Mit nur drei Jahren starb die kleine Yagmur aus Hamburg qualvoll. Ein Polizist berichtet vor Gericht über Details aus den WhatsApp-Nachrichten der angeklagten Eltern. Unterdessen räumt Bezirksamtsleiter Grote Versäumnisse seiner Behörde ein.

Hamburg. Der Fall Yagmur hat am Donnerstag sowohl das Hamburger Landgericht als auch den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss beschäftigt. Im Prozess wurden neue Details über die Kommunikation der Eltern bekannt - im Untersuchungsausschuss gab Grote zu, dass das Jugendamt nicht nah genug an dem Mädchen dran gewesen sei.

Der Prozess im Landgericht

Die angeklagte Mutter der getöteten Yagmur aus Hamburg hat in einer WhatsApp-Nachricht an ihren Ehemann eingeräumt, dass sie das kleine Mädchen geschlagen hat. Ihr Partner habe geschrieben, dass sie sich wegen ihrer Gewalttätigkeit von einem Therapeuten helfen lassen müsse, sagte ein Kriminalbeamter am Donnerstag vor dem Landgericht – sonst werde er sich an Polizei oder Jugendamt wenden.

„Sag denen nicht, dass ich mein Kind schlage“, habe die Mutter geantwortet. Noch auf dem Weg zur Polizeiwache, direkt nach dem gewaltsamen Tod des Mädchens, habe sie den Chatverlauf komplett gelöscht. Der Polizist hatte die Handy-Daten des mitangeklagten Vaters ausgewertet. Die dreijährige Yagmur war kurz vor Weihnachten 2013 in der Wohnung ihrer Eltern an den Folgen von Misshandlungen gestorben. Die 27 Jahre alte Mutter steht wegen Mordes vor Gericht, sie soll ihre Tochter aus Hass zu Tode misshandelt haben. Der ein Jahr jüngere Vater muss sich verantworten, weil er das Kind nicht geschützt haben soll. Vor Gericht haben beide bisher zu den Vorwürfen geschwiegen.

Mutter nach Yagmurs Tod „emotionslos“

Aus dem Chatverlauf des Paares gehe hervor, dass die Mutter ihr Kind gehasst habe, erklärte der Kriminalbeamte. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Nachrichten – wie von der Angeklagten vermutet - nachträglich manipuliert worden seien: „Sämtliche Nachrichten wurden von der Mutter geschrieben.“ Er habe die 27-Jährige nach Yagmurs Tod als „auffallend kühl“ wahrgenommen. „Dafür, dass sie gerade ihre Tochter verloren hatte, fand ich sie auffallend emotionslos. Sie war zu keinem Zeitpunkt von irgendwelcher Trauer gekennzeichnet.“ Der Vater dagegen habe vom Weinen blutunterlaufene Augen gehabt.

Die WhatsApp-Nachrichten des Paares hatten bei den Ermittlungen um Yagmurs Tod zu einer überraschenden Wende geführt. Ursprünglich galt der Vater als Hauptverdächtiger, doch dann kehrte sich der Tatverdacht um und die Mutter rückte ins Zentrum. Rund anderthalb Wochen vor dem Tod des Mädchens hat Yagmurs Vater mehreren Freunden erzählt, dass seine Frau das Kind misshandele – das sagten drei Zeugen vor Gericht. Bei einem sehr emotionalen Treffen an einem Kiosk hätten sie mit anderen Wodka getrunken, erklärte ein 27-Jähriger.

Der Vater schwieg - aus Angst vor dem Jugendamt

Der Angeklagte habe plötzlich geweint und ihm erzählt, seine Tochter werde geschlagen. Mit eindringlichen Worten habe er dem Freund geraten: „Du musst was machen, oder willst Du Dein Kind am nächsten Tag tot auffinden? Du musst was machen, irgendwann ist es zu spät.“ Der Angeklagte habe aber Angst gehabt, zum Jugendamt zu gehen - aus Sorge, seine Tochter werde ihm weggenommen.

Ein 26 Jahre alter Zeuge sagte, Yagmurs Mutter habe viel mit anderen Männern geflirtet – auch wenn ihr Partner dabei war. „Sie war kein gutes Mädchen. Sie war kein guter Umgang für ihn.“ Er selbst habe auch eine Affäre mit ihr gehabt. In den Anfängen der Beziehung zwischen den Angeklagten – vor etwa vier oder fünf Jahren – habe er zweimal gesehen, dass sein Freund der Frau eine Ohrfeige gegeben habe, erklärte der 26-Jährige. „Er hat ihr eine geknallt. Es war eine normale Backpfeife.“ Yagmurs Vater habe sich geärgert, dass die Frau mit anderen herumgemacht habe.

Grote sagt im Untersuchungsausschuss aus

Unterdessen beschäftigte sich auch der Parlamentarische Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft weiter mit dem Tod des Kindes. Der Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, Andy Grote, räumte Fehler seiner Behörde ein. „Wir waren nicht dicht genug an dem Mädchen dran, die Gefährdungssituation ist nicht richtig eingeschätzt worden“, sagte Grote am Donnerstag vor dem Ausschuss. Gleichzeitig verwies er auf zahlreiche Maßnahmen, die nach Yagmurs Tod umgesetzt worden seien, um derartige Fälle künftig zu vermeiden.

Im Anschluss an Grotes rund vierstündiger Aussage wollte der Ausschuss noch die Bezirksamtschefs von Hamburg-Eimsbüttel und Bergedorf, Torsten Sevecke und Arne Dornquast, als Zeugen befragen.

Yagmur starb am 18. Dezember 2013 mutmaßlich durch die Hand ihrer Mutter an den Folgen von Misshandlungen, obwohl das Kind seit seiner Geburt von insgesamt drei Jugendämtern betreut worden war. Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss geht es um die strukturellen und politischen Verantwortlichkeiten. Die Abgeordneten untersuchen, inwieweit den Behörden Versäumnisse anzulasten sind.

Versäumnisse im Jugendamt Mitte

Bereits Anfang 2012 war das Jugendamt Mitte unter Druck geraten, weil das Pflegekind Chantal an einer Überdosis Methadon starb. Das elfjährige Mädchen lebte in Hamburg-Wilhelmsburg bei drogensüchtigen Pflegeeltern. Damals wurden ebenfalls zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Arbeit der Hamburger Jugendämter zu verbessern, der Tod Yagmurs konnte allerdings so nicht verhindert werden.

Zuletzt hatte der Chef des Jugendamts Hamburg-Mitte, Peter Marquard, enorme Schwierigkeiten im Arbeitsalltag beschrieben. „Die hohe Fluktuation führt immer wieder dazu, dass Stellen vorübergehend nicht besetzt sind.“ Grote sagte, inzwischen seien erhebliche Anstrengungen unternommen worden, um die Personalprobleme beim ASD zu lösen. Es seien nahezu alle Stellen besetzt, die Teamentwicklung funktioniere und die Kommunikation habe sich deutlich verbessert. „Da ist viel passiert“, sagte der 46-Jährige.

Zudem sei ein Risikomanagement aufgebaut worden und eine Kultur der Offenheit und Selbstkritik habe Einzug gehalten. Grote betonte: „Ganz viel hängt an den ASD-Leitungen.“ Auch die Kinderschutzkoordinatoren müssten weiter gestärkt werden.

Zu Beginn der Sitzung musste sich Grote vor dem Ausschussvorsitzenden André Trepoll (CDU) allerdings dafür rechtfertigen, dass einer seiner Mitarbeiter vor der Zeugenaussage des Bezirksamtschefs vom Ausschuss Sitzungsprotokolle angefordert hatte. Trepoll erinnerte ihn daran, dass das zum einen verboten sei und dass es zum anderen in der sogenannten Protokollaffäre genau wegen solch eines Falls schon einmal einen Untersuchungsausschuss gegeben habe. Grote räumte ein, dass er das wisse und nannte sein Vorgehen eine Ungeschicklichkeit, die er schon durch ein wenig Nachdenken hätte verhindern können.