Ein Jahr nach dem Insolvenzantrag der Baumarktkette haben etwa 2800 der 3600 Mitarbeiter eine neue Stelle gefunden. Ein Besuch in der ehemaligen Max-Bahr-Filiale in Winterhude, die zum Hagebaumarkt wurde.

Hamburg Birgit Hellmann hat alle Hände voll zu tun. Mit einem kräftigen Ruck bugsiert die 52-Jährige eine Wagenladung mit Tagetes, Chrysanthemen und anderen Blumen vor den Hagebaumarkt in Winterhude. Eine Kundin möchte wissen, ob sich der angebotene Lavendel auch für den Balkon eignet. „Klar“, sagt Hellmann. Die resolute Frau hat die Ärmel ihrer knallroten Dienstjacke hochgekrempelt. Die Füße stecken in bequemen Turnschuhen, mit denen sie ständig im Markt unterwegs ist. „Ich bin hier jetzt die Blumenfee“, sagt sie schmunzelnd.

Noch vor einem Jahr war Birgit Hellmann so gar nicht zum Scherzen zumute. Eher zum Heulen. Am 26. Juli 2013 stellte ihr früherer Arbeitgeber, die Hamburger Baumarktkette Max Bahr, Insolvenzantrag. Der Anfang vom Ende für das traditionsreiche, im Jahr 1879 gegründete Unternehmen, das mit seinem gelb-blauen Logo allein zwölfmal in der Hansestadt vertreten war.

Einige Wochen zuvor war schon die Muttergesellschaft Praktiker in die Pleite geschlittert und hatte die Tochterfirma und ihre rund 3600 Angestellten mit in den Abgrund gezogen. Marktschreierische Rabattaktionen („20 Prozent auf alles – außer Tiernahrung“), aber auch ein beispielloses Führungschaos und sich bekriegende Anteilseigner hatten den Konzern in die Krise stürzen lassen.

Für Birgit Hellmann ist die Insolvenz mehr als eine einfache Firmenpleite, sie ist eine persönliche Katastrophe. Nicht nur sie arbeitet seit Jahrzehnten bei Max Bahr, auch ihr Mann Thorsten ist mit ihr in der Filiale in Winterhude beschäftigt, Sohn Michel im Harburger Markt. Die Hellmanns haben sich bei der Kette kennengelernt. Eine Liebe zwischen Bohrern, Pinseln und Tapeten. Für sie ist Max Bahr so etwas wie ihr zweites Zuhause.

Monate der Ungewissheit folgen, potenzielle Retter geben sich die Klinke in die Hand. Ein Ex-Chef will die Kette übernehmen, mehrere Konkurrenten ebenfalls. Die Mitarbeiter in Winterhude kämpfen an vorderster Front für den Erhalt, sammeln Tausende von Unterschriften, demonstrieren. Es ist ein Nervenkrieg, der an die Substanz geht. Doch zu einem Erhalt der traditionsreichen Marke kommt es trotz aller Bemühungen nicht. Ende Dezember teilen sich die Wettbewerber die alten Max-Bahr-Standorte untereinander auf. Der Hamburger Unternehmer Philipp Möller greift nach vier Standorten in Winterhude, Rahlstedt, Eilbek und Altona. Drei wandelt er in Hagebaumärkte um, nur das Eilbeker Haus am Hammer Steindamm wird geschlossen und soll zu einem reinen Bürogebäude werden.

Für die Hellmanns und ihre Kollegen am Krohnskamp ist der Verkauf die ersehnte Chance zum Neuanfang. „Mit der Übernahme durch Hagebau haben wir Glück im Unglück gehabt“, sagt Birgit Hellmann. Alle ehemaligen Mitarbeiter, die es möchten, können mit zum neuen Arbeitgeber wechseln. In Winterhude machen 19 von zuletzt 25 Max-Bahrlern von dem Angebot Gebrauch.

Anfang März ist Birgit Hellmann eine der ersten, die im Hagebau-Trainingscenter in Hummelsbüttel fitgemacht wird für den Einsatz, ihre neuen Aufgaben. Zwei Monate Schulung, in denen sie sich in Theorie und Praxis mit dem größeren Sortiment und vor allem mit dem neuen Warenwirtschaftssystem von Hagebau vertraut machen muss. „Das war schon eine Herausforderung, ich bin froh, dass ich das geschafft habe.“

Parallel zu den Schulungen der Mitarbeiter beginnen die Umbauten in den übernommenen Häusern. Elektrik, Beleuchtung, Regale, alles muss raus, in vielen Märkten ist seit Jahren nichts mehr erneuert worden. Im Mai geht das Haus in Winterhude als Hagebaumarkt schon wieder ans Netz. Der neue Eigentümer will noch möglichst viel vom lukrativen Frühjahrsgeschäft mitnehmen, der wichtigsten Zeit in der Branche überhaupt

Moderner, heller und freundlicher ist der Markt geworden. Das Max-Bahr-typische Gelb ist der Hagebau-Optik in Rot-Weiß gewichen. Doch die grundlegende Aufteilung des Hauses ist fast identisch. Links am Eingang Lampen und Leuchten, rechts Teppiche und andere Bodenbeläge. Gleich dahinter liegt, wie früher, die Farbenabteilung, das Reich von Thorsten Hellmann. Hier steht er an einem knallroten Tresen und berät die Kunden bei individuellen Farbwünschen. Für einen Moment wirkt es so, als wäre nie etwas passiert, als wäre die ganze Insolvenz von Max Bahr nur ein böser Traum gewesen.

Doch hinter den Kulissen hat sich viel getan. Bei Hagebau ist die Verantwortung der Mitarbeiter größer, die einzelnen Märkte müssen sich selbst um die Beschaffung ihrer Waren kümmern. Deshalb hat Birgit Hellmann unter anderem die Bestellung der Pflanzen und die Pflege dieses Sortiments übernommen.

„Viele ehemalige Stammkunden haben uns die Treue gehalten“, sagt Marktleiter Martin Schönemann, 31. „Sie schätzen es, dass wir den Markt modernisiert und das Sortiment vergrößert haben, zugleich aber immer noch viele Ex-Mitarbeiter von Max Bahr hier beschäftigt sind.“ Das Geschäft in den ersten Monaten sei sehr gut angelaufen.

Auch der junge Mann mit dem kurz geschorenen Schopf ist ein alter Max-Bahrler, fing mit 16 Jahren bei dem Unternehmen an und leitete zuletzt das Haus in Eilbek, für das es keine Zukunft mehr gab. „Der Hammer Steindamm war schon immer das hässliche Entlein unter den Märkten, jahrzehntelang wurde hier nichts mehr gemacht“, sagt Schönemann. „Deshalb war uns ziemlich früh klar, dass es an diesem Standort wohl nicht mehr weitergehen würde.“ Umso glücklicher war der Vater von zwei kleinen Kindern, als ihn der neue Eigentümer Philipp Möller persönlich anrief, um ihm den Job in Winterhude anzubieten.

Die Pleite von Max Bahr und Praktiker hat die Baumarktbranche in Hamburg kräftig durcheinandergewirbelt. In der Hansestadt ist die Hagebau-Gruppe jetzt mit insgesamt vier Märkten zur neuen Nummer zwei aufgestiegen. Branchenprimus Obi stärkt seinen Aufritt durch die Übernahme eines Standorts an der Cuxhavener Straße im Bezirk Harburg.

Unangefochtener Marktführer in der Hansestadt ist nun aber die Bauhaus-Gruppe, die sich gleich vier alte Max-Bahr-Standorte und einen ehemaligen Praktiker-Markt einverleibte und so die Präsenz in der Stadt mehr als verdoppelte. Darunter sind vor allem die großen Häuser wie die ehemalige Zentrale von Max Bahr an der Wandsbeker Zollstraße. Viel Geld ist auch hier in die Modernisierung geflossen. Regale, Beleuchtung, und sogar die Fahrstühle wurden erneuert. Am Ausgang gibt es jetzt Selbstscannerkassen, die demnächst in Betrieb gehen sollen. Auch Bauhaus hat allen ehemaligen Max-Bahr-Beschäftigten einen neuen Job angeboten und allein 600 neue Arbeitsplätze in der Stadt geschaffen.

Drei ehemalige Max-Bahr-Filialen gingen zudem an den Möbelhauskonzern XXXL. Was mit dem Markt in Bergedorf passiert, lässt das Unternehmen offen. „Wir werden es nicht selbst nutzen“, teilte XXXL auf Anfrage mit. Mehr wolle man zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Für die Standorte Harburg und Osdorf sind hingegen Möbelhäuser geplant. Die Tochter Mömax soll dort einziehen. „Hamburg ist eine sehr kaufkräftige Region mit vielen jungen Menschen. Diese spricht Mömax an“, begründete das Unternehmen die Entscheidung zur Ansiedlung.

Mömax ist im selben Segment wie Ikea tätig, der Mitnahmemarkt richtet sich eher an eine jüngere Zielgruppe und bietet nach eigenen Angaben unter anderem Kompletteinrichtungen zu günstigen Preisen an. Außer Möbeln soll es in den geplanten Hamburger Häusern mit mindestens 4000 Quadratmetern Verkaufsfläche auch ein „innenstadtrelevantes Sortiment“ und eine kleine Gastronomie geben. 40 Arbeitsplätze will der Konzern pro Haus schaffen. Auf die Stellen können sich auch frühere Max-Bahrler bewerben.

Die meisten haben aber ohnehin schon einen neuen Job gefunden. „Bundesweit dürften rund 2800 der zuletzt noch 3600 Mitarbeiter eine neue Stelle bei der Konkurrenz bekommen haben“, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Max Bahr, Ulli Kruse. „Angesichts der hoffnungslosen Situation im vergangenen Jahr sind die meisten ehemaligen Beschäftigten mit einem blauen Auge davongekommen.“ Birgit Hellmann ist froh, dass nicht nur sie selbst und ihr Mann eine gesicherte Zukunft haben, sondern auch ihr Sohn Michel, der zuletzt in Harburg beschäftigt war. Wie seine Eltern ist auch er bei Hagebau untergekommen und arbeitet jetzt in dem Markt in Altona.