Klempner Isaac trägt nicht nur Verantwortung für sich selbst: Seine Frau Betsabe ist nach Hamburg gezogen. Im Sommer erwarten sie ihr erstes Kind. Landsmann Juan führt derweil ein ganz anderes Leben.

Hamburg. Ein Paar an der Alster, händchenhaltend. Beide schauen sich schüchtern um, sie fühlen sich fremd. Die Alsterschiffe, das Rathaus, die vielen Menschen. Ein Tag zum Entspannen. Entspannen, das würden die beiden gern. Und die neue Heimat ein bisschen besser kennenlernen. Aber entspannt sind sie nicht. Obwohl sie jetzt wieder vereint sind, nach so vielen Monaten.

Das Leben von Isaac Bañuls und seiner Frau Betsabe, beide 30 Jahre alt, hat sich in den vergangenen acht Monaten dramatisch verändert. Erst hat sich Isaac auf den Weg nach Hamburg gemacht. Weil der Klempner zu Hause, in der Region Valencia, arbeitslos war, wie so viele in seinem Alter. Hier in Hamburg gibt es Arbeit für ihn – bei der Bauklempnerei Auf der Hart. Er ist nicht der einzige Spanier im Betrieb: Firmenchef Frank Körbelin hat auch Juan Cuello eingestellt, der ebenfalls aus der Region Valencia stammt. Körbelin hat den beiden eine Zwei-Zimmer-Wohnung in Wilhelmsburg besorgt.

Betsabe wollte erst mal in Spanien bleiben

Neuerdings wohnen drei Menschen in der kleinen Wohnung. Warum Betsabe hierhergekommen ist? Eigentlich gibt es kaum Gründe dafür. Sie spricht die deutsche Sprache nicht, sie hat hier keinen Job, von Deutschland weiß sie nicht viel, und ihre Familie war dagegen, dass sie geht. Warum also? „Für Isaac“, sagt sie und lächelt.

Acht Monate waren die beiden getrennt. Isaac hatten vor allem die ersten Wochen in Hamburg zugesetzt. Die fremde Sprache, die neue Wohnung, die neuen Kollegen, die deutsche Arbeitsweise und der nasskalte Hamburger Herbst und Winter. Und dann noch die Trennung von seiner Freundin.

Betsabe wollte erst mal in Spanien bleiben. Nicht noch einmal auswandern. Ihre Familie stammt aus Peru. Als sie 21 war, zog sie mit ihren Eltern und Geschwistern nach Spanien. Ihre Ausbildung zur Krankenpflegerin in Peru hat Betsabe damals abgebrochen. In Spanien gab es für alle Arbeit. Es war die Zeit des Booms, als Banken jedem Kredite gaben und jeder in Spanien eine Wohnung oder ein Haus besitzen wollte. Sie putzte, arbeitete bei McDonald’s, half bei der Orangenernte. Isaacs Schwester war ihre Arbeitskollegin bei McDonald’s, so lernte sie Isaac kennen. Vor vier Jahren war das. Da hatte die Krise in Spanien schon begonnen.

Betsabes Familie hatte sich ein Haus gekauft, alle halfen bei den Raten. Als die Krise kam, sank die Zahl der Verdiener. Betsabe fühlte sich verpflichtet zu bleiben. Sie arbeitete jeden Tag, nicht nur tagsüber. Was Isaac in Hamburg machte, bekam sie kaum mit, sie hatte keine Zeit zum Telefonieren.

Nach Feierabend geht es für Isaac zum Deutschkurs

Isaac steht morgens um fünf Uhr auf, nach Feierabend geht er montags bis donnerstags zum Deutschkurs. Wenn er um 22 Uhr nach Hause kam, war seine Freundin in Spanien häufig noch auf der Arbeit. „Es war sehr hart, die Kommunikation war schlecht“, sagt Betsabe. Es kam zu Missverständnissen, die Stimmung zwischen ihnen war schlecht. Aber jetzt ist sie ja hier. Weil es noch einen anderen Grund dafür gibt. Betsabe schaut auf ihren Babybauch. Im August werden sie Eltern. Das Kind soll in Hamburg geboren werden. Ein Hamburger Kind, eine peruanische Mutter und ein spanischer Vater. Betsabe hätte darauf dringen können, dass Isaac jetzt erst recht zurückkommt nach Spanien. Doch sie sagt: „Ich sehe hier in Hamburg eine gute Zukunft für uns. Zusammen schaffen wir das.“

In Spanien sei die Lage auf dem Arbeitsmarkt immer noch schlecht. Im November war sie zum ersten Mal hier, auf Besuch. Hamburg hat ihr gefallen. Sie sagt, dass sie auch gekommen wäre, wenn sie jetzt kein Kind erwarten würde. Aus Liebe zu Isaac.

Am 26. April haben sie in Spanien geheiratet, im Standesamt war nur die engste Familie dabei. Nach der Trauung haben sie mit Familien und Freunden in einem Restaurant gegessen – 60 Gäste waren da. Danach haben sie noch bei Betsabe Party gemacht, getanzt, getrunken. „Das war schön“, sagt sie.

Und ein paar Tage später haben sie sich in Isaacs zehn Jahre alten Ford Focus gesetzt und sind nach Hamburg gefahren. Zwei Tage waren sie unterwegs, in Frankreich haben sie in der Nähe von Nancy übernachtet. Im Kofferraum waren auch schon Babysachen, die ihnen Freunde geschenkt hatten.

In den ersten Tagen hat sie sich oft gefragt: Was mache ich hier? Isaac war weg, sie allein in der Wohnung. Wilhelmsburg ist nicht ihr Fall. Zu viele Menschen, zu viele soziale Probleme. In Spanien hat sie in einem kleinen Dorf gelebt. Wilhelmsburg ist ihr zu groß. Sie freut sich, dass sie eine spanischsprechende Frauenärztin gefunden hat, die sie betreut. Aber kann sie dem deutschen Gesundheitssystem trauen? Wenn man nicht viel über Deutschland weiß, sind solche Fragen normal.

In Spanien ist das Bild vom fremdenfeindlichen Deutschland noch verbreitet

Ihre Mutter macht in den Telefonaten Druck: Was willst du da? Komm zurück! In Spanien ist das Bild vom fremdenfeindlichen Deutschland immer noch verbreitet. Ihre Eltern sollten eigentlich jetzt zu Besuch kommen, aber unter den gegebenen Umständen wollen Isaac und Betsabe das lieber nicht. Sie wollen etwas Schönes vorzeigen, nicht ihr Provisorium.

Es ist eng in der Wilhelmsburger Wohnung geworden. Für drei Leute ist sie nicht geeignet. Isaac und Betsabe suchen dringend eine Wohnung. Aber sie sind nicht die Einzigen in Hamburg. Dabei bestehen sie nicht darauf, in Eimsbüttel oder Eppendorf zu wohnen. Nein, sie wünschen sich nur zwei Zimmer, irgendwo in Hamburg oder Umgebung. Bis 600 Euro Miete im Monat können sie sich leisten. Isaac sagt, dass er bei einigen Besichtigungen war. Aber er hatte keine Chance. Vielleicht, weil er nicht perfekt Deutsch spricht? Betsabe will so schnell wie möglich Deutsch lernen, aber einen Sprachkurs kann sie sich nicht leisten. Und eigenes Geld wird sie wohl erst nach der Geburt ihres Kindes verdienen. Bei der Arbeitsagentur haben sie ihr erklärt, was das Wort „Mutterschutz“ bedeutet, sagt sie.

Arbeiten will sie unbedingt. Sie will es hier schaffen, so wie ihr Mann. Sie kann sich vorstellen, wieder putzen zu gehen oder in einem Fastfood-Restaurant zu arbeiten. Am liebsten würde sie allerdings eine Pflegeausbildung machen. Sie hat gehört, dass in Deutschland Pflegekräfte gesucht werden.

Sie denkt häufig an die Zeit, als sie aus Peru nach Spanien kam. Sie weiß, wie es sich anfühlt, fremd zu sein. Sie fühlte sich damals verloren, die Spanier seien Fremden gegenüber sehr, sehr reserviert, sagt sie. Außerdem sieht sie nicht aus wie eine Spanierin. Sie fühlte sich beobachtet. Wollte alles richtig machen. So wie jetzt. Eines sei allerdings anders: Sie fühlt sich in Hamburg nicht beobachtet, viel freier als damals. „Hier ist es normal, anders zu sein“, sagt sie.

Isaac erzählt von der Arbeit: Er baut gerade mit seinen Kollegen ein Altersheim in Bramfeld. Die Arbeit mache viel Spaß. Auch der Chef Frank Körbelin sei sehr nett: Er habe angeboten, ihn finanziell zu unterstützen, sollte Isaac eine Kaution für eine neue Wohnung benötigen. Auch eine Kollegin in der Firma, die Spanisch spricht, hilft ihm häufig – sie ist auch mit Betsabe zum Bezirksamt gegangen, um sie anzumelden, auch in ihrer Freizeit lädt sie Isaac und Betsabe häufig nach Hause oder in den Schrebergarten ein – zum Grillen, zum Kartenspielen. Viel Freizeit hat Isaac nicht. Die Arbeit, die Sprachschule, die Wohnungssuche. Von Hamburg haben die beiden noch nicht viel gesehen. Isaac sagt, dass es noch kein schönes Leben sei, dass sie da führten. Aber vielleicht werde ja bald alles normal: „Zusammen schaffen wir das.“

Wie anders ist doch das Leben, das der zweite spanische Klempner der Firma derzeit führt. Juan. Wir treffen ihn auf der Schanze, wo er sich schon gut auskennt. Er ist häufig hier.

Juan weiß, dass er nur eine begrenzte Zeit hier sein wird

Juan wirkt sehr entspannt. Das liegt zum einen an den neuen Kollegen. Juan arbeitet auf einer neuen Baustelle in der Nähe des UKE. Ein Wohnhaus wird gebaut, die Mitarbeiter der Firma verlegen Wasserleitungen, bauen eine Solaranlage und die Heizung. Sie arbeiten zu viert, ein kleines Team. Das findet Juan gut, er versteht sich mit den deutschen Kollegen. Neulich hat er sich mit Kollegen verabredet, sie schauten sich ein spanisches Fußballspiel an – vielleicht war das auch besser, denn die Kollegen waren wegen des HSV nicht so gut gelaunt, sagt Juan und grinst.

Während man Isaac den Druck anmerkt, wirkt Juan manchmal wie ein Tourist. Er weiß, dass er nur eine begrenzte Zeit hier sein wird, und will diese Zeit genießen.

Er findet Hamburg super. Klar, die langen Wege zur Arbeit nerven ihn manchmal. Aber er hat viele Freunde finden. Neulich erst einen Spanier, auf der Veddel, im Bus. Mittlerweile kennt er auch einige Deutsche. An den Wochenenden ist er mit den neuen Freunden unterwegs. Auf der Schanze, in Wilhelmsburg oder woanders. Ostern war er beim Osterfeuer an der Elbe in Blankenese. „Schade, dass es beim Hafengeburtstag so geregnet hat“, sagt er. Auch in der Roten Flora war er schon. Ein Mann, der einen Rock trug, spielte Gitarre, lustig war das. Auch in Wilhelmsburg fühlt er sich wohl. Ein Bier kostet einen Euro, er kauft sein Obst auf dem Markt, hat mehrere Stammkneipen. Er hat sich bei Ebay für 80 Euro ein Fahrrad gekauft. Oft fährt er von Wilhelmsburg durch den alten Elbtunnel zu den Landungsbrücken und startet hier mit der Bahn zur Arbeit.

Juan spricht auch schon sehr gut Deutsch. Sein VHS-Kurs endet jetzt, nun will er einen Intensivkurs machen. Außerdem trifft er sich jeden Mittwoch mit Deutschen und Spaniern in einem Café in Altona. Die Deutschen müssen Spanisch sprechen, die Spanier Deutsch. 8 bis 15 Leute kommen immer.

Auch Juan hat eine Freundin. Sie ist Krankenschwester in Spanien, ihr Job ist sicher. Sie will auf keinen Fall nach Hamburg kommen. Sie war im November mal da. Es war bitterkalt, es regnete, auch der Winterdom konnte ihre Stimmung nicht heben. Wenn Juan könnte, würde er sicherlich jetzt schon in die Heimat zurückgehen.

Doch die Lage auf dem spanischen Arbeitsmarkt ist nicht besser geworden. Es gibt zwar Jobs, aber Verträge für höchstens zwei, vier, sechs Monate. Juan hat beschlossen, ein weiteres Jahr in Hamburg zu bleiben, bei der Firma Auf der Hart. Danach will er aber zurück.

Seine Freundin ist sauer wegen der Entscheidung. Auch seine Eltern sagen, er soll zurückkommen und wieder zu ihnen ziehen. Doch Juan will nicht. Hamburg bedeutet für ihn auch Freiheit. Er verdient zwar nur 1200 Euro netto im Monat – aber dafür ist der 32-Jährige nicht von den Eltern abhängig.

Allzu groß scheint seine Sehnsucht nach der Heimat auch nicht zu sein. Seinen nächsten Spanien-Trip plant er für Anfang September.

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