Manfred Brandt will die Stadt Hamburg mit seinem Verein „Mehr Demokratie“ in Kommunen aufgliedern. Schon seit 1997 arbeitet der heute 69-jährige Moorburger auf diese letzte große Schlacht hin.
Moorburg. Am besten, sagt Manfred Brandt, könne er im Kirschbaum über Gott und die Welt nachdenken. Vieles von dem, was dem promovierten Agrarwissenschaftler und Moorburger Obstbauern dabei so durch den Kopf geht, behält er aber erst einmal für sich. Jedenfalls posaunt er nicht alles in die dauererregte politische Welt da draußen. Sonst hätten die anderen ja auch schon 1997 gewusst, was er wirklich vor hatte.
Heute gibt der 69-Jährige zu: Schon damals, als er zu den Mitbegründern des Vereins „Mehr Demokratie“ gehörte, hätten er und seine Mitstreiter ein klares Fernziel vor Augen gehabt: Hamburg sollte Gemeinden bekommen. Statt sieben machtlose Bezirksversammlungen, die nichts anderes sind als Verwaltungsausschüsse, sollte es irgendwann Kommunalparlamente geben. Wie in den Flächenländern. Keine Bezirksamtsleiter mehr, die eh nichts zu sagen haben, nein: Eimsbüttel, Wandsbek, Harburg und die vier anderen Bezirke sollten echte Bürgermeister bekommen. So hat Brandt es immer gewollt.
Aber zunächst hat „Mehr Demokratie“ für anderes gekämpft: für verbindliche Volksentscheide oder für ein neues, bis heute umstrittenes Wahlrecht. War das also alles nur eine Vorstufe zur letzten großen Schlacht, zu der Brandt und die Seinen in dieser Woche angesetzt haben – mit der Vorstellung der ersten von zwei Volksinitiativen, die Hamburg radikal verändern sollen?
Hamburger sollen entscheiden können
Nein, sagt Brandt. Die Reformen der Verfassung, die „Mehr Demokratie“ in den vergangenen Jahren erkämpft habe, hätten doch auch für sich einen hohen Wert. Die Bürger hätten heute weitaus mehr Mitspracherechte als vor 20 Jahren. Den Plan allerdings, zu echten Kommunen zu kommen, habe es immer gegeben. Von Beginn an.
Am Tag der Bundestagswahl 2017 sollen die Hamburger nun über das bisher größte Vorhaben des Vereins abstimmen: genau 20 Jahre nach dem Start von „Mehr Demokratie“ sollen sie entscheiden, ob die Bezirke zu Gemeinden werden. „Wenn Sie mehr Bürgerbeteiligung wollen, müssen Sie kleinteiliger werden“, sagt Brandt. Gerade für benachteiligte Stadtteile sei echte Kommunalpolitik wichtig. „Wenn eine ferne Fachbehörde die Kommunalpolitik macht, dann kommen Sie an viele Menschen dort gar nicht mehr heran.“
Nach der jetzt vorgestellten ersten Volksinitiative soll die Bürgerschaft die Verfassung künftig nicht mehr wie bisher im Alleingang mit einer Zweidrittelmehrheit ändern können. Damit eine Verfassungsreform tatsächlich wirksam wird, muss sie nach dem Mehr-Demokratie-Entwurf von den Bürgern künftig in einem Referendum bestätigt werden. Eine solche Regelung gibt es bereits in den Bundesländern Bayern und Hessen.
Vorstufe des zweiten, revolutionären Plans
Als Auslöser für das Vorhaben wird in dem Entwurf, der im Internet mittlerweile auf der Seite hh.mehr-demokratie.de einsehbar ist, der Beschluss der Bürgerschaft vom Dezember 2013 genannt, eine Dreiprozenthürde für Bezirksversammlungswahlen in die Verfassung aufzunehmen. „Dadurch wurde ein Urteil des Hamburgischen Verfassungsgerichts ausgehebelt, das diese einfachgesetzliche Sperrklausel für unzulässig erklärt hatte“, heißt es im federführend von Vereinsvorstand Manfred Brandt verfassten Papier. „Der Fall ist nicht nur bedenklich, weil er eine Missachtung des obersten Hamburgischen Gerichts darstellt. Schwer wiegt auch, dass die Entscheidung von Parlamentsparteien getroffen wurde, um konkurrierende Gruppierungen von den Bezirksversammlungen möglichst fernzuhalten.“
Unter dem Arbeitstitel „Starke Bürgerrechte – Starke Bürgerschaft – Mehr Demokratie“ macht der Verein in dem Reformentwurf auch andere Vorschläge. So soll die Bürgerschaft in Referenden künftig von sich aus das Volk befragen können, außerdem sollen die Zustimmungshürden für Volksentscheide sinken. Zudem soll das Volk in Zukunft in Volksentscheiden über alle politischen Fragen abstimmen können. Bisher waren etwa Haushaltspläne, Tarife oder Bundesratsinitiativen ausgeschlossen.
Das Vorhaben gilt als Vorstufe des zweiten, weitaus revolutionäreren Plans: In rund drei Wochen will Mehr Demokratie den Reformentwurf vorlegen, wonach die Bezirke zu Kommunen werden – auch mit dem Recht, Gewerbesteuern zu erheben und eigene Haushalte aufzustellen. Das wäre das Ende des Stadtstaates in seiner jetzigen Form. Hamburg müsste dann zwischen den sieben Bezirken einen kommunalen Finanzausgleich wie in Flächenländern organisieren, bei dem finanzschwächere Bezirke durch stärkere unterstützt werden.
„Das ist die richtige Antwort auf die Globalisierung“, sagt Brandt. „Die Menschen wollen lokal mehr Verantwortung übernehmen.“ Föderal organisierte Bundesstaaten seien weltweit am erfolgreichsten, etwa die Schweiz oder die USA, aber auch Deutschland, so Brandt.
Bürgerschafts-Parteien in Ablehnung des Plans einig
„Außerdem würde das auch die Zusammenarbeit zwischen Hamburg und den Umlandgemeinden erleichtern“, glaubt der Mann, der einst über die Ernährungsphysiologie der Wiederkäuer promovierte und einige Jahre für die FDP Kommunalpolitik in Schleswig-Holstein gemacht hat. „Denn dann würden sich die Bürgermeister von Eimsbüttel und Norderstedt auf Augenhöhe begegnen.“ Für den Moorburger ist diese zweite große Reform ohne die erste Verfassungsänderung nicht möglich – weil sie sonst keinen Bestand hätte oder von der Rathaus-Politik wieder relativ einfach ausgehebelt werden könnte.
Tatsächlich sind sich alle Bürgerschafts-Parteien in ihrer Ablehnung des bisher größten Mehr-Demokratie-Projektes einig. Hamburg sei schon jetzt nach dem Ranking von Mehr Demokratie das demokratischste Bundesland, sagt SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. „Ich sehe keinen Bedarf für weitere radikale Änderungen.“ Die Stadt brauche ein handlungsfähiges Parlament. Nur eine Verfassungsreform sei in seinen Augen derzeit sinnvoll, sagt Dressel: Die Bürgerschaft solle künftig die Möglichkeit bekommen, die Bürger von sich aus nach ihrer Meinung zu befragen – etwa zum Thema Olympia. Derzeit verhandelten alle Fraktionen über dieses Vorhaben.
„Die Zersplitterung der Stadt in Gemeinden würde Hamburg praktisch handlungsunfähig machen“, sagt auch SPD-Verfassungspolitikerin Barbara Duden. Und André Trepoll, ihr Fachkollege von der CDU, fügt hinzu: „Wir wenden uns entschieden gegen diese absurden Pläne. Mit Kleinstaaterei werden keine Probleme gelöst, aber viele neue geschaffen.“
„Sieben Mini-Hamburgs zu schaffen wäre ein Fehler“
FDP-Fraktionschefin Katja Suding will zwar die Bezirke stärken – wie es die Landespolitik seit Jahrzehnten ankündigt. „Den Stadtstaat aber zu zerschlagen und sieben Mini-Hamburgs zu schaffen wäre ein Fehler.“ Auch Linken-Verfassungspolitiker Tim Golke nennt es „fraglich, ob die Auflösung der Einheitsgemeinde die richtige Lösung ist“. Sogar die Grünen, lange Bündnispartner von Mehr Demokratie, wenden sich ab. Die Auflösung der Einheitsgemeinde durch Umwandlung der Bezirke in Kommunen hält ihr Fraktionschef Jens Kerstan für falsch: „Das würde mehr Probleme schaffen als lösen.“
Dass sich der Verein Mehr Demokratie mit seinem so weitreichenden Vorschlag am Ende durchsetzt, scheint aus heutiger Sicht nicht sehr wahrscheinlich. Nicht nur, weil er die gesamte Rathauspolitik gegen sich hat. Denn das allein könnte dadurch ausgeglichen werden, dass Bezirkspolitiker aller Parteien Gefallen daran finden, mit mehr Macht ausgestattet zu werden. Die Hürden bei verfassungsändernden Volksentscheiden allerdings sind hoch: Der Moorburger und sein Verein bräuchten eine Zweidrittelmehrheit. Die muss man erst mal holen.
Brandt ficht das nicht an. Er ist es gewohnt zu kämpfen, stets gelassen und mit der Ausdauer eines Marathonläufers. Auch dass CDU-Bürgermeisterkandidat Dietrich Wersich ihn schon persönlich zum großen Übel für Hamburg erklärt hat, lässt ihn nicht aufbrausen. Wenn’s ganz schlimm kommt und die Kirschenzeit auch schon vorbei ist, dann geht er eben raus auf seinen Moorburger Hof, „Steine kloppen“. Das hilft immer.