Der Bau und Betrieb von Pflegeheimen wird zu teuer. Der Chef von „Pflegen&Wohnen“ denkt daher über die Zusammenarbeit mit großen Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften nach.

Hamburg. Angesicht der steigenden Nachfrage von Betreuung für Senioren hat der Pflegeexperte Johannes F. Kamm die Schaffung von Pflegestützpunkten in Wohngebieten vorgeschlagen. Weil die Anforderungen an die stationäre Pflege inzwischen so hoch seien, werde es immer schwerer, ein Pflegeheim zu bauen und nachhaltig zu betreiben, sagte der Geschäftsführer des Pflegeheimbetreibers „Pflegen & Wohnen“. „Wir benötigen daher kleine ‚Zentren vor Ort‘, die für Senioren, die in ihrer eigenen Wohnung leben, leicht erreichbar sind und in denen sie die erforderliche Unterstützung und gegebenenfalls Pflege finden.“

Derzeit diskutiere er mit Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenossenschaften über ein Pilotprojekt. „Wenn uns in einer Wohnsiedlung zwei kleine Wohnungen überlassen würden, könnten wir dort einen Stützpunkt einrichten.“ Senioren könnten dorthin kommen, erhielten Tagesstruktur, ein Essen und könnten dort gemeinsam Zeit verbringen. Oder der Pfleger besuche sie in ihrer Wohnung. Dadurch werde ein Mindestmaß an Betreuung und Pflege ermöglicht, ohne dass die alten Menschen in ein teures Pflegeheim umziehen müssten. „Das Heim kommt sozusagen zu den alten Menschen.“

Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks begrüßte entsprechende Überlegungen. „Wir wollen das Hilfeangebot in der Pflege so umsteuern, dass vorrangig Pflege im Quartier ermöglicht wird, zum Beispiel mit Wohngruppen und ambulanter Pflege“, sagte die Gesundheitspolitikerin dem Hamburger Abendblatt. „Die Gesundheitsbehörde hat bereits in Langenhorn, in St. Georg und Wilhelmsburg Projekte finanziell gefördert.“

Das städtische Wohnungsunternehmen Saga GWG verwies auf ein Projekt, das im Quartier rund um den Rungestieg geplant ist. Unter dem Titel „Lebendige Nachbarschaft“ (LeNa) soll in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Stiftung Alsterdorf ein Servicebüro eingerichtet werden. Zudem ist ein Wohncafé als Treffpunkt für alle Bewohner geplant. Gemeinschaftsräume, eine große Küche und eine Terrasse zum begrünten Innenhof böten Platz, gemeinsam zu kochen und zu feiern. Allerdings richtet sich das Angebot an alle Bewohner und nicht nur an die Seniorinnen und Senioren.

Gegenwärtig leben in Hamburg rund 420.000 Menschen, die 60 Jahre oder älter sind. Fast jeder vierte Hamburger gilt im landläufigen Sinne demnach als Senior. Allerdings altert Hamburg langsamer als der Bundesdurchschnitt. Ursache ist der überdurchschnittliche Zuzug jüngerer Erwachsener, wodurch sich die Altersstruktur der Stadt bis zum Jahr 2025 nur gering verändern wird. Im Jahr 2030 soll der Anteil der über 60-Jährigen an der Gesamtbevölkerung auf 30 Prozent steigen. Deutschlandweit wird bereits im Jahr 2020 der Anteil der über 60-Jährigen bei über 30 Prozent liegen.

Während Senatorin Prüfer-Storck dafür plädiert, ältere Menschen auch bei Pflegebedürftigkeit generell möglichst lange in ihrem vertrauten Umfeld wohnen zu lassen, sieht Pflegeexperte Kamm das kritischer. „Pauschal halte ich die Aussage, eine Pflege in der eigenen Wohnung sei besser als die Pflege in einem Heim, für falsch“, sagte Kamm. Zu unserem Leben gehöre, dass wir Kontakt zu anderen Menschen haben. „Aber hat jemand genügend Kontakt, wenn einmal am Tag ein Pfleger kommt und er ansonsten allein ist?“

Unter den Senioren, die in ihren Wohnungen betreut würden, „leiden viele unter schrecklicher Einsamkeit“, fügte Kamm hinzu. Für diese Menschen sei es sinnvoller, in ein Pflegeheim umzuziehen, wo sie andere Menschen träfen. „Wer mit seiner bestehenden Häuslichkeit aktiv etwas anfangen kann, Kontakte zu Verwandten, Freunden oder Nachbarn hat, für den ist es sicher richtig, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung zu leben.“

Pflegestützpunkte böten älteren Menschen die Chance, ohne größeren Aufwand der Vereinsamung zu entgehen, sagte Kamm weiter. „Es gibt einen Anlaufpunkt, den Senioren besuchen können. Wie es das Café oder die Lounge in einem Pflegeheim ist. Und wenn jemand dort gern acht Stunden am Tag vor dem Fernseher sitzt und dabei raucht, dann sollte er das auch dürfen.“ Nach den Worten von Kamm müssen die Milieus der Betroffenen stärker als bisher berücksichtigt werden. „Manche Menschen sind in einer schicken Seniorenresidenz überfordert, fühlen sich bereits von der Umgebung unter Druck gesetzt.“

Sogenannte Alten-WG wie jene, in der Bremens früherer Bürgermeister Henning Scherf lebt, hält Kamm für eine gute Idee, aber zugleich für eine Ausnahme. „Eines muss uns klar sein: es ist es ein Märchen, zu glauben, dass alle Senioren in hübschen Alten-WGs unterkommen“, sagte der Experte.

In der Regel täten ältere Menschen sich schwer, in ihrem privaten Umfeld sich noch einmal so nah auf andere Menschen einzulassen.“ Wenn allerdings die Möglichkeit sich ergebe, würde er ein größeres Einfamilienhaus in der Nähe eine Pflegeheimes kaufen. „Wir könnten dieses an das Heim andocken und die Bewohner pflegerisch und mit Essen versorgen.“