Am Rande des Besuchs des Dalai Lama richtet Exil-Ministerpräsident Lobsang Sangay einen dramatischen Appell an den Westen. In der Tibet-Frage spielen die Chinesen auf Zeit.

Hamburg. Mehr Symbolik geht kaum: Der Dalai Lama steckt nach einem Besuch im Völkerkundemuseum an der Rothenbaumchaussee im Fahrstuhl fest, nachdem er die Hamburger Schätze zur tibetischen Kultur angeschaut hat. Und fast zur selben Zeit in wenigen Hundert Metern Entfernung richtet sein Nachfolger einen dramatischen Appell an den Westen.

Der Ministerpräsident der Exilregierung, Dr. Lobsang Sangay, warnte in kleinem Kreis im Hotel Grand Elysée vor der Zerstörung der tibetischen Kultur, der Umwelt in Tibet und letztendlich vor der Zerstörung aller Lebensgrundlagen der Menschen in der chinesischen Hochlandprovinz. Und: Die Beziehungen zwischen den Exil-Tibetern und den Chinesen kämen seit Jahren nicht voran: Stillstand.

Sangay, der vor drei Jahren vom Dalai Lama die politische Führung der Exilregierung übernahm, warf den Chinesen vor, die Realität in Tibet verzerrt darzustellen. „Sie behaupten noch immer, wir seien Separatisten und wollten unseren eigenen Staat“, warf er Peking vor. „Dabei streben wir zwar eine Autonomie und den Schutz unserer Minderheit an, aber alles im Rahmen der chinesischen Gesetze.“

Die Tibeter haben große Angst davor, dass viele Trends den Chinesen in die Hände spielen. Da ist zum einen das demografische Problem. Immer mehr chinesische Siedler kommen nach Tibet. Die Nomaden – gewürdigt in der Hamburger Ausstellung – werden nach Sangays Worten zu festen Wohnsitzen gezwungen. „Ohne fließendes Wasser, ohne Perspektive.“

Außerdem, so Sangay, 46, zerstörten die Chinesen unter anderem durch intensiven Abbau von Bodenschätzen die Umwelt. Weiterhin führten der Klimawandel und die Erderwärmung dazu, dass die Gletscher schneller schmelzen. „Bislang hält der strenge Winter in 4000 Meter Höhe noch viele Chinesen von einer dauerhaften Ansiedlung ab. Künftig kann sich das ändern“, so Sangay.

Im vergangenen Jahr hätten sich 130 Tibeter aus Protest gegen Peking selbst angezündet, 112 seien gestorben. China stelle auch deshalb die Exil-Tibeter als Separatisten dar, weil sie dann ausländische Regierungen kritisieren könnten, wenn diese zu Sangay und dem Dalai Lama Kontakte unterhielten. Und: „Überall auf der Welt gibt es gewaltsame Konflikte, in Syrien, Gaza, im Irak. Dort wollen verschiedene Gruppen ihre Interessen mit Waffen durchsetzen. Wir sind gewaltlos und friedlich.“

Und deshalb, Ironie der Geschichte, werden die Scheinwerfer der internationalen Öffentlichkeit seltener Richtung Tibet gerichtet. Was Sangay nicht sagte: Sollte der Dalai Lama als Identifikationsfigur und globale Ikone eines Tages nicht mehr sein, stünde nicht sofort ein gleichwertiger geistlicher Nachfolger bereit. Die Uhr tickt für China.

Die in Hamburg vorgestellte Kampagne des Mittelweges (“Middle way approach“) für die Beziehungen zwischen Exil-Tibetern und dem chinesischen Regime soll die Gespräche mit Peking wiederbeleben helfen. „Tibet ist der dunkle Schatten auf Chinas Image“, glaubt Sangsay. „Es belastet die Glaubwürdigkeit der Chinesen.“

Auf der am Mittwoch in Hamburg beginnenden sino-tibetischen Konferenz wollen Fachleute den „Mittelweg“ diskutieren. Sangay setzt darüber hinaus auf den neuen chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping. Dessen Vater galt als liberal und soll sogar 1989 das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens kritisiert haben.

In Hamburg hat am Montag auch der Dalai Lama noch einmal betont: „Es geht nicht nur um eine politische Lösung für Tibet, sondern es geht um Gerechtigkeit für die Tibeter.“