Vom kommenden Donnerstag müssen die Eltern innerhalb von drei Wochen 63.000 Unterschriften für den längeren Weg zum Abitur am Gymnasium sammeln, damit es zu einem Volksentscheid in Hamburg kommt.
Hamburg. Die 1000 Plakate, auf einer Palette gestapelt, sind gerade angeliefert worden. Die 10.000 Flyer fehlen noch, obwohl sie längst da sein sollten. Es herrscht eine Mischung aus freundlichem Chaos und Aufbruchstimmung im Kampagnenbüro der Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ an der Steintwiete. „Lasst uns mehr Zeit zum Lernen und Leben!“, mit diesem Slogan aus Schülersicht für die Rückkehr zum ein Jahr längeren Weg zum Abitur (G9) am Gymnasium zieht die Initiative in die „heiße Phase“ des Volksbegehrens: Vom kommenden Donnerstag an haben die G8-Gegner drei Wochen lang Zeit, rund 63.000 Unterschriften für ihr Anliegen zu sammeln.
„Unser Geld reicht nicht für gigantische Plakataktionen“, sagt G9-Initiatorin Mareile Kirsch. „Hinter uns stehen keine Kammern, Kirchen oder Verbände“, betont die Journalistin und zweifache Mutter. Plakate und Flyer seien spendenfinanziert. „Viele Kleckerbeträge. Wir sind eine reine Elterninitiative“, so Kirsch.
Vom Wochenende an wollen Aktivisten-Teams „in allen Stadtteilen“ an den Start gehen, um für die Rückkehr zur längeren Schulzeit am Gymnasium zu werben. „Wir werden nicht in Riesenmengen durch die Stadt ziehen“, sagt Kirsch. „Wir sind eine dezentrale Sammlergemeinde.“ Eine „ansehnliche Zahl“ von Frauen und Männern habe ihre Bereitschaft erklärt, Unterschriften zu sammeln. Auf wie viele Mitstreiter Kirsch setzen kann, will sie nicht verraten: „Das ist unser Geheimnis.“
Das Hamburger Volksabstimmungsgesetz sieht vor, dass die erforderlichen Stimmen im Wesentlichen „auf der Straße“ gesammelt werden müssen. Deswegen ziehen die Unterstützer der G9-Initiative mit Unterschriftenlisten los. „Wenn alle Mitstreiter eine bestimmte Zahl von Unterschriften mitbringen, haben wir es eigentlich schon geschafft. Wir sind sehr zuversichtlich“, sagt Kirsch.
Die G9-Frontfrau betont, dass die Initiative auch vor Schulen Unterschriften sammeln werde. „Das ist unser gutes Recht, schließlich ist das öffentlicher Grund“, sagt Kirsch. Bei einem Vorfall in Eppendorf hatten eine Schulleiterin und eine Elternratsvorsitzende laut Kirsch versucht zu verhindern, dass G9-Aktivisten Eltern und Schüler vor dem Schulgebäude ansprechen. Kirsch: „Das ist rechtlich geklärt. Wir dürfen das.“ Nicht erlaubt ist jedoch, in Schulgebäuden auf Stimmenfang zu gehen.
Aus einem ähnlichen Grund ist die G9-Initiative empört über das Vorgehen des Katholischen Schulverbandes, der wie berichtet 20.000 Flyer an den katholischen Schulen, Kitas und Pfarrgemeinden verteilt. Motto: „Nein zum Volksbegehren! Keine Unterschrift für G9 an Gymnasien.“ Hier zeigt sich laut Kirsch die „Übermacht der Politik“, die es Lehrern an den Privatschulen nicht einfach mache, sich öffentlich positiv zu G9 zu äußern. „Schulen sollten keine politische Einflussnahme zulassen“, so Kirsch.
Der fraktionslose Bürgerschaftsabgeordnete und einstige Primarschul-Verhinderer Walter Scheuerl geht einen Schritt weiter. „Die Kampagne des Katholischen Schulverbands ist rechtlich offenkundig unzulässig“, sagt der Rechtsanwalt. Scheuerl beruft sich auf die „Geschäftsordnungsbestimmung“ der Schulbehörde zur „Politischen Werbung in Diensträumen“. Darin heißt es unter anderem: „In den Diensträumen der Behörde für Schule und Berufsbildung darf nicht für politische Parteien und Organisationen sowie für politische Vereinigungen und Verbände durch Wort, Bild, Film- oder Tonveranstaltungen geworben werden.“
Doch der Katholische Schulverband weist die Kritik zurück. „Wir sind als Privatschulträger nicht vom politischen Neutralitätsgebot berührt“, sagt Verbandssprecher Christoph Schommer. „Wir nehmen Stellung zu einem gesellschaftspolitischen Thema, das in der Stadt breit und kontrovers diskutiert wird.“
Unterstützung kommt aus der Schulbehörde. „Das Katholische Schulamt unterliegt nicht dem politischen Neutralitätsgebot, das für das staatliche Schulwesen gilt“, sagt Behördensprecher Peter Albrecht. „Denn den Familien steht es frei, ihre Kinder auf einer katholischen Schule anzumelden oder eben nicht.“ Im Hamburgischen Privatschulgesetz ist geregelt, dass den Schulen in freier Trägerschaft „die Schulgestaltung, insbesondere die Entscheidung über eine besondere pädagogische, religiöse oder weltanschauliche Prägung“ obliegt. Die Behörde könne nur einschreiten, wenn etwa Schüler „aufgrund von abweichenden politischen Einstellungen“ diskriminiert würden oder Grundsätze eines pluralen Politikunterrichts verletzt seien.
Die Volksinitiative „G9-Jetzt-HH“ fordert an allen Gymnasien Wahlfreiheit zwischen G8 und G9. „Wir wollen ein Angebot für G9 schaffen, aber niemanden zwingen“, sagt Kirsch. Den längeren Weg zum Abitur bieten allerdings in Hamburg bereits die Stadtteilschulen flächendeckend an.