Nicht einmal jede zweite Hamburgerin zwischen 50 und 69 nahm zuletzt am Mammografie-Screening teil. Politiker fordern bessere Aufklärung und kritisieren das Screening-Programm.

Hamburg. Immer weniger Hamburgerinnen nahmen zuletzt am Mammografie-Screening teil. Im vierten Quartal 2013 ging nicht einmal jede zweite der angeschriebenen Frauen zwischen 50 und 69 Jahren zur Brustkrebsvorsorge. Das ergibt sich aus der Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage der Linken-Gesundheitspolitikerin Kersten Artus. Demnach folgten in Hamburg von 22.955 Frauen nur 11.215 der Einladung zur für sie kostenlosen Vorsorgeuntersuchung.

„Die Teilnehmerzahlen dürften in Wahrheit geringer sein, weil davon auszugehen ist, dass nicht alle Frauen, die Zielgruppe sind, eingeladen werden“, sagt Artus. Daher führe das Screening auch nicht zu soliden Zahlen. Für die Linken-Politikerin ist die bundesweite durchgeführte Massenuntersuchung ohnedies längst fragwürdig – nicht nur wegen des jüngsten Skandals in Essen, wo die zuständige Praxis offenbar jahrelang ungestraft gegen Richtlinien verstieß, Krebsbefunde übersehen wurden und Frauen durch unsachgemäße Untersuchungen Verletzungen erlitten.

„Mammografie-Screening ist ein Abo zum Geldverdienen und die Lobby, die dahintersteht, ist massiv“, sagt Artus. „Dagegen stehen ein paar wenige Frauengesundheits-Expertinnen, die tapfer dagegenhalten und eine informierte Entscheidungsfindung fordern.“ Diese würden aber kaum durchdringen. „Ich persönlich finde die gesamte Inszenierung um Brustkrebs nicht hilfreich. Auch die rosa Schleifen nicht und die rosa Alsterfontäne. Was hilft das der Frau, die betroffen ist?“, sagt Artus. „Wer bringt endlich unabhängige Informationen zu dem Thema raus, sodass diese auch die Frauen erreichen? Wer sorgt für eine psychosoziale Betreuung der Frauen, die wieder einbestellt werden, die Karzinome haben?“

Artus bezieht sich bei ihrer Kritik an dem Screening-Programm auch auf kritische Stellungnahmen des Arbeitskreises Frauengesundheit (AKF), in dem zahlreiche Fachärztinnen bundesweit organisiert sind. 22 Prozent der mittels Screening diagnostizierten invasiven Mammakarzinome seien in eine Studie als „Überdiagnose“ bezeichnet worden. „Danach muss eine von 424 Frauen, die am Mammografie-Screening teilnehmen, oder eine von fünf Frauen, die eine Krebsdiagnose erhalten, mit einer unnötigen Krebstherapie rechnen. Eine von fünf Krebsdiagnosen durch Mammografie-Screening stellt keine tödliche Bedrohung dar, trotzdem bekommen auch diese Frauen eine hoch invasive medizinische Therapie wie Operation – evtl. mit Verlust der Brust –, Chemotherapie, Strahlentherapie, Hormontherapie etc., weil bisher nicht unterscheidbar ist, welche Frau diese Behandlung wirklich braucht und welche nicht.“ Statt einseitig Werbung für das Screening zu machen, müssten die Frauen in der entsprechenden Altersgruppe differenziert aufgeklärt werden, fordert der AKF.

Zuletzt hatte auch der Bundesärztekammer-Präsident und Hamburger Radiologe Frank Ulrich Montgomery die Screenings infrage gestellt. „Wir müssen Nutzen und Risiko der Vorsorgeuntersuchungen stärker hinterfragen als bisher, zumal oft nur die erreicht werden, die sich ohnehin um ihren Körper kümmern. Nötig sei eine wissenschaftliche Analyse aller Statistiken, die es zu den Vorsorgeuntersuchungen gebe, um das Verhältnis von Nutzen und Risiko besser zu bestimmen. „Und dann müssen wir die Patienten umfassend aufklären. Das sind wir ihnen schuldig“, so Montgomery, wobei er sich auch auf Hautkrebs-Screening und Vorsorgeuntersuchungen auf Prostatakarzinome bezog.

Die Hamburger Gesundheitsbehörde wollte sich auf Nachfrage nicht zum Streit über den Sinn der Reihenuntersuchungen äußern – auch nicht zu den zuletzt niedrigen Teilnehmerinnenzahlen in Hamburg. Zuständig für das Programm sei die Kassenärztliche Vereinigung (KV), hieß es. Deren Hamburger Sprecher lehnte eine Stellungnahme allerdings ebenfalls ab. Es sei besser, die teilnehmenden Ärzte direkt zu fragen, sagte er. Leider war aber weder vom Screening-Zentrum an der Mönckebergstraße noch von einschlägigen Großpraxen eine Stellungnahme zu der Debatte zu bekommen.

Immerhin konstatiert der Senat in der Antwort auf die Linken-Anfrage: „Der zuständigen Behörde liegen keine Informationen über Beschwerden oder Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Mammografie-Screening-Programm in Hamburg vor.“

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