Wird Hamburg abgehängt, weil es sich zu sehr auf den Hafen verlässt? Warum sind wir bei den Hochschulen schlechter als viele Mittelstädte? Ein Streitgespräch zwischen Politik und Wissenschaft.
Hamburg. Der Blick von der Dachterrasse des Hamburger Abendblatts zeigt eine blühende Stadt. Als ein Kreuzfahrtschiff in den Hafen einfährt, scheint es, als segle es mitten durch das bunte Häusermeer. Die Elbphilharmonie glänzt in der Sonne, auf dem Rathausmarkt drängen sich Touristen, und vom Michel herüber tönt der Morgenchoral des Türmers. Aber täuscht der idyllische Eindruck? Droht Hamburg im Mittelmaß zu versinken? Davor haben Ex-Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) und die früheren Senatoren Wolfgang Peiner (CDU) und Willfried Maier (Grüne) gewarnt – und eine Strategie gefordert, Hamburg zu einer Wissenschaftsmetropole zu machen. Denn der Hafen allein könne keine gute Zukunft mehr garantieren. Hochschulen statt Hafen also? Ein Streitgespräch im Rahmen der Serie „Stadtlabor“ zwischen SPD-Fraktionschef Andreas Dressel und Stadtforscher Dieter Läpple über den richtigen Weg in die Zukunft.
Hamburger Abendblatt: Professor Läpple, der SPD wird attestiert, dass sie handwerklich gut regiert. Zugleich warnen Ex-Bürgermeister und Senatoren, Hamburg könne abgehängt werden, weil eine Vision für die Zukunft fehle. Teilen Sie die Besorgnis?
Dieter Läpple: Ja, ich mache mir Sorgen. Hamburg konzentriert sich zu sehr auf seinen Hafen und vernachlässigt massiv den Zukunftsbereich Wissenschaft, Forschung und Entwicklung. Das hat viel mit Tradition zu tun, aber auch mit den Folgen der Wiedervereinigung. Hamburg sah sich plötzlich wieder im Zentrum Europas, Handel und Hafen boomten. München dagegen bekam damals Angst, an den Rand gedrängt zu werden. Es hat sein Tafelsilber verkauft und 4,5 Milliarden Euro zusätzlich in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung investiert. Heute erzeugt die Hafenwirtschaft in Hamburg immer weniger Arbeitsplätze und immer höhere Kosten. Die OECD spricht von einer „Demaritimisierung“ der Hafenstädte. Weil man sich aber auf den Hafen fokussiert hat, ist Hamburg auf dem Zukunftsfeld Forschung und Entwicklung heute Schlusslicht. Die Region München hat mittlerweile achtmal mehr Beschäftigte in diesem Bereich als die Region Hamburg.
Andreas Dressel: Ich teile die Analyse nicht. Wir investieren in Köpfe und Kaimauern. Bildung – von Kita bis Hochschule – ist unser Schwerpunkt. Wir sind vorne beim Kita-Ausbau, bei Ganztagsschulen, beim Übergang Schule/Beruf mit der Jugendberufsagentur, haben die Studiengebühren, bei voller Kompensation für die Hochschulen, abgeschafft. Damit schaffen wir Chancengerechtigkeit – gerade für Jugendliche mit schwierigerem sozialem Hintergrund. Trotz Schuldenbremse haben wir den Unis durch Verträge langfristige Planungssicherheit gegeben. Wir haben die Exzellenzcluster ausgebaut, Klima- und Strukturforschung gestärkt. Aber auch ich wünsche mir, dass wir noch eine Schippe drauflegen und den Impuls der Herren Dohnanyi, Maier und Peiner aufgreifen.
Läpple: Das Thema Integration, Teilhabe und Chancengerechtigkeit, das Sie ansprechen, ist sehr wichtig, das sehe ich auch so. Aber eine Großstadt wie Hamburg hat an zwei Stellen Handlungsbedarf. Zum einen muss einer sozialen Polarisierung entgegengewirkt werden. Zum anderen aber muss die Stadt auch ihre ökonomische Basis weiterentwickeln, muss sich erneuern und neu erfinden. Für diese Aufgabe ist Hamburg nicht gut aufgestellt. Der Anteil der Beschäftigten mit Fachhoch- und Hochschulabschluss ist hier auf dem Niveau von Essen, bei etwa 14 Prozent. In München und Stuttgart liegt er bei 22 Prozent. Dabei sind diese qualifizierten Menschen die wichtigen Treiber kultureller und technologischer Innovationen.
Woher rührt dieser Rückstand?
Läpple: Wir haben uns nach 1989 in der falschen Sicherheit gewiegt, dass die Hafenwirtschaft die alten Stärken weiter entfaltet, und Milliarden in Hafen und Schifffahrt investiert. Nun sehen wir, dass diese Stärken nicht nur erschlaffen, sondern dass aus dem Bereich der Hafenwirtschaft auch große Bedrohungen auf uns zukommen. Nehmen Sie bloß die Risiken, die da noch in der auf Schiffsfinanzierung konzentrierten HSH Nordbank liegen. Oder bei Hapag-Lloyd. Da kann noch viel schiefgehen.
Dressel: Es gibt diese Risiken, weil sich die Schifffahrtskrise auch bei uns bemerkbar macht – aber auch große Chancen, die Hamburg seit der deutschen Einheit genutzt hat und weiter nutzt. Wir werden weiter investieren, auch weil der Hafen immer stärker Tradition mit Innovation verbindet. Mit dem maritimen Cluster haben wir das gebündelt. Wir wollen mit der Smart-Port-Strategie den Hafen zu einem Schaufenster für erneuerbare Energien machen, setzen mit der Fraunhofer-Gesellschaft sogar einen maritimen Forschungsschwerpunkt. Neben der Containerschifffahrt bringt auch der Kreuzfahrtboom mehr Wertschöpfung nach Hamburg. Die Elbe bleibt unsere Lebensader, der Hafen unser Herzstück.
Läpple: Natürlich ist der Hafen wichtig. Ich kritisiere aber den Tunnelblick auf den Containerumschlag. Und die völlig unrealistischen Zahlen, mit der die Hafenlobby operiert. Seit Jahrzehnten wird behauptet, am Hafen hingen mehr als 150.000 Arbeitsplätze. Da werden dann zum Beispiel die Beschäftigten einer großen Druckerei im Umland mitgezählt, weil das Papier für Zeitungen per Schiff ankommt. Rotterdam rechnete 1995 mit 65.000 Arbeitsplätzen, die direkt oder indirekt vom Hafen abhingen. Trotz starken Umschlagswachstums waren es dann 2012 weniger als 45.000. Wenn wir in Hamburg mit unrealistischen Zahlen operieren, streuen wir uns Sand in die Augen und treffen dann falsche Entscheidungen.
Der Hafen ist für die Hamburger ein sehr emotionales Thema, die Hochschulen dagegen nicht.
Läpple: Genau das ist das Problem. In anderen Städten gibt es einen Aufschrei, wenn die Hochschulen in den Rankings zurückfallen. In Hamburg ein Achselzucken. Hochschulpolitik ist hier seit Jahrzehnten als Sparpolitik betrieben worden. Wenn man gute Lehre und Forschung will, etwa im Bereich erneuerbaren Energien, dann braucht man eine gute Ausstattung. Wir haben an der TU Berufungsverhandlungen für Professorenstellen geführt, bei denen den Bewerbern drei wissenschaftliche Mitarbeiterstellen angeboten wurden. Damit wären sehr viele Hamburger Professoren sehr glücklich. Aber die Antwort dieser exzellenten Leuten war: In Aachen bekomme ich fünf und in Braunschweig sechs Mitarbeiter. Und dann waren sie weg.
Dressel: Ich kann die Wünsche ja nachvollziehen, aber in Zeiten der Schuldenbremse muss man immer sagen, wo man etwas wegnimmt, wenn man woanders drauflegen will. Wir haben den Hochschulen mit einer vertraglich fixierten Steigerung von 0,88 Prozent zwar nicht sehr viel mehr Geld zusätzlich zuweisen können, ihnen aber Planungssicherheit gegeben. Man soll den Hochschulstandort auch nicht schlechtreden.
Läpple: Ich rede nichts schlecht. Die Ausstattung der Hochschulen in Hamburg ist schlecht. Schauen Sie sich die Zahlen an: Als die HafenCity-Universität gegründet wurde, hatte sie etwa 6000 Euro pro Student und Jahr zur Verfügung. Nach acht Jahren sparen und schrumpfen wird sie 2015 bei 11.800 Euro sein. Der ETH Zürich dagegen stehen 52.000 Euro pro Student und Jahr zur Verfügung. Die anderen laufen uns beim Thema Wissenschaft und Forschung davon. Und die zugesicherten 0,88 Prozent jährliche Steigerung für die Hochschulen sind faktisch eine weitere Kürzung.
Dressel: Wir sollten uns stärker auf die Qualitäten als auf die Quantitäten beziehen. Die TU Harburg hat sich toll entwickelt, die HAW ist in vielen Bereichen weit vorn, beispielsweise bei der Windenergie. Der Klima-Campus ist ein Hochschul-Leuchtturm in unserer Stadt, genauso wie Desy, die Max-Planck-Institute und vieles mehr. Und dass morgen die HafenCity-Universität in einem spektakulären Neubau ihre Arbeit aufnimmt, ist doch ein Aufbruchssignal für die Wissenschaft! Natürlich ist es eng in der Grundfinanzierung, umso wichtiger ist angesichts begrenzter Ressourcen eine stärkere Profilbildung. Da hilft die Planungssicherheit, die wir mit den Verträgen geschaffen haben – auch bei Neuberufungen. So können Schwerpunkte mit Strahlkraft gesetzt werden.
Heißt das: Alles gut, mehr geht nicht?
Dressel: Nein, das heißt es nicht. Wir müssen trotz Schuldenbremse Perspektiven entwickeln. Wir müssen den Sanierungsstau an den Hochschulen angehen. Und wir müssen die Exzellenzbereiche, die wir haben, weiter stärken, also zum Beispiel Klima- und Energieforschung. Wir brauchen eine stärkere Verzahnung von Wissenschaft und Wirtschaft. Dabei geht es sowohl um mehr Drittmittelfinanzierung von Wissenschaft und Forschung, als auch um mehr Transfer aus der Forschung in die Unternehmen. Wir brauchen mehr kooperative, kreative Lösungen. Die öffentliche Hand kann nicht alles allein bezahlen, wenn man woanders nicht massiv den Rotstift ansetzen will. Und das kann ich mit Blick auf die gesamte Stadt nicht verantworten.
Läpple: Herr Dressel, ich habe lediglich die Probleme beschrieben, die aus unserer Geschichte stammen. Wir müssten jetzt handeln. Nicht morgen oder übermorgen. In den nächsten Jahren werden wir einen großen Generationswechsel bei den Professuren erleben. Jetzt hätten wir die Chance, gute Leute anzuziehen und die Universitäten zu erneuern. Mit der Schuldenbremse sind wir aber jetzt kaum handlungsfähig.
Also geht es in der Wissenschaft am Ende nur ums Geld?
Läpple: Natürlich geht es nicht ausschließlich um Geld. Es geht um Talente, um Begeisterung, um Geld und die Zeit, die man für den Aufbau von Kompetenz braucht. Wenn aber an der Geldseite über Jahrzehnte gespart wird, zerstört man die Begeisterung. In Hamburg gibt es ungefähr 10.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Und die sind ziemlich mobil, vor allem die talentiertesten. Die gehen am Ende dorthin, wo sie ihre Begeisterung entfalten können.
Nun gibt es aber die Schuldenbremse, was also können wir tun?
Läpple: Mit dem geplanten Teilumzug der Universität auf den Kleinen Grasbrook war die Hoffnung verbunden, man könne durch die Vermarktung frei werdender Flächen in Harvestehude extra Mittel für die Hochschulen mobilisieren. Die hätten als Einstieg in einen Sonderhaushalt dienen können. Diese Idee ist nach dem Nein zum Teilumzug nicht mehr umsetzbar.
Dressel: Die Idee des Uni-Umzugs war nicht zu Ende gedacht und hat den Blick auf realistische Maßnahmen lange Zeit verstellt. Man wollte ganz visionär sein, hat am Schluss alle gegen sich aufgebracht – und die Pläne verschwanden wieder in der Schublade. Wir konzentrieren uns auf das Machbare und investieren jetzt über 300 Millionen Euro in einen komplett sanierten, modernen MIN-Campus an der Bundesstraße. Mein Wunsch ist, dass wir in der nächsten Wahlperiode eine Sanierungsoffensive für den Uni-Hauptcampus starten. Auch da gibt es einiges zu tun!
Läpple: Ja, das ist sicher nötig. Aber es löst das Problem nicht, dass Wissenschaft und Forschung in Hamburg dramatisch unterfinanziert sind. Deswegen bin ich ja so besorgt um Hamburgs Zukunft. Weil wir ein gravierendes Problem haben, und ich sehe derzeit einfach die Lösung nicht.
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