Mehr als 30 waren aus der Hansestadt nach Syrien gezogen. Der neue Chef des Verfassungsschutzes Torsten Voß warnt vor dem radikalen Islamismus und erläutert seine Prioritätensetzung.
Hamburg. Bei seiner Amtseinführung vor drei Wochen hat sich der neue Leiter des Landesamts für den Verfassungsschutz, Torsten Voß, klar positioniert. Sein Hauptaugenmerk gelte dem islamischen Terrorismus. Im Interview mit dem Hamburger Abendblatt erläutert der 49-Jährige seine Prioritätensetzung und die Gefahr, die von den Rückkehrern aus dem Nahen Osten ausgeht.
Hamburger Abendblatt: Wie hat sich die Salafisten-Szene entwickelt?
Torsten Voß: Bundesweit ist die Zahl der Salafisten von 2011 bis Mitte dieses Jahres um rund 4000 auf über 6000 angestiegen. In Hamburg kennen wir 240 Salafisten.
Wie geraten hier aufgewachsene Hamburger in die Salafisten-Szene?
Voß: Wir stellen fest, dass sich manche religiös motivierte Extremisten viel schneller radikalisieren als früher. Eine wichtige Rolle spielt dabei das Internet. Was früher Wochen, Monate und Jahre dauerte, geht heute viel schneller. Der salafistische Prediger Pierre Vogel versucht auf seine Weise, junge Leute zu gewinnen. Wir haben festgestellt, dass Leute, die während seiner Veranstaltung konvertieren, eine Handynummer bekommen, als Kontakt zur Szene. Auch die Dawa-Stände, an denen Korane verteilt werden, haben wir im Blick, dahinter stehen in der Regel Salafisten. Denen geht es nicht um Informationen über den Islam, im Gegenteil: Sie missbrauchen den Islam für ihre Zwecke. Uns sind Einzelfälle bekannt, dass sich Personen, die Korane verteilten, auch später nach Syrien aufgemacht haben. Der wichtigste Anlaufpunkt der salafistischen Szene ist die Taqwa-Moschee in Harburg. Hier treffen sich auch jihadistische Salafisten. Auch solche Orte spielen bei der Nachwuchsgewinnung, bei der Radikalisierung und Rekrutierung für Syrien eine Rolle.
Gibt es Rückkehrer aus dem Kampfgebiet, und wie werden sie eingeschätzt?
Voß: Wir wissen von mehr als 30 aus Hamburg, die sich nach Syrien aufgemacht haben. Gut die Hälfte davon hat die Grenze überquert. Mindestens fünf wurden getötet. Ein Drittel der Ausgereisten sind Konvertiten. Auch mindestens eine Frau ist darunter. Von denen, die Syrien erreicht haben, sind knapp zehn wieder zurück in Hamburg. Von einigen wenigen nehmen wir an, dass sie Kampferfahrung haben, die haben wir besonders im Fokus. Fakt ist: Wir haben Salafisten in Hamburg, die den Dschihad zumindest befürworten. Und wir haben einzelne Personen, die auch in Syrien waren. Wir haben zwar derzeit keine konkreten Anschlagsdrohungen. Aber wir haben eine hohe abstrakte Gefährdung, die sich jederzeit bis hin zu Anschlägen konkretisieren kann.
Warum werden die Koranstände nicht verboten?
Voß: Die Salafisten sind sehr geschickt und halten sich ans Wegerecht und die Auflagen. Aber: Es sind Salafisten, die an den Ständen den Islam missbrauchen, weil sie zwar den Koran verteilen, weil aber ihr Ziel nicht die Verbreitung der Religion ist. Die Aufklärung darüber ist ein Mittel im Kampf gegen den Salafismus. Wenn wir Straftaten feststellen sollten, dann muss am Ende das Ziel sein, diese Stände zu verbieten. Im Übrigen gibt es ein Strafverfahren gegen einen Hamburger Salafisten, der nach Syrien gereist ist und dort an Erschießungen beteiligt gewesen sein soll.
Thema Linksextremismus: Müssen wir angesichts des Gewaltausbruchs im Dezember von einem neuen Linksterrorismus sprechen?
Voß: Erkenntnisse über einen neuen Linksterrorismus gibt es nicht. Aber die Demo vom 21. Dezember hat gezeigt, dass wir von anderen Qualitäten reden müssen. Wenn sich mehr als 7000 Linksextremisten aus Deutschland und Europa in Hamburg treffen, davon 4000 gewaltbereit sind, dann hat das eine andere Bedeutung. So etwas gab es seit Hafenstraßen-Zeiten nicht mehr. Dazu kommen die Ereignisse rund um dieses Datum, etwa der Angriff auf die Davidwache. Nicht zu vergessen die unerträglichen Attacken auf Wohnhäuser und Büros von Abgeordneten, Senatsvertretern bis hin zum Bürgermeister. Sie sind auch ein Angriff auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung. Innerhalb der Militanz-Debatte, die unter Linksextremisten vorwiegend im Internet betrieben wird, stellen wir fest, dass die Gewalt gegen Polizisten, insbesondere gegen Beamte in Schutzanzügen, legitimiert wird, als Gewalt gegen „Robocops“, ein Ausdruck, der eine Entmenschlichung suggeriert.
Was macht die rechtsextreme Szene?
Voß: Während die Linksextremen weiter junge Menschen anziehen, kann die rechte Szene nur wenig Nachwuchs generieren. Eine Ausnahme ist die Gruppierung „Weiße Wölfe Terrorcrew“. In Hamburg sind wichtige Protagonisten von der Bildfläche verschwunden. Christian Worch, Gründer der Partei Die Rechte, ist nicht mehr hier. Gegen den NPD-Landeschef Thomas Wulff läuft ein Parteiausschlussverfahren. Jürgen Rieger, der die Szene maßgeblich finanzierte, ist tot. Dennoch bleibt der Rechtsextremismus ein Schwerpunkt, denn man kann die Gefahr nicht nur anhand nackter Zahlen bewerten. Wenn ein Rechtsextremist eine Straftat gegen einen Mitbürger mit Migrationshintergrund begeht, ihn verletzt oder rassistisch beleidigt, dann fühlen sich viele Hamburger mit Migrationshintergrund bedroht. Diese Signalwirkung ist verheerend, deswegen werde ich künftig alles daransetzen, eine Verfestigung der Szene zu verhindern.
Wie wollen Sie den extremen Szenen begegnen?
Voß: Der Schwerpunkt meiner Arbeit wird die Beobachtung und Bekämpfung des gewaltbereiten Extremismus sein – der islamistische Terrorismus, die aktionistischen Neonazis und die gewaltbereiten Linksextremisten, insbesondere Autonome und Antiimperialisten. Zudem werde ich die Arbeit des Verfassungsschutzes noch intensiver auf das Internet konzentrieren. In allen Extremismus-Phänomenen ist es die wichtigste Kommunikationsplattform. Aus sozialen Netzwerken schöpfen wir viele Informationen. Dort müssen die Sicherheitsbehörden Schritt halten.