Eine neue Interpretation der Hammaburg-Funde lässt Hamburgs historische Vergangenheit in neuem Licht erscheinen. Die Hauptrollen spielen: Drei Burgen, eine Kirche, zwei Städte und ein Urkundenfälscher.

Als der Benediktinermönch Ansgar anno 831 in Hamburg einritt, um von hier aus den Norden zu missionieren, fand er etwa zwei Dutzend Häuser vor, die sich um ein Herrenhaus scharrten. Sie lagen im Schutz eines runden, palisadengekrönten Erdwalls, einer Befestigung von nur 75 Metern Durchmesser. Eine Rekonstruktion des Archäologischen Museums zeigt das Bollwerk Hammaburg als schlichten Bau aus Holz und Erde, auf einem Geestplateau gelegen und umflossen von blauen Alsterarmen.

Dass sich die Hammaburg als Keimzelle der Hansestadt tatsächlich dort befand, wo sie schon lange vermutet wurde, nämlich an der Stelle des heutigen Domplatzes am Speersort, steht seit Anfang des Jahres fest. Von Oktober an stellt das Museum nun die aktuellen Forschungsergebnisse, die auf drei Grabungskampagnen und einer Expertentagung beruhen, in einer Ausstellung vor. Vermeintliche Fakten um Hamburgs frühmittelalterliche Geschichte werden dort korrigiert.

Die letzte Grabung am historischen Ort endete im Dezember 2006. Die Archäologen hatten sich ein Areal an der Südwest-Ecke des Domplatzes vorgenommen, an dem ein Toilettenhäuschen stand, das zuvor eine vom Krieg unberührte Tankstelle von 1920 gewesen war. „Wir wussten: darunter ist ungestörter Boden“, sagt Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums und Hamburger Landesarchäologe. Die neuen Funde wurden mit dem Material vorangegangener Grabungen in den Fünfziger- und Achtzigerjahren verglichen und kombiniert. Aus der Neuinterpretation ergab sich, dass am Domplatz drei ringförmige Befestigungsanlagen liegen, die in drei verschiedenen Zeitperioden entstanden.

Der kleinste und früheste Ringgraben stammt bereits aus dem 8. Jahrhundert und ist damit deutlich älter als bisher angenommen. Der zweite Burggraben wurde um 850 verfüllt, das passt zu dem verbürgten, verheerenden Wikingerüberfall im Jahr 845. Die dritte und größte Wallanlage schließlich wurde um das Jahr 900 errichtet. Die Datierung erfolgte vor allem über Keramikfunde, die sich durch Verzierungen, Formen und Herstellungsweisen klar zuordnen lassen. Auch die Analyse weniger Holzreste gab Hinweise, ferner dienten Vergleichsfunde von anderen Orten der zeitlichen Einordnung.

Drei Hammaburgen - aber wo ist die Kirche?

Weiss zufolge gab es drei Hammaburgen. Schon das älteste Bauwerk muss diesen Namen getragen haben, der sich vom altsächsischen Wort „Hamm“ ableitet, was „Land in einer Flussbiegung“ bedeutet. „Die Hammaburg wurde im 8. Jahrhundert zu einem unbekannten Zeitpunkt durch anonyme Leute gegründet“, sagt Weiss. Die Burg, in die Ansgar einritt, bestand also schon, war bereits die zweite Anlage. Damals wohnten inner- und auch außerhalb des Walls etwa 200 Menschen, ihr Oberhaupt war der Mark- und Burggraf Bernhard.

Der Beweis für die Existenz Urhamburgs an genau dieser Stelle stand nach Abschluss der Grabung 2006 zunächst noch aus. Zwar lagen die Daten vor, alle drei Befestigungsanlagen trafen sich unter der einstigen Tankstelle und waren gut erhalten. Doch das Problem war die Kirche, die Ansgar im Schutze der Hammaburg erbaut haben soll – davon berichtet das 1074 verfasste Kirchengeschichtswerk des Klerikers und Chronisten Adam von Bremen. Dieses Gotteshaus jedoch war partout nicht zu finden, keine der drei Grabungen brachte Indizien dafür, dass es innerhalb der Burgen gelegen hat. Zudem schienen die beiden älteren Ringe zu klein für ein solches Gebäude.

Im vergangenen Dezember tagte unter der Leitung des Landesarchäologen ein Kolloquium in Hamburg. 30 Fachleute aus Deutschland und Skandinavien diskutierten die archäologischen Funde neu und kamen zu dem Ergebnis: Bei den Ringen handelt es sich zweifelsfrei um Überreste der jeweiligen Hammaburgen.

Gründungdurkunde ist eine Fälschung

Ansgars Holzkirche, so lautet jetzt die Hypothese, stand nicht innerhalb des Bollwerks. Weil die Burg bei Ansgars Ankunft bereits dicht besiedelt war, schlug ihm Bernhard einen Bauplatz unmittelbar nördlich des Wallrings vor. Wahrscheinlich lag die Kirche dort, wo sich heute St. Petri befindet. „Das entspannt die Situation völlig. Jetzt müssen wir keine Kirche mehr suchen, das befreit das Denken“, freut sich Weiss. „Hier haben wir eine Befundlage, die klarer und logischer überhaupt nicht sein könnte: die Hammaburg wuchs nach außen. Aus dem kleinen Nukleus hat man sich immer weiter entwickelt, eine mustergültige Ausweitung der Stadt.“

An der Wende zum 10. Jahrhundert erstand, wie Phönix aus der Asche, die dritte Hammaburg, doppelt so groß wie die von den Dänen zerstörte Anlage. Weiss spricht von einem „phänomenalen Bauboom“ zu dieser Zeit. Eine Erklärung für die Bautätigkeit um 900 bietet ein Bonner Forscherteam um den Historiker und Diplomatiker Theo Kölzer. Die Wissenschaftler, die sich mit der Herkunft und Echtheit von Urkunden beschäftigen, fanden heraus, dass die vom fränkischen Kaiser Ludwig dem Frommen 831 ausgestellte Gründungsurkunde des Bistums Hammaburg eine Fälschung ist.

Daraus ergibt sich: Ansgar war zwar päpstlicher Missionslegat in der christlichen Niederlassung Hammaburg, von wo aus er nach Skandinavien aufbrach und vergeblich versuchte, das Christentum beispielsweise in Ribe, Birka und Haithabu einzuführen. Bischof war er aber in Hamburg noch nicht. Vielmehr erhielt er die Bischofs- und Erzbischofswürde erst in Bremen, wohin er nach dem Wikingerüberfall 845 floh.

Urkundenfälschung als politisches Mittel

Dass die Hammaburg schon seit Ansgars Ankunft ein Bischofssitz war, behauptet allerdings die „Vita Anskarii“, eine Lebensbeschreibung des Mönchs, die sein Schüler und Nachfolger Rimbert von Bremen verfasste. In dieser wichtigen historischen Quelle wird auch die Gründungsurkunde erwähnt.

Die Bonner Diplomatiker sind nun der Ansicht, dass es sich bei der Vita nicht nur um eine Lobeshymne auf Rimberts verehrten Lehrer, sondern auch um eine tendenziöse politische Schrift handelt. Grund für die Urkundenfälschung war der Streit um die Stadt Bremen, die von Köln beansprucht wurde.

Wäre Hamburg schon frühzeitig Bistum gewesen, hätte es jedoch die älteren Rechte auf Bremen gehabt. Der Schwindel zahlte sich aus. Aufgrund der kaiserlichen Urkunde wurde Bremen schließlich der Hammaburg zugeschlagen und Papst Formosus rief 893 das Erzbistum Bremen-Hamburg aus. Während des Baubooms um 900 also verwandelte sich das Dorf an Alster und Elbe unter Anleitung des Bremer Bischofs nachträglich in das bedeutende Bistum, das es laut Urkunde längst war, erklärt Weiss: „Unser archäologisches Bild lässt diesen Schluss plausibel zu.“

So kommt zu der ohnehin schon spektakulären Erkenntnis, dass die Hammaburg keine kaiserliche Gründung, sondern eine seit dem 8. Jahrhundert befestigte Siedlung war, noch der Bonner Befund hinzu, der das Bistum Hamburg entscheidend verjüngt. „Wir krempeln die Geschichte um“, sagt der Landesarchäologe.

Hamburg lag zwar äußerst verkehrsgünstig, hatte sich aber bis auf einen Warenaustausch mit den Friesen und den Rheinländern zunächst nicht durch herausragende Handelsaktivitäten ausgezeichnet. Das wurde im 10. Jahrhundert anders. Mit dem Bau der großen Anlage aufgrund des Papstentscheides begann der Aufstieg der Hammaburg zur Handelsmetropole. Beiderseits des 1877 zugeschütteten Reichenstraßenfleets südlich der Burg entstand ein Hafen mit einem Ufermarkt.

Aus bischöflichem Wohnturm wird ältestes Stadttor

Die Ausstellung, die am 30. Oktober unter dem Titel „Mythos Hammaburg“ im Archäologischen Museum eröffnet wird, erzählt erstmals 400 Jahre Stadthistorie von den Anfängen bis zum Jahr 1200. Gezeigt werden wichtige Grabungsfunde sowie virtuelle Modelle der Hammaburg. Themen sind unter anderem das Wirken Ansgars, des sogenannten „Apostels des Nordens“, sein Kirchenbau und seine an die Zerstörung von Kirche und Burg anschließende Zeit in Bremen.

Chronologisch folgt das Nachwirken des Erzbischofs unter Rimbert. Aus dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen kommt als Leihgabe der „Codex Vicelini“ nach Harburg, der neben der Vita Ansgars unter anderem auch einen Lebenslauf Rimberts und eine Abschrift der Urkunde Ludwigs des Frommen enthält.

Weitere Kapitel der Schau greifen den Bauboom und die wachsende Handels- und Hafenstadt auf. Am Ende wird die Umdeutung und Neudatierung des Bischofsturm-Fundaments am Speersort zum Thema. So stammt das ehemals als bischöflicher Wohnturm interpretierte Gebäude nicht aus dem 11. sondern erst aus dem 12. Jahrhundert und entpuppte sich als ältestes Hamburger Stadttor.