Melanie Gerusch hat Brustkrebs. Die Diagnose verarbeitet sie in einem humorvollen Blog. Zudem gründete sie eine Herzkissen-Initiative – und wird so zur Stütze für andere betroffene Frauen. Von Hanna Kastendieck
Hoffnung und Schock. Es sind diese zwei Worte. Sie fassen alle Gefühle, die in ihr herumtanzen. Angst, Unsicherheit, Zuversicht, Optimismus. Es ist Mittwoch, der 31. Juli 2013. Melanie Gerusch hat einen Termin beim Frauenarzt. Sie hat einen Knoten in der Brust. Nichts Besonderes, denkt sie. Eine Gewebeverhärtung. Sie kennt das, weil sie schon mehrfach so etwas hatte. Auch deshalb ist sie nicht gleich zum Frauenarzt gerannt. Doch diesmal ist es anders. Ihr Arzt schaut auf die Brust. Er sagt nichts. Aber sein Blick verrät alles.
Zwei Tage später stirbt die Hoffnung. Es bleibt dieses eine Wort: ...Schock... Bei der Mammografie zeigen sich in der rechten Brust die üblichen Verhärtungen. In der linken ist etwas drei Zentimeter großes Schwarzes. Der Arzt sagt: „Für mich sieht es bösartig aus.“ So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
Ein Leben mit Brustkrebs. Melanie Gerusch ist 35 Jahre alt. Ein sportlicher Typ. Sie lacht viel. Oft über sich selbst. Sie hat einen guten Humor. Sie nimmt das Leben gelassen. Kompliziert ist nicht ihr Ding. Als sie im August 2013 die Diagnose erhält, beginnt sie einen Brustkrebs-Blog zu schreiben. Es ist ihre Art, die Dinge zu verarbeiten. Er beginnt mit den Worten: „Es trifft mich nicht...“
„Jetzt gerade warte ich auf die Knochenszintigraphie, stelle regelmäßig im Kopf fest, dass ich Krebs habe und rede (ok, ich drohe ihm) sogar schon mit dem ungebetenem, unbekannten Gast in meiner Brust (vorgestellt hat er sich ja noch nicht) und dann denke ich nur: pfff, wäre ja wohl gelacht, wenn ich das Teil nicht eliminiert bekomme.“ Es ist der 6. August. Das Warten auf ein zuverlässiges Ergebnis macht sogar sie, die alles leicht nimmt, mürbe. Fragen tanzen in ihrem Kopf herum: „Was für eine Art ist es? Muss die komplette Brust abgenommen werden? Patientenverfügung? Wie sehe ich wohl ohne Haare aus? Testament? Wie gehe ich damit um? Wie gehe ich womit um? Wie gehen andere damit um?“
Sie will ihm in den Hintern treten, diesem kleinen miesen Stück Karzinom. Das nimmt sie sich fest vor, als sie mit dem Arzt über die Behandlung spricht. Sie ist wütend. Versucht tapfer zu sein. Es sind die anderen, die Tränen in den Augen haben. Sie sagt: „Es gibt Schlimmeres.“ Sie weiß, dass ein bösartiger Tumor in der Brust noch kein Todesurteil bedeutet. Am 20. September entfernen die Ärzte das bösartige Gewebe aus der Brust. Sie hat Schmerzen, klemmt sich beim Liegen ein zusammengerolltes Handtuch unter den Arm, um die Brust zu entlasten. Drei Tage später darf sie das Krankenhaus verlassen.
Warten. Hoffen. Warten. Zwei Wochen dauert es, bis die Ergebnisse aus der Pathologie und dem Labor da sind. Sie bekommt Post vom Sozialdienst des Krankenhauses. Es sind Informationen zum Schwerbehindertenausweis. „Puh... schwerbehindert... hört sich krass an. Will ich das überhaupt? Mir fehlt doch kein Arm oder Bein“, schreibt sie im Blog.
Am 9. Oktober hat das Warten ein Ende. Und die Hoffnung auch. Sie wird eine Chemotherapie machen müssen. In zwölf Tagen soll es losgehen. 16 Wochen dauert die Chemo. „Wie es mir jetzt geht? Sagen wir mal so... ich habe eine ordentliche Portion Angst. Obwohl es hauptsächlich nur eine Angst ist: Übelkeit. Haare... pff. Wachsen nach.“
Drei Stunden dauert eine Chemo-Einheit. Gemeinsam mit vier weiteren Patientinnen sitzt sie in einem Raum. Die Damen lachen viel. Sie nennt sie „meine Chemokolleginnen“. Sie schneidet sich die Haare kurz. Damit beim morgendlichen „Ziehtest“ nicht so viel im Waschbecken landet. Am 6. November hat sie die ersten Büschel in der Hand. Ihr Freund Mario rasiert ihr den Kopf. Sie machen eine richtige Session daraus. Und sie lachen sich schlapp. „Meine größte Sorge, die ich aktuell habe, ist die, dass sich meine Wimpern nach einem nächsten Schminkvorgang eventuell nicht mehr im Gesicht, sondern an der Mascara-Bürste befinden“, schreibt sie am 10. November in ihrem Blog. Und: „Ich wusste gar nicht, dass ich Muttermale aufm Kopp hab.“ Es geht ihr vergleichsweise gut. Sie hat einen chemischen Geschmack im Mund. „Kopfschmerzen im Bein“. Und ist so schlapp, dass sie sich beim Umrühren der Chili con Carne mit Mario abwechseln muss. „Versucht mal mit Blei-Armen Wäsche aufzuhängen“, schreibt sie. Sie, die Sportliche, die immer ihren Körper im Griff hatte, erfährt, wie ihr Körper das Sagen übernimmt. Jeder Knochen wiegt tonnenschwer.
Weihnachten kommt die Übelkeit. Im Januar verliert sie Augenbrauen und Wimpern. Sie meldet sich bei einem Kosmetikseminar für krebskranke Frauen an. Am 26. Januar bekommt sie ihren Behindertenausweis. Vier Tage später hat sie ihre letzte Chemo.
An diesem Tag entscheidet sie sich, selbst etwas für das „Bewusstsein Brustkrebs“ zu tun. Sie liest über das Projekt „Herzen gegen Schmerzen“, bei dem Frauen ehrenamtlich Herzkissen nähen und in Krankenhäusern an Brustkrebspatientinnen verteilen. So ein Kissen als Stütze hätte sie sich auch nach der OP gewünscht. Denn es lindert Narbenschmerzen sowie Lymphschwellungen oder Druck unter dem Arm und spendet zudem auch etwas Trost. Kurzerhand gründet sie eine Herzkissen-Gruppe in Hamburg – die Idee kommt ursprünglich aus Amerika. Sie bekommt die Schnittmuster zugeschickt, besorgt auf Flohmärkten Stoffe, schreibt Stoffläden an und beginnt zu nähen. Bei Facebook macht sie eine Seite, auf der alle Spender genannt werden. Einer der großen Unterstützer ist das Stoffcentrum Hamburg. Mittlerweile sind 28 Personen mit dabei. Genäht wird Zuhause.
Einmal im Monat ist Stopftreffen. Dann füllen sie gemeinsam die Hüllen mit Füllwatte und Kisseninletts. 110 Kissen stopfen sie beim ersten Treffen im Februar. „Derzeit können wir nicht weiter machen, weil uns Füllmaterial fehlt. Wir brauchen dringend Material-Spenden“, sagt Melanie Gerusch.
Es wird Frühling. „Es sprießt... Schneeglöckchen... Krokusse... und HAARE!“, schreibt sie. „Ich sehe aus wie ein Küken. Regelmäßig geht sie zur Bestrahlung. 30-mal, jeweils eineinhalb Stunden. Sie will wieder joggen. Nach einem Kilometer muss sie umdrehen.
Am 31. März hat sie ihre letzte Bestrahlung. Sie hat den Behandlungsmarathon hinter sich gebracht. Sie stellt Sekt kalt. Sie hat noch immer mit Nebenwirkungen zu tun: „heiß…kalt…megaheiß…müde…kalt...“ Aber die Kraft kehrt zurück.
Informationen zur Herzkissen-Gruppe gibt es im Internet unter www.herzkissen-hamburg.de. Die Gruppe braucht dringend Füllmaterial- und Baumwollstoff-Spenden. Spenden an: Melanie Gerusch, 2850588 Packstation 159, 22177 Hamburg.Der Blog steht unter: www.brustkrebs-blog.de