Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ hat innerhalb von drei Wochen auf Hamburger Straßen, Märkten und vor Schulen knapp 45.000 Unterschriften gesammelt. 63.000 Namen und Adressen wären nötig gewesen.

Hamburg. Plötzlich flackerte noch einmal Hoffnung auf. Immer mehr Unterstützer brachten im Laufe des Nachmittags und Abends ihre Unterschriftenlisten ins Kampagnenbüro der Initiative „G9-Jetzt-HH“ an der Steintwiete gleich neben der historischen Deichstraße (Altstadt). Würde es doch noch reichen? Würde es auf den letzten Metern in einem furiosen Endspurt doch gelingen, die für das Volksbegehren erforderlichen 63.000 Unterschriften zusammen zu bekommen?

Um Mitternacht von Mittwoch auf Donnerstag endete die dreiwöchige Sammelfrist. „Um kurz vor 12 Uhr kam noch eine alte Frau und brachte uns drei Unterschriften“, erzählte Mareile Kirsch, Motor und Sprecherin der G9-Initiative, einige Stunden später immer noch begeistert. Von überall her riefen Sympathisanten mit der Bitte an, ihre Listen abzuholen. Spontan wurden drei Pizzaboten engagiert, um die Unterschriftenzettel einzusammeln. „Es liegen immer noch Listen in Kindergärten oder Kneipen. Das haben wir gar nicht alles schaffen können“, so Kirsch. Doch am Ende half es nichts, so eifrig die Kerngruppe der G9-Initiative auch auszählte. „Es war eine Bombenstimmung, auch wenn sich abzeichnete, dass wir es wohl nicht schaffen würden“, sagte Kirsch. Um ein Uhr ging man auseinander, um sich wenige Stunden später schon wieder zu treffen.

Um 10.30 Uhr herrschte dann Gewissheit: Die Initiative, die sich für die Wiedereinführung des längeren Wegs zum Abitur (G9) am Gymnasium einsetzt, hatte ihr Ziel deutlich verfehlt. Knapp 45.000 Frauen und Männer hatten ihre Unterschrift geleistet – das waren 20.000 zu wenig. Doch allein der Schwung des letzten Tages hatte noch einmal 20.000 Unterstützer gebracht.

Die feierlich-förmliche Übergabe der Stimmen an den Landeswahlleiter, zu der die Initiative die Medien schon eingeladen hatte, wurde kurzfristig abgesagt. Und so scharten sich rund 20 Aktivisten wenig später im Kampagnenbüro um Mareile Kirsch – hinter sich aufgereiht 29 Aktenordner mit 8951 paginierten Seiten, auf denen Namen, Alter, Adressen und Unterschriften der Unterstützer verzeichnet sind.

„Wir haben es nicht geschafft, aber wir waren ein supertolles Team“, sagte Mareile Kirsch mit feuchten Augen, noch euphorisch von der gemeinsamen Anstrengung. Es habe eine „unglaublich tolle Sympathiewelle auf der Straße“ für die Initiative gegeben. „Ich bin nicht enttäuscht. 45.000 Unterschriften sind für uns ein Erfolg“, sagte die G9-Initiatorin. „Wir sind ein kleines Team von Eltern – rund 50 aktive Sammler“, so Kirsch. Keine Partei, keine Institution habe sie unterstützt.

Die zahlreichen Diskussionen auf Märkten und vor Schulen hätten ihr gezeigt, so Kirsch, dass „die Schulpolitik in Hamburg in einem katastrophalen Zustand“ sei. Viele Menschen hätten ihre Kritik und die Problemlagen an den Schulen geschildert. „Wir sind fast zu Straßensozialarbeitern geworden. Wir waren so eine Art Kummerkasten“, sagte Kirsch. „Zu uns sind diejenigen gekommen, die es wirklich betrifft: die jungen Eltern“, ergänzte Eva Terhalle-Aries, Vertrauensfrau der Initiative.

Doch woran hat es gelegen, dass die Initiative nicht genug Unterstützer gefunden hat, während sich doch in Umfragen auch in Hamburg zwei Drittel und mehr für die Rückkehr zum längeren Weg zum Abitur aussprechen? „Wir hätten es mit mehr Menschen, die Unterschriften sammeln, schaffen können“, gab Mareile Kirsch zu.

Aber die G9-Aktivisten erneuerten auch ihre vehemente Kritik an Schulbehörde und Politik. „Wir sind von der Politik massiv in unseren verfassungsmäßigen Rechten behindert worden“, sagte Kirsch. Die von Schulsenator Ties Rabe (SPD) initiierte Befragung der Schulkonferenzen zu G8 und G9 habe in den Abstimmungsprozess eingegriffen und sei daher möglicherweise verfassungswidrig. „Uns haben Eltern erzählt, sie hätten ja schon in der Schule abgestimmt, dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun“, so die Sprecherin.

„Es hat auch eine massive Behinderung durch Schulleiter gegeben“, beklagte sich Kirsch. So sei in einigen Fällen unerlaubterweise der Versuch gestartet worden, die G9-Sammler vom Gehweg vor Schulen zu vertreiben. „Schulleiter haben massiv Stimmung gegen unsere Initiative gemacht. Das Neutralitätsgebot ist an vielen Schulen verletzt worden“, ergänzte Vertrauensmann Ulf Ohms. Befürworter von G8 hätten zum Teil ihre Flyer an Schulen verteilen dürfen, die G9-Initiative dagegen nicht. Walter Scheuerl vom Elternnetzwerk „Wir wollen lernen“ sagte, Rabe habe „durch Mutmaßungen über angebliche Verzögerungen beim Schulbau und eine angebliche Überforderung von Schulleitungen“ Lehrer- und Elternschaft massiv verunsichert.

„Unser Volksbegehren hat eine Botschaft: Die 45.000 Unterzeichner haben Senat und Bürgerschaft den Auftrag gegeben, G9 einzuführen“, sagte Kirsch. Die 45.000 Hamburger repräsentierten die bis zu 80 Prozent Zustimmenden aus den Umfragen. Die unermüdliche Streiterin für eine längere Schulzeit will weiterkämpfen. „Ich bin seit zwölf Jahren an dem Thema dran. Ich werde nicht aufhören. Wir denken darüber nach, ob wir nicht Wege in die Politik finden, die nicht über Parteien führen.“