben sie gesagt: Dann kannst du nur nach Billstedt gehen.

Das erste Kapitel ist überschrieben: „Einsatz in Billstedt“. Das liest sich so wie der Titel der Kult-TV-Serie „Einsatz in Manhattan“.

Erhardt: Das war natürlich Absicht. Aber mir geht es in dem Buch nicht um Effekthascherei. Es soll auch Lösungsansätze für die Probleme der Menschen aufzeigen. Ich bin auch Botschafter beim Weißen Ring und habe viel mit Opferschutz und Prävention zu tun. Straftaten zu beobachten, mitzuerleben, aufzuklären, das ist das eine. Andererseits werden die Opfer vergessen. Da sind Menschen, deren Wohnungen ausgeraubt wurden, Angehörige, deren Familienmitglieder ermordet wurden. Es ist ein sehr wichtiger Aspekt, immer beide Seiten zu sehen.

Mischen Sie sich – beispielsweise, wenn Sie eine Prügelei in der U-Bahn beobachten – direkt ein?

Erhardt: Nein, vermutlich eher nicht. Ich bin kein Held. Aber ich schaue nicht weg. Ganz wichtig ist, sich in solchen Fällen nicht selbst zu gefährden. Aber es gibt genügend Möglichkeiten auf sich und die Situation aufmerksam zu machen, und sei es zum Handy zu greifen und 110 anzurufen. Wichtig ist, irgendetwas zu tun.

Wie haben Sie das Verhältnis von Bürgern zur Polizei und umgekehrt erlebt?

Erhardt: Leider beobachte ich immer wieder, dass es vielen Menschen an Respekt gegenüber den Polizeibeamten mangelt.

Inwiefern?

Erhardt: Ich glaube, wir sollten alle respektvoller miteinander umgehen. Beide Seiten. Das ist auch ein Grund, warum ich das Buch geschrieben habe.

Haben Sie schon einmal als Privatmann eine persönliche Begegnung mit der Polizei gehabt?

Erhardt: Hmm ... ja. Also, ja ich gestehe, bei mir ging früher der Tacho häufig falsch. Das lag nicht an mir, sondern der Tacho war falsch eingestellt (lacht). Als Falschparker verdient der Hamburger Staat aber immer noch viel an mir.

Was hätte wohl Ihr Opa Heinz Erhardt als Humorist zu diesem Buch seines Enkels gesagt?

Erhardt: (lacht) Der hätte mich gefragt, ob ich noch ganz dicht bin, dass ich mir die ganzen Nächte damit um die Ohren geschlagen habe. Aber ernsthaft: Da mein Großvater selbst ein Mensch war, der sehr viele unterschiedliche Dinge ausprobiert hat, hätte er sich sicherlich darüber gefreut, dass ich mir ein Genre ausgesucht habe, das eigentlich so gar nicht in mein Berufsbild als Schauspieler reinpasst. Das hätte ihm sicherlich gefallen.

Marek Erhardt liest aus seinem Buch am 5. November, 20 Uhr, beim Hamburger Krimifestival auf Kampnagel, Eintritt 12 Euro. Karten bei allen Heymann Buchhandlungen und unter der Abendblatt-Tickethotline: T. 040/30 30 98 98