Die Angehörigen des Hamburger NSU-Opfers Süleyman Tasköprü ringen um Fassung, als der Generalkonsul der Türkei zur Umbenennung der Bahrenfelder Kohlentwiete sehr persönliche Zeilen vorliest.
Bahrenfeld. Als Süleyman Tasköprü am 27. Juni 2001 im Gemüseladen seiner Familie erschossen wird und noch in den Armen seines Vaters stirbt, ist seine Tochter drei Jahre alt. Ein Kind, das ohne Vater aufwachsen, ihn aber nicht vergessen wird. 13 Jahre später schreibt die Tochter einen Brief an den Verstorbenen: „Dein Name ist das beste Wort in meinem Wortschatz ... immer, wenn ich zu dir spreche, werden meine Schmerzen kleiner und meine Liebe größer ... Alles Gute zum Vatertag, deine Tochter.“
Angehörige von Süleyman Tasköprü ringen um Fassung, als Mehmet Fatih Ak, Generalkonsul der Türkei, diese Zeilen verliest. Die Trauer um das mutmaßlich dritte Mordopfer der rechtsextremistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) wirkt immer noch nach. Bei seinem Vater, seinem Bruder, seiner Frau und seiner Tochter. Aber auch in Hamburg und in Deutschland. Nun werden Süleyman Tasköprü, seine Geschichte und sein Leben auch öffentlich unvergessen bleiben. Am Donnerstag hat Hamburg als zweite deutsche Stadt eine Straße nach einem NSU-Opfer benannt.
Unweit des Tatortes, der Bahrenfelder Schützenstraße, heißt ein 300 Meter langes Teilstück der Kohlentwiete nun Tasköprüstraße. Eine Straße, die von einer Tankstelle, einem Großmarkt und fünfstöckigen Backsteinbauten flankiert wird. Unter den Straßenschildern erklärt ein Hinweis, worauf der Name verweist. Auch in Jahren soll die Frage „Was bedeutet der Straßenname?“ daran erinnern, „dass es viel mehr als ein Straßenname ist“, sagte Barbara John, Ombudsfrau der Bundesregierung für Opfer des NSU-Terrors. Die Umbenennung soll Hamburg Mahnung sein und das Opfer unvergessen machen.
Kritik an Ermittlungsbehörden, Entschuldigung für die Hinterbliebenen
Nahezu alle Redner erinnerten während der Zeremonie daran, wie die Tötung des damals 31 Jahre alten, türkischstämmigen Kaufmanns das Leben seiner Familie aus den Angeln hob. Wie Angehörige wegen falscher Verdächtigungen gesellschaftlich geächtet wurden. Wie ihnen Hilfe und Trost versagt blieben. Wie die Tochter des Getöteten ein Leben ohne Vater bewältigen muss. Und wie die Ermittlungsbehörden jahrelang versagten und noch immer an der lückenlosen Aufklärung der Mordserie scheitern.
Trotz des Prozesses gegen Beate Zschäpe als letztes lebendes Mitglied des NSU und 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag müsse die Aufarbeitung weiter vorangetrieben werden. Es seien noch immer Fragen offen. Allen voran das: Warum?
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), sparte nicht mit Kritik am jahrelangen Versagen der Behörden. Sie entschuldigte sich bei der Familie, habe aber die Hoffnung, „dass wir das ganze Versagen aufklären und die notwendigen Konsequenzen für die Zukunft ziehen“.
Grünen-Chef Cem Özdemir zeigte sich fassungslos über die „Blindheit der Ermittlungsbehörden“. So sei der Hinweis des Vaters, die Täter seien zwei Deutsche gewesen, ignoriert worden. Die V-Mann-Strategie sei gescheitert. Insofern sei die Benennung der Straße ein wichtiges Zeichen des Gedenkens.
Barbara Kisseler, deren Kulturbehörde Straßenumbenennungen genehmigt, sagte, es sei der Versuch, ein Zeichen zu setzen. „Die Tasköprüstraße soll Mahnung und Aufforderung sein, Verantwortung wahrzunehmen und für ein respektvolles und friedliches Zusammenleben einzutreten.“ Nur so könne Hamburg die weltoffene Stadt sein, die sich alle wünschen und in der alle Bürger sicher leben können“. Barbara John forderte, dass genau deshalb die Erinnerung an einen rassistischen Akt der Unmenschlichkeit lebendig bleiben müsse. Wenn der Getötete noch reden könne, würde er sagen: „Helft meiner Familie!“
Der Vater von Süleyman Tasköprü verfolgte die Reden gefasst. Erst wollte er gar nicht reden, denn es sei alles gesagt. Dann offenbarte er allerdings, dass er sich die Umbenennung der Schützenstraße gewünscht hätte – also jene Straße, in der sein Sohn vor 13 Jahren ermordet wurde.
Laut Bezirksamt Altona war dies nicht möglich – auch weil viele Anwohner hätten zustimmen müssen. In der Schützenstraße selbst erinnert ein Gedenkstein an Tasköprü. Dort, im Laden mit der Hausnummer 39, hatten die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft 2001 ihr drittes Opfer erschossen. Insgesamt soll die rechtsextremistische Terrorgruppe zwischen 2000 und 2007 zehn Morde in sieben Städten begangen haben. Auf fast 90 Seiten hatte der Hamburger Senat die Ermittlungen aufgearbeitet.