Die Belegschaft der ältesten Versicherung der Welt ist alarmiert. Der Vorstandschef des Mutterkonzerns soll abgelöst werden. Er ist auch Aufsichtsratsvorsitzender. Es geht um 300 Arbeitsplätze.

Hamburg. Der Grund für die Unruhe unter den 300 Beschäftigten der Hamburger Feuerkasse liegt rund 280 Kilometer von der Hansestadt entfernt. Im beschaulichen Münster sollen Personalentscheidungen vorbereitet werden, die auch für die Hamburger Feuerkasse gravierende Auswirkungen haben können. Denn der älteste Versicherer der Welt, dessen Wurzeln bis 1676 zurückreichen, firmiert zwar noch als Aktiengesellschaft, gehört aber zu 100 Prozent zum Versicherungskonzern Provinzial Nordwest, dessen Geschicke von Münster aus gesteuert werden. Mit 80 Prozent ist der Sparkassenverband und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe Haupteigentümer des zweitgrößten öffentlich-rechtlichen Versicherers mit Standorten in Hamburg, Kiel, Münster und Düsseldorf.

Jede Veränderung in ihrem Unternehmen beobachten die 6000 Beschäftigten mit Argusaugen. Denn schon einmal sollten sie an die Allianz verkauft werden. 2012 scheiterte das Milliardengeschäft am Protest der Beschäftigten. Die Eigentümer machten einen Rückzieher. Jetzt drohen wieder Veränderungen. Der Vertrag des Provinzial-Vorstandsvorsitzenden Ulrich Rüther, der auch Vorsitzender des Aufsichtsrates der Feuerkasse ist, läuft nur noch bis Ende des Jahres. Auch für zwei weitere Vorstände, ebenfalls im Aufsichtsrat der Feuerkasse, sollen Nachfolger gesucht werden. „Wenn fast der gesamte Vorstand ausgetauscht wird, der bisher sehr erfolgreich gearbeitet hat, dann ist zu vermuten, dass auch das bisherige Geschäftsmodell als öffentlich-rechtlicher Versicherer infrage gestellt wird“, sagt Ralf Neidhardt, Betriebsratsvorsitzender der Hamburger Feuerkasse. „Die Beschäftigten sind beunruhigt über das neuerliche Forcieren der Verkaufspläne.“

Die Eigentümer, zu denen auch der Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein gehört, widersprechen den Verkaufplänen. „Ein Verkauf des Provinzial-Nordwest-Konzerns steht nicht zur Debatte“, sagt ein Sprecher. Doch das beruhigt die Beschäftigten nicht, denn gleichzeitig heißt es in einer Erklärung, dass sich die Aufsichtsräte auch mit denkbaren Veränderungen befassen. „Es gibt interne Pläne, die Sachversicherer der Provinzial Nordwest in einem Unternehmen zu bündeln“, sagt Uwe Grund, Mitglied des Konzernaufsichtsrates der Provinzial Nordwest. „Die Hamburger Feuerkasse würde dann ihre Selbstständigkeit verlieren, allenfalls ihre traditionsreiche Marke noch weitergeführt werden.“ Auch einen eigenständigen Verkauf der Feuerkasse schließt Grund nicht aus.

Seit die Stadt Hamburg 1994 die Feuerkasse an die DBV-Winterthur verkaufte, wird der Versicherer weitergereicht. 1997 ging er an die Provinzial Nord Brandkasse. Seit 2005 ist die Hamburger Feuerkasse eine Tochter der Provinzial Nordwest Holding. „Wir befürchten, dass bei einem erneuten Verkauf nur die Kunden und die Marke Hamburger Feuerkasse für einen Erwerber interessant sind“, sagt Neidhardt. „300 Arbeitsplätze stehen in Hamburg auf dem Spiel.“

Zu den Personalspekulationen äußern sich die Eigentümer nicht. Nach Informationen dieser Zeitung gilt es aber als sicher, dass Rüther den Konzern Ende des Jahres verlassen wird. „Die Eigentümer sind an einer weiteren Zusammenarbeit mit ihm nicht interessiert und haben das auch einstimmig schon vor längerer Zeit beschlossen“, sagt eine mit der Personalie vertraute Person. Nach der Ankündigung der Übernahme durch die Allianz hatte er angegeben, es habe eine Attacke mit einem Schraubenzieher auf ihn gegeben. Später zog er die Behauptung zurück.

Der Vorfall wurde nie ganz aufgeklärt. Die Mitarbeiter schätzen Rüther dennoch und sehen ihn als Garant für einen starken Standort in Kiel mit rund 2300 Beschäftigten. Die Eigentümer ließen ihn offenbar gewähren, um nach dem fehlgeschlagenen Verkauf wieder Ruhe in das Unternehmen zu bringen. Doch jetzt wollen sie einen Schlussstrich ziehen. Auch die Provinzial-Vorstände Gerd Borggrebe und Ulrich Lüxmann-Ellinghaus sollen ihre Stühle räumen, sind die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat überzeugt. „Daran ist nichts dran“, heißt es dagegen aus Kreisen der Eigentümer.

Die Initiative zu den Personalveränderungen wird dem Vorstandsvorsitzenden und Münsteraner Sparkassenpräsidenten Rolf Gerlach zugeschrieben. Die Sparkassen in Westfalen-Lippe werden durch die Abwicklung der WestLB belastet. Die Institute in Schleswig-Holstein ächzen unter den Altlasten der HSH Nordbank. Die Sparkasse Südholstein benötigt erneut eine millionenschwere Kapitalspritze. Weil der Rettungsfonds des Landesverbandes bereits leer ist, müssen alle Sparkassen dafür einstehen. Unter finanziellen Aspekten bleibt der Verkauf der Provinzial Nordwest eine Versuchung. „Ich kann nicht erkennen, dass Herr Gerlach seine Verkaufspläne aufgegeben hat, er sucht nur nach neuen Wegen, um sie umzusetzen“, sagt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Albert Roer.

Für Hamburg ist die Feuerkasse nicht der einzige Problemfall. Stellenabbau und Rationalisierung drohen auch bei der Basler, der Generali-Vertriebstochter Volksfürsorge und der Signal-Iduna. „Jetzt rächt sich, dass der Senat kein Konzept für den Versicherungsstandort Hamburg hat“, sagt Roland Heintze, stellvertretender CDU-Fraktionsvorsitzender in der Bürgerschaft. „Als ehemaliges Unternehmen der Hansestadt sehen wir auch den Senat in der Verantwortung“, sagt Neidhardt. Bisher hat sich nur die Landesregierung in Kiel zum Erhalt des öffentlich-rechtlichen Versicherers bekannt.