Süleyman Tasköprü wurde von dem NSU-Trio ermordet. Hamburg vergisst das nicht
Exakt 300 Meter einer Straße heißen seit Donnerstag anders, nicht mehr urhamburgisch Kohlentwiete, sondern Tasköprüstraße. Schilder wurden ausgetauscht, Briefköpfe müssen geändert werden, es ist zunächst ungewohnt, aber äußerlich eigentlich ein banaler Vorgang. Doch in diesem Fall liegt dahinter eine weit größere Symbolik, die Zeugnis ablegt von einer unheilvollen Geschichte, von einem rassistischen Mord, von einer Staatsmacht, die das lange nicht wahrhaben wollte, und von einer Bürgergesellschaft, die mahnen möchte und gleichzeitig aber auch um Vergebung bittet.
Süleyman Tasköprü wurde unweit dieser Straße, die nun seinen Namen trägt, erschossen. Die Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt haben ihn am 27. Juni 2001 im Alter von 31 Jahren im Lebensmittelgeschäft seines Vaters seines Lebens beraubt; er war ein Zufallsopfer, wenngleich diese und die anderen Taten der mörderischen Bande kein Zufall waren, sondern genau geplant und Ergebnis eines strategischen Feldzugs gegen das, was sie als undeutsch empfanden, als nicht lebenswert. Vieles ist über die Versäumnisse der deutschen Behörden geschrieben worden, Untersuchungsausschüsse und Medien durchleuchten die Arbeit des Verfassungsschutzes, der Polizeiermittler und der Politik, die lange abwiegelte, statt Neonazi-Terror als Tatsache anzuerkennen und entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten, was ihre Aufgabe gewesen wäre. Und in München läuft noch immer der Prozess gegen Beate Zschäpe, die das NSU-Trio komplettiert haben soll. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bei der Trauerfeier den Angehörigen der Opfer die „rückhaltlose Aufklärung“ der Vorgänge versprochen, auch in Hamburg gilt es noch einiges aufzuarbeiten. In neuen Recherchen, die zuletzt öffentlich wurden, wird wiederum deutlich, wie sehr gerade im Verantwortungsbereich des Verfassungsschutzes versucht wurde, Akten verschwinden zu lassen. An vollständiger Aufklärung hat nicht jeder ein Interesse, das wird immer sichtbarer.
Im Vergleich zu diesen notwendigen Untersuchungen ist die Umbenennung einer Straße vielleicht vordergründig eine kleine Sache. Aber andererseits ist eine Straße der Ort der Gesellschaft, in dem sich das außerprivate Leben abspielt, wo man sich zeigt, sich bekennt, sich auch miteinander arrangieren muss. Unterschiedliche Interessen stoßen hier aufeinander, die sich in guten Nachbarschaften auflösen können – und die Fremden müssen die Straße begehen, um vielleicht nur kurz zu passieren, oder aber auch, um sesshaft zu werden, so wie einst Süleyman Tasköprü und seine Familie in Bahrenfeld.
Dass die unterschiedlichen Behörden während der Mordserie so fehlerhaft handelten, wie sie es taten, hängt auch mit diesem Leben auf der Straße und einer Gesellschaft zusammen, die schnell akzeptierte, dass bei der Tötung von Ausländern zunächst davon auszugehen ist, dass es sich um die Austragung von Milieukonflikten handelt. Zu meinen, dass abgehobenes Staatshandeln völlig entkoppelt ist von der Atmosphäre im Lande, damit macht man es sich zu leicht und delegiert Verantwortung geschmeidig „nach oben“. Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler fand dafür bei der Umbenennungs-Zeremonie die passenden Worte: Die Tasköprüstraße sei Mahnung und Aufforderung, Verantwortung wahrzunehmen und für ein respektvolles und friedliches Zusammenleben einzutreten. „Nur so kann Hamburg die weltoffene Stadt sein, die wir uns wünschen und in der alle Mitbürgerinnen und Mitbürger sicher leben können“, sagte sie.
Deswegen ist es gut, dass sich noch in Jahrzehnten Menschen fragen werden, wer denn wohl Süleyman Tasköprü war. Und auch, woher der Name Kohlentwiete stammt. Beides geht künftig ineinander über. Und gehört in Hamburg auch zusammen.
Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des Abendblatts