Gespräch mit Garegin Tsaturov, dem russischen Chef der ältesten deutschen Werft, über die Krise in der Ukraine und neue Arbeitsplätze in Neuenfelde. Tsaturov gab das erste Interview nach der Übernahme.

Im März übernahm das russische Unternehmen Pella Shipyard der Familie Tsaturov Deutschlands älteste Werft Sietas aus deren Insolvenz heraus. Garegin Tsaturov, 51, ist seither Chef der Werft Pella Sietas in Hamburg Neuenfelde. Im September eröffnet Pella an seinem Stammsitz bei St. Petersburg einen zweiten Werftstandort. Insgesamt arbeiten für das Unternehmen derzeit rund 3500 Menschen. Bei Pella Sietas sind mittlerweile wieder rund 120 Mitarbeiter beschäftigt, bei der Übernahme waren es nur noch 45. Bei der weltgrößten Schiffbaumesse SMM vom 9. bis zum 12. September in Hamburg zeigt Pella Sietas seine geplanten neuen Schiffstypen. Dem Abendblatt gab Tsaturov das erste Interview nach der Übernahme.

abendblatt.de: Herr Tsaturov, seit der Übernahme im März bauen Sie Pella Sietas neu auf. Ausgerechnet jetzt eskaliert die schwerste Krise seit Jahrzehnten zwischen der Europäischen Union und Russland im Konflikt um die Ukraine. Was bedeutet das für Ihre Pläne?

Garegin Tsaturov: Deutschland und Russland können sich ohne einander nicht entwickeln. Es war Gottes Wille, dass unsere Länder in Nachbarschaft liegen und dass sie deshalb aufeinander angewiesen sind. Über die schlimmen Phasen unserer gemeinsamen Geschichte müssen wir in diesem Zusammenhang nicht sprechen. Nur durch gemeinsames Schaffen können wir uns miteinander weiterentwickeln.
Die EU – wie auch die USA – haben Sanktionen gegen Russland verhängt, umgekehrt gibt es russische Sanktionen gegen westliche Staaten, beides könnte noch verschärft werden. Gefährdet das Ihr Ziel, Pella Sietas wieder an den Markt zu bringen?



Tsaturov: Wir sind als privatwirtschaftliches Unternehmen von den Sanktionen bislang nicht betroffen, und wir halten uns strikt aus der Politik heraus. Insofern sehe ich die Situation derzeit entspannt.

Als russischer Unternehmer in Deutschland werden Sie in dieser Zeit besonders aufmerksam beobachtet. Was können Sie als Unternehmer, was kann die Wirtschaft beitragen, um den politischen Konflikt zu entschärfen?

Tsaturov: Politik ist immer begleitet von großen Emotionen. Wirtschaft funktioniert sachlicher und in vieler Hinsicht logischer. Als Unternehmer und als Arbeitgeber bin ich hier natürlich eine öffentliche Figur. Mit dem Aufbau von Pella Sietas setzen wir ein klares und positives Signal dafür, dass wir in und mit Deutschland arbeiten wollen. Was kann für uns als Werftunternehmen besser sein, als auch am Standort Hamburg Schiffe zu bauen – mit einem Traditionsnamen wie Sietas als Bestandteil? Generell glaube ich, dass jeder wirtschaftliche Fortschritt zwischen unseren Staaten auch zur politischen Entspannung beiträgt. Der Handel und der wirtschaftliche Austausch hat in politisch schwierigen Zeiten immer schon Brücken gebaut.
Wie kommen Sie beim Wiederaufbau der Werft in Neuenfelde voran?



Tsaturov: Ich bin sehr zufrieden, dass wir Sietas übernommen haben. Wir haben jetzt bereits wieder 120 Mitarbeiter auf der Werft, diesen Stand wollten wir ursprünglich erst zum Ende des Jahres erreichen. Viele ehemalige Sietas-Mitarbeiter sind wieder dabei. Sie werden dazu beitragen, das große technologische Image der Werft in die Zukunft fortzuschreiben. Grundlegend bleibt es bei unserem Plan, die Belegschaft bis Ende 2016 auf 400 Personen aufzubauen und bis dahin 15 Millionen Euro zu investieren. Je nach Auftragslage können diese Zahlen auch höher ausfallen.

Welche und wie viele Aufträge für neue Schiffe hat Pella Sietas bislang?

Tsaturov: Die Ingenieure auf der Werft konstruieren derzeit zwei eisgängige Schiffe für Pella, eines mit 65 Metern und ein weiteres mit 110 Metern Länge. Mit deren Bau werden wir in Neuenfelde wohl im Sommer 2015 beginnen. Auf der Schiffbaumesse SMM Anfang September präsentieren wir unsere neuen Schiffstypen. Anfang 2017 wollen wir unsere ersten Schiffe bei Pella Sietas in Hamburg abliefern.

Welche Schiffstypen konstruiert und baut Pella Sietas jetzt und künftig?

Tsaturov: Unser strategisches Ziel ist es, vor allem eisgängige Spezialschiffe für die Erschließung von Ressourcen in den arktischen Gewässern zu bauen: Eisbrecher, Versorgungsschiffe, Tanker für verflüssigtes Erdgas und andere Typen. Russland wird durch seine lange Küste am Nordmeer erheblichen Anteil an diesem Geschäft haben. Durch die Bündelung unserer Erfahrungen aus dem russischen und dem deutschen Schiffbau wiederum können wir in dieser Marktnische mit Pella Sietas eine führende Rolle einnehmen. Das Gros des internationalen Schiffbaus liegt zwar längst in Asien. Aber bei eisgängigen Schiffen haben wir hier nach wie vor einen technologischen Vorsprung. Pella Sietas soll an diesem Markt sowohl als Bauwerft agieren wie auch als Ingenieurbüro für andere Werften.

Ist es schwierig, gutes Personal für die Werft zu bekommen – gerade auch vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise?

Tsaturov: Ich habe diesen Eindruck bislang nicht. Wir stellen permanent ein. Und wir wollen die Besten haben, um dem Qualitätsnimbus von Sietas auch in Zukunft gerecht werden zu können. Ich finde es in diesem Zusammenhang zudem sehr erfreulich, dass auch viele langjährige und sehr erfahrene Schiffbauer von Sietas den Weg zurück ins Unternehmen finden, die seinerzeit während der Insolvenz ihren Arbeitsplatz verloren haben.

Wird Pella Sietas längerfristig quasi als Subunternehmer für das Mutterunternehmen Pella arbeiten?

Tsaturov: Nein, wir wollen international Aufträge akquirieren. Für die Startphase bietet es sich allerdings an, dass Pella Sietas bereits bestehende Aufträge von Pella bearbeitet.

Wie wird sich die Krise in Osteuropa entwickeln, die sich stetig zuspitzt? Welche Erwartung haben Sie persönlich?

Tsaturov: Meine Erfahrung und Überzeugung ist: Je heftiger eine solche Krise ausfällt, desto intensiver wird danach die Zusammenarbeit der Streitparteien sein. So wird es auch diesmal kommen.