21-Jähriger brüllte Parolen für ein Bleiberecht der Lampedusa-Flüchtlinge. „Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans“, lautete die Anklage. Der junge Mann zeigte Einsicht.
Hamburg. Es ging um das Thema „Aufenthaltsrecht für Lampedusa“ und die Emotionen schlugen hoch auf der Zuschauertribüne der Bürgerschaft am 9. April dieses Jahres – rund 30 Unterstützer der sogenannten Lampedusa-Gruppe wollten nicht bis zum offiziellen Beginn der ersten Debatte warten. Sie riefen Parolen, ein Plakat mit: „Welcome Refugees“ wurde entrollt und die Bürgerschaftssitzung für rund zehn Minuten gestört. Nun ist das Amtsgericht damit befasst, weitere Fälle sind noch gegen andere Beteiligte anhängig.
„Hi“, begrüßt Tom R., 21, fröhlich die Jugendrichterin, als er zu seinem Prozess am Mittag erscheint, ein schlaksiger junger Mann mit pinkfarbenem Irokesen-Haarschnitt, Kapuzen-shirt und Shorts. „Ich hasse das“, murmelt er genervt, als Medienvertreter ein paar Aufnahmen von ihm machen. Einst war er nicht so medienscheu, als er sich in der Bürgerschaft als Zuschauer in Szene setzte. „Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans“, lautet die Anklage. Für ihn gelte noch Jugendrecht, „wollen wir mal sehen, ob wir das ohne Zeugen hinkriegen“, etwa auch ohne die Präsidentin der Bürgerschaft als Zeugin zu hören, sagt die Richterin.
„Ich kann was dazu sagen“, beginnt der Angeklagte, er sei da gewesen, habe drei-, viermal mitgerufen, dann aber gemerkt, dass es nichts bringe. „Ich setze mich gerne für andere Menschen ein“, betont er. Die Richterin: „Das ist ja an sich gut.“ Der Angeklagte zeigt Einsicht: „Es war falsch, das an diesem Ort zu tun.“ Das Transparent habe er allerdings nicht mit entrollt, verteidigt er sich. Ein bisschen Stress mit der Polizei habe es gegeben, als diese immer wieder seinen Ausweis verlangte, und er darauf hingewiesen habe, dass das Dokument unten beim Pförtner sei. „Ich fühlte mich verarscht“, entfährt es ihm.
Da er geständig ist, demnächst eine Ausbildung zum Erzieher macht, sind Jugendrichterin und Vertreterin der Staatsanwaltschaft milde gestimmt. Die Richterin versucht, den jungen Mann auf seinem Interessengebiet zu erreichen: Niemand wolle Flüchtlinge einfach so in irgendwelche Kriegsgebiete abschieben, aber Flüchtlinge hätten auch Mitwirkungspflichten bei der Aufklärung ihrer Daten, mahnt sie: „Sie müssen auch mal weiterdenken, Sie sind doch für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung, oder?“
Die Entscheidung: Der Fall wird vorläufig eingestellt, gegen fünf soziale Arbeitsleistungen, die Tom R. erbringen muss – und für einen Aufsatz, den er schreiben soll. Thema: „Rechtsgrundlage von Lampedusa-Flüchtlingen und anderen“. „Wie lang soll denn der Aufsatz sein?“, fragt der Angeklagte höflich. „300 Wörter?“ Es geht hin und her, dann steht fest: Zweieinhalb Seiten, wenn mit PC verfasst, „oder fünf Seiten handgeschrieben“.
Der Angeklagte nickt fast begeistert, die Richterin gibt ihm noch mit auf Heimweg: „Und nicht einfach aus dem Internet abschreiben, wir überprüfen das!“