Das neue Buch des Schlafforschers Peter Spork verspricht mit einem Acht-Punkte-Programm Schlafharmonie. Der Hamburger Biologe erzählt eine Geschichte über unsere Schlafgewohnheiten.
Peter Spork holt eine große Wanduhr aus der Küche in sein Arbeitszimmer und dreht an den Zeigern. Schwarz auf weiß zeigt die Uhr schließlich die unwirtliche Zeit an, zu der hierzulande die Wecker rasseln: der Durchschnittsdeutsche steht unter der Woche um 6.18 Uhr auf. Das sei viel zu früh, sagt Spork, und hängt die Uhr über den Schreibtisch, an dem seine Bücher entstehen. Das neue Werk des Hamburger Biologen und Wissenschaftsjournalisten entwirft unter dem Titel „Wake up!“ die Vision einer ausgeschlafenen Gesellschaft. Denn wir sind chronisch müde.
Das liegt daran, dass die meisten Menschen ihre innere Uhr und ihr individuelles Schlafbedürfnis ignorieren. Bei der Einteilung unserer Zeit, erklärt Spork, kümmern wir uns immer weniger um den vorgegebenen Rhythmus von Tag und Nacht: „Wir haben verlernt, im Einklang mit der biologischen Taktung zu leben.“
Tagsüber sollten wir uns beispielsweise mehr im hellen Licht aufhalten und entsprechend in den Nächten die Dunkelheit suchen, damit unsere Körpersensoren die richtigen Signale bekommen. Tageshochs sollten für die Arbeit, Tagestiefs für Pausen genutzt werden. Fänden Schlaf, Aktivität und nicht zuletzt die Mahlzeiten jeweils zur rechten, von der Natur vorgesehenen Zeit statt, wären die Deutschen gesünder, schlanker und weniger erschöpft – das bestätigen alle aktuellen Forschungsergebnisse.
In Sporks Büro in Harvestehude steht meterweise wissenschaftliche Literatur. Hier sind die einschlägigen Werke der Schlafforschung und der Chronobiologie versammelt, der Lehre davon, wie biologische Uhren ticken. Die Erkenntnisse der Schlaf- und Zeitforscher wuchsen in den letzten zehn Jahren rapide. Spork versteht sich als Vermittler. Mit seinem fünften populärwissenschaftlichen Buch will der 49-Jährige den offensichtlichen Forschungsresultaten auch auf politischer Ebene Wahrnehmung verschaffen. Er führt aus, warum mit dem Zeitgefühl das Wohlbefinden der Menschen beeinträchtigt ist. Davon sind auch und gerade Politiker nicht ausgenommen.
„Schlaf sollte auf die politische Agenda gesetzt werden“
„Wir alle sind gerade am Schlafmangellimit. Schlaf und Rhythmus sollten auf die politische Agenda gesetzt werden“, sagt der in Frankfurt geborene Autor, der auch Vorträge hält und unter anderem für die Abschaffung der Sommerzeit eintritt, weil sie unsere innere Uhr monatelang aus dem Takt bringt. Im Erläutern komplexer Zusammenhänge hat er Erfahrung: 2009 erschien sein viel beachtetes Werk über Epigenetik, einen jungen Zweig der Biologie. Die Epigenetiker kamen zu dem Schluss, dass sich die Aktivität der Gene durch den Lebenswandel steuern lässt.
Wir können Einfluss nehmen auf unser körperliches Wohlbefinden – das ist die Grundlage auch des neuen Buches. „In meinen Augen müsste Ernährung, Bewegung und Schlaf ein Dreiklang sein. Doch Schlaf kommt noch unter ferner liefen“, so Spork. Wir schlafen auch deshalb zu wenig, im Schnitt unter sieben Stunden, weil wir den bewusstlosen Zustand lange nicht so wichtig nehmen, wie er ist. Arbeiten wir viel, kommt der Schlaf zu kurz, denn Freizeit wird ihm ungern geopfert. Außerdem fehlt uns der Sinn für chronischen Schlafmangel, der Körper gewöhnt sich daran.
Dass unsere grauen Zellen dabei immer schlechter funktionieren, wir schlicht dümmer werden, haben die Forscher längst bewiesen. Schließlich verfestigt das Gehirn während des Schlummers wichtige Gedächtnisinhalte und verwirft unwichtige, knüpft neue Zellkontakte und räumt auf. „Der Schlaf“, erklärt der Autor, der im Fachbereich Neurobiologie promoviert hat, „kam mit der Erfindung des Nervensystems in die Welt – mit der Fähigkeit, Informationen aufzunehmen und zu speichern. Die Aufnahme und Verarbeitung von Daten funktioniert besser, wenn das Gehirn abgeschaltet wird und nichts Neues dazukommt.“
Mit seinem Sachbuch möchte Spork keine Dogmen verkünden. Vielmehr will er eine gesellschaftliche Debatte auf wissenschaftlicher Basis anregen, für die es im Wortsinn höchste Zeit ist. Ganz konkret unterbreitet er Vorschläge in Form eines Masterplans. In diesem Acht-Punkte-Programm erfährt der Leser, was er selbst tun kann, was aber auch Gesetz- und Arbeitgeber tun müssten, um die Menschen im Land wieder mit ihrer inneren Uhr zu versöhnen.
Chronobiologie teilt Menschen in Lerchen und Eulen ein
Einiges davon ist vergleichsweise leicht durchzuführen – etwa der Vorschlag, mehr Licht in Büros und Klassenzimmer zu bringen, denn Licht ist ein starker Zeitgeber und macht wach. Andere Punkte des Plans klingen zunächst eher utopisch, obwohl der Autor überzeugende Argumente ins Feld führt: Volksgesundheit, Effektivität und Arbeitszufriedenheit würden wachsen, wenn zum Beispiel die Anwesenheitspflicht am Arbeitsplatz eingeschränkt würde, etwa zugunsten des Home Office. Wenn es längere Gleitzeiten und eine kürzere Kernarbeitszeit gäbe. Wenn die Schule später anfinge und wenn vor allem die Schichtarbeit so umstrukturiert würde, dass sie den individuellen Bedürfnissen der Arbeitnehmer entspricht.
Die Chronobiologie teilt die Menschen in zwei Kategorien ein: in Lerchen und Eulen. Ob jemand eine Lerche ist, die morgens früh wach und abends früh müde wird, oder eine Eule, die erst spät zur vollen Leistungsfähigkeit auffährt und dafür abends länger fit bleibt, ist in den Genen festgelegt. Die Bandbreite der Chronotypen ist so groß, dass selbst zwischen dem Tagesrhythmus einer moderaten Lerche und dem einer gemäßigten Eule noch einige Stunden Zeitunterschied liegen.
Auf diese Verschiedenheit nimmt unsere auf Frühaufsteher ausgerichtete Gesellschaft derzeit kaum Rücksicht, erläutert Spork in seinem Buch. Der Hang zum Morgengrauen ist kulturell bedingt, denn wer früh wach ist, gilt in Deutschland als fleißig und leistungsbereit. Die meisten Menschen jedoch schliefen, wenn man sie ließe, etwa von 0 bis 8 Uhr oder von 0.30 bis 8.30 Uhr. Für die Mehrheit beginnen Schule und Arbeit demnach zu früh, für manche Eule liegt die Zeit, die Spork demonstrativ auf der Küchenuhr eingestellt hat, noch in tiefster biologischer Nacht.
Am schwersten sind davon Teenager betroffen. Denn der Chronotyp ist nicht nur genetisch festgelegt, sondern verändert sich auch mit dem Alter. Während Kleinkinder und Senioren zur Lerchenhaftigkeit neigen, verwandeln sich Jugendliche in extreme Eulen – die demnach nicht aus Faulheit bis mittags schlafen und nicht aus Trotz gegen die Eltern bis in die Puppen feiern, vielmehr werden sie abends partout nicht müde und morgens nicht munter.
Morgens helfen kaltweiße Leuchtmittel beim Wachwerden
Spork schlägt für die Mittel- und Oberstufenschüler einen verspäteten Schulbeginn oder fließende Schulzeiten vor. Auch, weil chronischer Schlafmangel das Risiko für Übergewicht und ADHS erwiesenermaßen erhöht. Dass die Ergebnisse der Pisa-Tests deutlich besser ausfielen, würden sie von ausgeschlafenen Schülern absolviert, ist anzunehmen.
Spork hat selbst zwei Kinder im Nachteulenalter. Konsequent achtet er darauf, dass sein Sohn, 17, und seine Tochter, 14, ihr Schlafkonto ausgleichen, also wenigstens am Wochenende ihre „Monstereulenhaftigkeit“ ausleben können. Auch der Vater versucht, sich an Erkenntnisse seines Masterplans zu halten und beherzigt die eigenen Vorschläge im Arbeitsalltag. Als „eulenhafter Typ“ würde er am liebsten bis neun Uhr schlummern. Muss er wegen der Kinder früher aufstehen, geht der Freiberufler zunächst joggen, setzt sich dem Tageslicht aus: „Ich kann dann sowieso noch nicht denken.“
Anschließend erledigt Spork Dinge im Haushalt und macht sich dann an die Arbeit, die nach der Tageslichtdusche leicht von der Hand geht. Zwischendurch schiebt er gern ein Nickerchen am Schreibtisch ein, einen sogenannten Powernap. Abends versucht er, den Fernseher gar nicht und im Bad nur noch warmgelbes Licht einzuschalten, damit sich der Körper auf die Nacht einstellen kann. Morgens helfen dann wiederum kaltweiße Leuchtmittel beim Wachwerden. Seine Frau, erzählt Spork, besitze einen Lichtwecker, der mit Vogelgezwitscher und sich langsam steigernder Helligkeit arbeite, ein Sonnenaufgang im Schlafzimmer.
In zehn Jahren, hofft der Wissenschaftsautor, gehört zumindest die Sommerzeit der Vergangenheit an. Idealerweise wurde die Schichtarbeit reformiert und das rotierende Prinzip abgeschafft, vielleicht eine 30-Stunden-Woche eingeführt. Was die Verwirklichung der Schulgleitzeit angeht, ist Spork etwas skeptischer, obwohl viele junge Lehrer die Idee befürworten. Das Ziel ist, eine neue Zeitkultur zu schaffen, also unsere innere, persönliche Zeit mit der äußeren, sozialen Zeit in Einklang zu bringen. Weil alle Menschen innerlich verschieden sind, muss die äußere Zeit entsprechend individualisiert werden. Gelingt das, sind Wecker vielleicht eines Tages nicht mehr nötig.