Valencia ist eine der schönsten Städte Europas. Die Euro-Krise ruiniert die ganze Region, viele Spanier wollen ihre Heimat verlassen. Beste Arbeitsbedingungen für Stephan Behringer: Er sucht Fachkräfte für Deutschland.
Dies könnte eine Reisereportage werden. Über Valencia, eine der schönsten Städte Europas.
Wer zum ersten Mal hierher kommt, der bewundert den „Mercado Central“ – die gigantische Markthalle inmitten der Stadt, wo Ibérico-Schinken verkauft wird. Abends gibt es Tapas in einem der vielen Restaurants, die ihre Tische vor die gepflegten Häuser stellen. Im Osten der Stadt wurde von 1991 bis 2006 eine gigantische Kulturstadt errichtet: die Ciudad de las Artes y las Ciencias, eine „Stadt der Künste und der Wissenschaften“. Ein Musikpalast mit vier Sälen, Museen, Kinos in futuristischen Gebäuden, umgeben von riesigen Wasserbassins. Eine Kulturstadt, die aussieht wie ein ferner Planet.
Der Sommer dauert in Valencia bis in den Oktober hinein. Klingt eigentlich ganz gut. In einer Reisereportage könnte man Floskeln wie „geschäftiges Treiben“ erwarten. Nur: Es gibt hier kein geschäftiges Treiben. Die Markthalle könnte voller sein, die Museumsstadt ist leer. An fast jedem der Häuser hängen in den Fenstern der Wohnungen Schilder. „Se vende“ steht da, zu verkaufen. Oder „Se alquila“ – zu vermieten.
Valencia hat eine Infrastruktur für eine Boom-Stadt. Valencia, 800.000 Einwohner, drittgrößte Stadt Spaniens, ist aber eine Stadt, die pleite ist. Nicht nur die Stadt, sondern auch die Bürger. Da ist der Taxifahrer, der so eine schöne, sonore Stimme hat. Wie ein Radiomoderator. Und dann sagt der Mann, dass er eigentlich Radiomoderator ist. Eine alte Frau läuft durch die Restaurants der Stadt, sie hat selbst gestrickte Armbänder dabei, die sie anbietet. Für einen Euro das Stück.
Die Arbeitslosenquote der Region Valencia liegt bei 30 Prozent. Jeder Zweite in der Region im Alter unter 25 Jahren hat keine Arbeit. Seit 2008 haben 400.000 Spanier ihre Heimat aus wirtschaftlichen Gründen verlassen. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 80.000, davon kamen rund 30.000 nach Deutschland.
Nein, dies ist keine Reisereportage. Dies ist eine Geschichte über Menschen, die raus wollen. Und eine Geschichte über den Mann, der sie nach Deutschland locken will.
Stephan Behringer bewohnt eines der vielen Apartments, die zu vermieten sind. Er ist häufig in der Stadt. Er fällt auf in Valencia: Er ist fast zwei Meter groß. Er spricht sehr gut Spanisch, das hat er in einem Intensiv-Kurs auf Kuba gelernt. Er kann auch Englisch, Französisch, Portugiesisch, Russisch. Und ein bisschen Mandarin.
Stephan Behringer kennt die Statistiken, er hat sie alle gelesen. Marktforschung. Er weiß, dass die Region wegen des Bau-Booms der vergangenen Jahrzehnte aufgeblüht ist. Und gerade deshalb jetzt in der Krise steckt. Es gibt viele Bauruinen in und um Valencia. Ganze Stadtteile sind verwaist, weil die Banken kein Geld mehr geben. Tausende Architekten, Maurer, Elektriker, Klempner sind arbeitslos.
Und genau deshalb ist Stephan Behringer hier. Die Arbeitslosen, die Verzweifelten, sind seine Zielgruppe.
Behringer ist 31 Jahre alt. Er hat BWL studiert und bei einer Telekommunikationsfirma im Vertrieb gearbeitet. Dann kam ein Studienfreund mit einer Geschäftsidee: spanische Fachkräfte nach Deutschland vermitteln. Ihre Firma nannten die beiden „POD – People of Diversity“, sie wollten schließlich unterschiedliche Menschen zusammenbringen. Der Firmensitz ist Würzburg. Aber da ist Behringer nur selten. Behringer flog nach Valencia, spazierte bei der Wirtschaftsbehörde rein und fragte, wie er an arbeitslose Klempner, Elektriker kommen könnte. Er vernetzte sich mit Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, stellte Job-Anzeigen ins Internet. Die Rückmeldungen waren vielversprechend.
Zurück in Deutschland tingelte Behringer durch die Republik. Nach Unternehmen mit Fachkräftemangel musste er nicht lange suchen. Auch in Hamburg wurde er fündig. Mehrere Elektroinstallateure und Klempner signalisierten Interesse. Die Vereinbarung: Behringer fliegt für sie nach Valencia und liefert ihnen Lebensläufe von Kandidaten. Die Firmenchefs können dann aussuchen.
Ein Montagmorgen in Valencia. In der Lobby der Handwerkskammer warten zehn Spanier auf Behringer. Es ist acht Uhr, alle sind pünktlich. Nur der Deutsche nicht. Die Spanier haben heute sowieso nichts anderes vor.
Der Deutsche erscheint schließlich, ruft fröhlich „Hola“, gibt jedem die Hand und bittet in einen Sitzungsraum. Auf der Leinwand ist die erste Folie seiner Präsentation zu sehen. „Trabajo en Alemania“ steht da – „Arbeiten in Deutschland“. Behringer drückt auf eine Taste, und ein Film startet. Ein Sketch über spanische Wanderarbeiter in Deutschland, der im spanischen Fernsehen lief: Vater und Mutter nehmen Abschied von ihrem Sohn, der nach Deutschland zum Arbeiten geht. Sie reden ihm ins Gewissen. „Traue keinem Deutschen. Die denken, sie sind schlauer als wir.“ Und: „Lass die Finger von deutschen Frauen.“ Sie packen ihm einen Schinken ein, damit er nicht verhungert.
Der Jobvermittler will die Runde mit seinem Film ein wenig auflockern, aber man hört nur das Surren der Klimaanlage.
Behringer sagt, dass er Elektriker, Klempner und Kältetechniker für deutsche Firmen suche. Er biete einen Vertrag für ein Jahr. 1100 Euro netto gebe es bei einer 38,5-Stunden-Woche. Kein üppiger Lohn, aber besser als gar nichts. Überstunden werden gezahlt. „Und es gibt viele Überstunden in Deutschland.“ 30 Tage Urlaub, 13 Feiertage im Jahr, Rentenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Behringer sagt, dass jeder Kandidat, den er nimmt, einen kostenlosen Sprachkurs bekommt. Und eine Woche Seminar bei deutschen Handwerkern, die den Spaniern zeigen, was in Deutschland auf sie zukommt.
Auf der Leinwand steht jetzt „Deine Entscheidung“. Behringer sagt, dass sich jeder selbst prüfen muss. Willst du wirklich in Deutschland leben? „In Deutschland seid ihr Anfänger.“ Der Unterschied in der Technik betrage 20 Jahre. Aber keine Sorge: „Ihr werdet mit offenen Armen empfangen.“
Fragen? Keine.
Behringer bittet zum Einzelgespräch. David Garcia Garrido ist einer der Ersten. Er ist 35 und kommt aus dem Umland. Er ist den Tränen nahe. Elf Jahre war er bei einer Firma, für die er als Klempner und Elektriker gearbeitet hat. Eine richtige Berufsausbildung hat er nicht – seine Fertigkeiten wurden auch so gebraucht. Bis zum Bauleiter hat er es gebracht. Sein Chef musste ihn vor drei Jahren entlassen. Weil es keine Aufträge mehr gab. David Garcia Garrido hat sich fortgebildet, das Arbeitsamt hat einen Klempnerkurs und eine Gasinstallations-Fortbildung gezahlt. Seine Freundin ist Krankenschwester – auch sie hat keine Arbeit mehr. Sie hatten eine Wohnung, doch den Kredit konnten sie nicht mehr bezahlen. Jetzt hat er Schulden und lebt wieder bei seinen Eltern. „Ich war so glücklich früher“, sagt er.
Die Geschichten, die Behringer zu hören bekommt, ähneln sich. Jose Manuel Colomer Ferrero hatte eine eigene Kältetechnik-Firma, drei Angestellte. 2009 kam die Pleite. Jetzt lebt der 34-Jährige bei seiner Mutter. Seine Eigentumswohnung hat er vermietet, um die Raten abzahlen zu können.
Agustin Perales Martinez, 35, verheiratet, zwei kleine Kinder, hat vor zwei Monaten seinen Job als Kältetechniker verloren. Seine Frau ist auch arbeitslos. Jeden Monat muss er 700 Euro Raten zahlen. Er war noch nie in Deutschland, aber eigentlich ist es ihm auch egal, wo er an Geld kommt. „Ich muss hier raus“, sagt er.
Zwei Tage lang wird Behringer seine Präsentationen halten, für Deutschland werben. Er hört viele schlimme Geschichten. Anfangs sind sie ihm noch nahegegangen, mittlerweile nicht mehr. Er hat schon zu viele schlimme Geschichten gehört. Und er ist schließlich zum Geldverdienen hier.
Damit er und sein Kompagnon aus den roten Zahlen kommen, müssen sie in diesem Jahr 70 Spanier vermitteln. Für jede Vermittlung gibt es 3500 Euro. Wenn die Mitarbeiter nach einem Jahr einen Anschlussvertrag bekommen, gibt es noch einmal 1000 Euro. Das klingt erst mal nach viel Geld. Doch statt 70 Vermittlungen ist Behringer aktuell bei 30. Und er hat bereits viel Geld investiert.
Am Abend dieses Tages mit vielen Vorstellungsgesprächen trifft Behringer in einer Hotelbar Astrid Harnisch, die Sprachlehrerin. Dass einige Kandidaten einen Rückzieher machen, ist Thema der Dienstbesprechung.
Astrid Harnisch sagt: „Das sind Menschen, die Angst haben, ein neues Leben anzufangen.“ Harnisch lebt seit einem Jahr hier, sie hat für die Lufthansa schon in vielen Ländern der Erde gearbeitet. Jetzt hat sie sich mit ihrer Familie hier niedergelassen. Spanisch ist ihre zweite Muttersprache, ihre Großeltern wanderten aus Hamburg nach Guatemala aus. Jetzt soll sie den Facharbeitern innerhalb von 168 Unterrichtsstunden Deutsch beibringen.
Sie macht Rollenspiele mit den Kandidaten: Möbel kaufen gehen, wegen Knieproblemen zum Arzt gehen. Für Grammatik ist keine Zeit.
Einer ihrer Schüler bekam die Aussprache einfach nicht hin. Deshalb gab sie ihm den Text für ein deutsches Kinderlied mit. Harnisch zeigt ein Handy-Video. Der Schüler hatte sich mit seiner Gitarre hingesetzt und das Lied geübt. Die Gitarre brachte er mit in die Unterrichtsstunde, alle Kollegen sollten mitmachen. Auf dem Video ist eine Horde Spanier zu sehen, die fröhlich das Lied grölen: „Backe, backe Kuchen, der Bäcker hat gerufen!“
Harnisch hat ihnen gesagt, sie sollen ihre Ängste auf Zettel schreiben. Einer schrieb, er habe Angst vor der Kälte in Deutschland. Ein anderer schrieb, er habe Angst, dass seine Tochter ihn nicht mehr erkennt, wenn er so lange weg ist. Ein anderer schrieb, er habe Angst vor der Sprache mit den vielen Ös und Äs. Dann sagte Harnisch ihnen, sie sollten die Zettel zerreißen.
Behringer sagt, der ideale Kandidat ist um die 30 Jahre alt, hat Berufserfahrung und bekommt kein Heimweh. Viele Spanier seien einfach zu sehr in der Familie verwurzelt, sagt Behringer. Gerade erst hat er eine Absage eines vielversprechenden Kandidaten bekommen. Geschrieben hat nicht der Kandidat. Sondern seine Freundin.
„Hamburgs neue Gastarbeiter“ ist eine Serie in loser Reihenfolge. In der kommenden Woche lesen Sie, wie sich ein Hamburger Firmenchef und zwei spanische Klempner auf ihre Zusammenarbeit vorbereiten.