Das Flüchtlingsschiff war für Tausende vietnamesische Bootsflüchtlinge der rettende Anker in höchster Not. Mitgründer Rupert Neudeck hat viel Lob für eine vielgescholtene Behörde übrig.
Hamburg. Rupert Neudeck (75), Mitgründer und Gesicht der Hilfsorganisation „Cap Anamur“, hat die EU-Flüchtlingspolitik als „katastrophal“ kritisiert. Die Länder in Nord- und Mitteleuropa müssten mehr Flüchtlinge aufnehmen, um Mittelmeerstaaten wie Italien, Spanien oder Malta zu entlasten, sagte Neudeck am Sonnabend in Hamburg. Gleichzeitig sprach er dem italienischen Küstenschutz ein Lob für seine humanitäre Hilfe aus: „Die italienischen Marine hat 73000 Flüchtlinge aus Seenotgerettet. Statt über Italien zu schimpfen würde ich der italienischen Marine für ihre Operation Mare Nostrum den Friedensnobelpreis verleihen“, sagte Neudeck.
Auf einer Veranstaltung mit den ehemaligen Bundesvorsitzenden von SPD und FDP, Franz Müntefering und Philipp Rösler, feierte die Initiative in der Hansestadt am Sonnabend ihr 35-jähriges Bestehen. Zudem nahm der Weihbischof im römisch-katholischen Erzbistum Hamburg, Hans-Jochen Jaschke, an der Veranstaltung teil.
Vor fünf Jahren hatte Müntefering den Gedenkstein – mit dem die früheren „Boatpeople“ die Initiative würdigten – an den Landungsbrücken enthüllt. Auch am Samstag waren mehr als 1000 Unterstützer und ehemalige Passagiere des Flüchtlingsschiffs nach Hamburg gekommen: Kinder führten einen Tanz in asiatischen Drachenkostümen auf. Ein Sprecher der Vietnamesen bedankte sich für dasEngagement desFlüchtlingsprojekts.In einer Schweigeminute wurde der auf der Flucht ums Leben gekommenen Menschen gedacht. Teilnehmer schwenkten neben deutschen auch südvietnamesische Fahnen.
Die „Cap Anamur“, das namensgebende Frachterschiff, war am 9. August 1979 im japanischen Kobe ausgelaufen. Etwa zweieinhalb Monate später fischte die Crew die ersten Menschen von „Nussschalen“ aus dem Meer - es waren die ersten 170 von rund 11.000 vietnamesischen Flüchtlingen, die die Mannschaft zwischen 1979 und 1986 aus dem Südchinesischen Meer barg. „Sie haben sich in Fischer- und Flussbooten wie Lemminge in die See geworfen“, erinnerte sich Neudeck an die erste Rettungsaktion, „vier Tage und vier Nächte waren sie unterwegs, wie in einer Sardinendose eingeklemmt“.
Viele Flüchtlinge fand Neudeck auch späterin meist schlechtem körperlichen Zustand vor: Oft waren ihre Muskeln derart erschlafft, dass sie eine Strickleiter nicht mehr hätten hochklettern können. Die „Cap Anamur“ hievte sie deshalb mit einem Kran, an dem eine Plattform angebracht war, ans rettende Deck. Auf dem umgebauten Frachter kamen bis zu 600 Menschen unter, die Schwimmwesten dienten den Geretteten als Kopfkissen. Unter Deck war eine große Küche eingerichtet, ebenso ein kleines Hospital mit mehreren Ärzten und Krankenschwestern. Auf der Fahrt nach Europa brachten die Mediziner den Flüchtlingen die ersten Worte auf Deutsch bei. Auch Kinder wurden auf hoher See geboren- eines von ihnen sei „Anamur“ getauft worden, sagte Neudeck.
Inzwischen agiert die Rettungsinitiative weltweit: In 59 Ländern waren die Teams mit mehr als 1000 Mitarbeitern bislang im Einsatz - aktuell in Krisenregionen des Nahen Ostens, Nordkorea oder Zentral- und Westafrika.