Von Dienstag an liegt es an den Bundesrichtern in Leipzig, ob die Elbe vertieft werden darf oder nicht. Die bisherige Rechtsprechung lässt daran allerdings Zweifel aufkommen. Eine Einschätzung.

Der Saal, in dem über einen wichtigen Baustein der Hamburger Zukunft verhandelt wird, ist dem Anlass angemessen: Prunkvoll ausgestattet, mit großen Kronleuchtern unter der Decke, scheint er der richtige Platz zu sein für rechtstaatliche Souveränität.

Von diesem Dienstag an werden hier fünf Bundesrichter sowie Anwälte dreier renommierter Kanzleien, Mitarbeiter einer Bundesbehörde und einer Landesbehörde sowie Vertreter zweier Umweltverbände über die geplante Elbvertiefung streiten. Knapp zwei Wochen lang, jeweils drei Tage pro Woche und etwa acht Stunden am Tag, geht es um Baggerarbeiten, Schlickaushebungen, Deichsicherheit, Umweltschutz – aber vor allem um die Erreichbarkeit des Hamburger Hafens und damit um dessen Wettbewerbsfähigkeit.

Die bisherige Rechtsprechung der Leipziger sorgt bei den Vertretern des Hamburger Senats allerdings für Verunsicherung. Im Juli 2013 wurde das Verfahren zur Weservertiefung ausgesetzt und stattdessen dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorgelegt.

Schriftsätze von mehreren Hundert Seiten

Zunächst aber zum Prozedere dieses großen Prozesses: Wenn die vorgesehenen sechs Verhandlungstage für den Umfang des Streitgegenstands ausreichen sollten, werden es mindestens 50 Stunden sein, die sich Richter, Kläger und Beklagte, wie es im Juristendeutsch heißt, gegenübersitzen werden. Doch es ist keineswegs sicher, dass es bei diesen sechs Tagen bleiben wird.

Die Richter haben vorab darum gebeten, sich vorsorglich auch noch die letzte Juliwoche für eventuelle weitere Verhandlungstage freizuhalten. Schriftsätze von mehreren Hundert Seiten gingen in den vergangenen beiden Jahren, nachdem die Klagen gegen die Elbvertiefung im Juli 2012 formuliert worden waren, beim obersten deutschen Verwaltungsgericht ein. Angesichts der Fülle des Stoffs, der Vielzahl der Beteiligten und auch der langen Verhandlungsdauer scheint eine Voraussage über den Ausgang des Verfahrens schwierig zu sein.

Aber nur scheinbar, denn ein Blick auf die wichtigsten Akteure und ihre jeweiligen Lebensläufe sowie ihr Verhalten am Arbeitsplatz hilft hier weiter. Da sind zum einen der Vorsitzende Richter Rüdiger Nolte, seine neben ihm sitzende Richterin Kerstin Schipper, die die Berichterstatterin in dem Verfahren ist, der Anwalt der Umweltverbände, Rüdiger Nebelsieck, sowie der Anwalt der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, Wolfgang Ewer.

Anwälte und Richter haben sich schon einmal gegenüber gesessen

Die beiden Anwälte und auch die Richter hatten sich schon vor rund einem Jahr, im Mai 2013, ebenfalls im Historischen Verhandlungssaal gegenüber gesessen. Damals waren es allerdings nur drei statt sechs Verhandlungstage, und es ging um die Weser statt um die Elbe. Jedoch war auch hier die beabsichtigte Vertiefung eines Flusses das Streitthema – mit ganz ähnlichen Inhalten.

Aus dem Verhalten der vier Protagonisten während dieses sehr ähnlichen Verfahrens und auch bei anderen Verhandlungen lassen sich zumindest Prognosen darüber treffen, zu welcher Entscheidung die Richter, die in erster und letzter Instanz für die Fragen der Elbvertiefung zuständig sind, am Ende gelangen könnten.

Den Vorsitz auf der Richterbank hat – wie schon beim Verfahren um die Weservertiefung– Rüdiger Nolte inne, der 1951 in Bielefeld geboren wurde und dort auch Rechtswissenschaft studiert hatte. An der Universität der Stadt wurde er 1983 auch promoviert. Seine richterliche Karriere hatte Nolte 1982 am Verwaltungsgericht Münster begonnen, von 1988 bis 1990 arbeitete er in der damals wie heute von der SPD geführten Staatskanzlei in Düsseldorf, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen war seinerzeit der spätere Bundespräsident Johannes Rau.

„Keine Volksreden“ im Gerichtssaal

Im Februar 1991 wechselte er als Richter an das Oberverwaltungsgericht von Nordrhein-Westfalen, das sich ebenfalls in Münster befindet. Von 1994 an folgte eine dreijährige Station in Karlsruhe beim Bundesverfassungsgericht.

Im Sommer 2003 schloss sich der Wechsel von Münster an das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig an, wo er neun Jahre lang als Richter im neunten Senat wirkte, bevor er vor zwei Jahren, im Juli 2012, den Vorsitz des siebten Senats übernahm. Beim Verfahren zur Weservertiefung fiel Nolte durch eine sehr gut strukturierte und sich um Objektivität bemühende Verhandlungsführung auf – und durch starke Kritik an den Planungen der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, die als „durchgreifende Bedenken“ formuliert worden waren.

Nolte achtet genau darauf, dass der Gerichtssaal ein Gerichtssaal bleibt. Er ruft schon einmal applaudierende Zuschauer zur Mäßigung auf und erinnert wie bei einer Verhandlung zur Thüringer Stromtrasse im Juli 2013 daran, dass „hier keine Volksreden gehalten“ würden. Bei Vergleichsverhandlungen im Gericht, wie etwa bei einem Verfahren im März dieses Jahres zu Baulärm der Bahn in Baden-Württemberg, sorgt er dafür, dass dabei niemand übervorteilt wird – für die Weservertiefung hatte er auch einen Vergleich angeregt und dafür die Zeit bis zur Verkündung der Entscheidung um mehrere Wochen verlängert.

Begriffsdefinitionen spielen entscheidende Rolle

Seine Entscheidung von Juli 2013, das Verfahren zur Weservertiefung auszusetzen und Fragen dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen, könnte auch für die Elbvertiefung von Bedeutung sein. Das liegt daran, dass solche Begriffe wie Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot, die die Europarichter genauer definieren sollen, bei dem Streit um die Elbvertiefung ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen. Dass die Pläne der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung und der Hansestadt Hamburg den Gerichtssaal wahrscheinlich nicht ohne Änderungen verlassen werden, lässt sich an den vielen Verhandlungstagen und der Entscheidung von Oktober 2012, einen Baustopp zu verfügen, ablesen.

Die damalige Entscheidung des Baustopps hatte auch Richterin Kerstin Schipper mitgetragen, der die Aufgabe der Berichterstatterin in diesem Verfahren zukommt. Die Juristin kam vor 50 Jahren in Pinneberg zur Welt, das nur rund 20 Kilometer von Hamburg entfernt liegt, um dessen Hafenwirtschaft es in dem Verfahren gehen wird. Bevor sie vor mittlerweile sechs Jahren an das Bundesverwaltungsgericht kam, hatte sie fast ihre gesamte berufliche Laufbahn im Norden Deutschlands durchlaufen, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern.

Ihr zweites juristisches Staatsexamen legte sie 1992 noch in Hamburg ab, bevor sie im Februar 1993 zunächst als Richterin auf Probe im von der CDU geführten Justizministerium in Schwerin tätig wurde. Zum Jahresbeginn 1995 wechselte sie zum ersten Mal an ein Gericht, das sich mit Klagen gegen Entscheidungen von Behörden befasst, das Verwaltungsgericht Greifswald.

Kritische Fragen und druckreife Argumente

Vor 17 Jahren, im Juli 1997, war sie schon einmal an das Bundesverwaltungsgericht gekommen, das damals noch in Berlin residierte, und wirkte dort zwei Jahre lang als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Im Oktober 2000 wurde sie zur Richterin am Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern ernannt, 2008 wechselte sie von Schwerin nach Leipzig zum Bundesverwaltungsgericht, wo sie seitdem Richterin am siebten Senat ist.

Als Berichterstatterin kommt Schipper neben dem Vorsitzenden Richter eine entscheidende Rolle auf der Richterbank zu, da sie die Beratungen der fünf Richter und auch die Verhandlung selbst vorbereitet. Beim Verfahren um die Weservertiefung, als ihr Kollege Günter Krauß Berichterstatter war, fiel Schipper durch sehr kritische Fragen an die Behörden auf, die bei ausweichenden Antworten immer wieder nachhakte und sich von nebulösen Worten nicht beeindrucken ließ. Dies wird dieses Mal sicherlich nicht anders sein.

Auf der von Schipper und Nolte aus gesehen linken Seite wird in den kommenden beiden Wochen Rüdiger Nebelsieck sitzen, der die Umweltverbände anwaltlich vertreten wird und 1968 in Celle geboren wurde. Auf sein Studium der Rechtswissenschaften in Hamburg folgte 1997 ein einjähriges Aufbaustudium im Umweltrecht. Seit Anfang 1998 arbeitet er als selbstständiger Anwalt in Hamburg, Sozius in der Kanzlei Mohr wurde er im Oktober 1999. Den Titel Fachanwalt für Verwaltungsrecht erwarb er im Herbst 2002. Nebelsieck verfügt über eine äußerst schnelle Auffassungsgabe, die ihm bei Reaktionen auf Äußerungen der Richter oder der Gegenseite zu Hilfe kommt.

Außerdem besitzt er die Fähigkeit, lange Zeit ohne jede Unterbrechung und ein einziges Füllwort so druckreif zu reden, als ob er die Sätze schon länger vorbereitet habe – sie sind jedoch spontan formuliert. Das kann einschüchternd wirken, da die Fülle der enthaltenen Argumente beim Zuhören kaum Zeit zum Luftholen lässt.

Mögliche Planungsfehler sprachlich ausgleichen

Nebelsiecks Aufbereitung des Klagestoffs und seine Art der Argumentation waren beim Verfahren um die Weservertiefung von Erfolg gekrönt, als er die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage von Fragen an den Europäischen Gerichtshof erreichte. Beim Verfahren um die Ostseeautobahn A 20 bei Bad Segeberg gelang ihm im vergangenen Jahr das äußerst überraschende Ergebnis, den neunten Senat des Bundesverwaltungsgerichts zu der Entscheidung zu bewegen, die Planungen für eine Autobahn für „rechtswidrig und nicht vollziehbar“ zu erklären – ein sehr seltenes Urteil bei Klagen gegen Autobahnbauten.

Den Gegenpart Nebelsiecks nimmt Wolfgang Ewer ein, der 1955 in Berlin geboren wurde und wie schon beim Verfahren zur Weservertiefung die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung anwaltlich vertritt. Ewer absolvierte sein Jurastudium von 1976 bis 1982 zunächst in Berlin an der Freien Universität und dann in Kiel an der Christian-Albrechts-Universität.

Nach seinem Referendariat in Schleswig-Holstein erhielt er 1986 seine Zulassung als Anwalt. Vier Jahre später folgte der Titel eines Fachanwalts für Verwaltungsrecht. Im Jahr 2000 wurde er promoviert, fünf Jahre darauf zum Honorarprofessor an der Kieler Universität ernannt, wo er weiterhin lehrt. Im Mai 2009 übernahm er das Amt des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins.

Ihm wird wahrscheinlich wie bei der Weservertiefung die Aufgabe zukommen, mit seinem rhetorischem Geschick und seinem profunden juristischen Wissen mögliche Planungsfehler zumindest sprachlich auszugleichen. Sollten Mitarbeiter der Bundesbehörde wie beim Verfahren zur Weser sich bei Fragen der Richter so äußern, dass sie damit eher Argumente für die Umweltverbände liefern, wird Ewer sich wohl äußerlich nichts anmerken lassen, sie anschließend aber mit juristischen Argumenten und Verweisen auf höchstrichterliche Urteile zu relativieren versuchen.

Von seinem Geschick wird viel abhängen – auch, ob Hamburgs Zukunft so prunkvoll sein wird wie der Saal, in dem darüber verhandelt wird.