Überall dort, wo Schüler erkennbar verletzt werden, körperlich oder möglicherweise auch seelisch, sind Eltern und Lehrer gefragt. Kurzum: Wo ein Kind Opfer geworden ist, darf die Schule nicht wegschauen.

Beim Thema Gewalt an Schulen zeigt sich deutlich, wie sich unsere Gesellschaft in den vergangenen 50, 60 Jahren verändert hat. Präziser: Hier können wir Fortschritt beobachten. Eine Prügelei auf dem Schulhof wurde damals in der Regel noch als Bestandteil des normalen Reifeprozesses der Jugendlichen, jedenfalls des männlichen Teils, angesehen. Streitigkeiten mit Fäusten und Tritten auszutragen war ebenso legitimiert und akzeptiert wie die Gewalt durch Lehrer, die ihre Schüler schlugen oder anders malträtierten.

Es ist Kennzeichen modernen, weitgehend zivilisierten Zusammenlebens, Gewalt in jeder Form zu ächten. Nun hieße es ein Überwachungssystem orwellschen Ausmaßes heraufzubeschwören, wollte man jeden Schienbeintritt oder Knuff im Klassenzimmer auf den Index setzen. Manches ist schnell vergessen. Aber überall dort, wo Schüler erkennbar verletzt werden, körperlich oder möglicherweise auch seelisch, sind Eltern und Lehrer gefragt. Kurzum: Wo ein Kind Opfer geworden ist, darf die Schule nicht wegschauen.

An vielen Schulen gelingt das inzwischen recht gut. Das viel bemühte Schlagwort von der Kultur des Hinschauens anstelle des Wegschauens und Verdrängens ist häufig längst Realität auf dem Schulhof wie in den Klassenzimmern. Selbstverständlich sind Eltern heute weit selbstbewusster in der Wahrnehmung der Rechte ihrer Kinder als vor Jahrzehnten. Aber auch viele Lehrer haben längst erkannt, dass in dem richtigen Umgang mit dem Thema pädagogischer Mehrwert liegt. Schulen machen Gewaltprävention und das Bekenntnis zu gewaltfreiem Umgang miteinander zu ihrem Markenzeichen. Das wird nicht alle Körperverletzungen verhindern, kann aber das Klima an dem Standort durchaus positiv verändern.

Entscheidend ist bei gravierenderen Fällen professionelle Hilfe, weil Lehrer und Eltern allein schnell überfordert sind. In Hamburg steht ein Team von 16 Fachleuten der Beratungsstelle Gewaltprävention auch für die Krisenintervention bereit. Aber vor allem bilden die Experten Lehrer fort, sensibilisieren die Pädagogen.

Die beinahe zwangsläufige Folge erhöhter Aufmerksamkeit ist, dass mehr Gewaltvorfälle registriert werden. Das Dunkelfeld wird eben aufgehellt. Das trifft in Hamburg vor allem für die leichteren Fälle einfacher Körperverletzungen zu. Wenn die Hamburger Schulbehörde in Zusammenarbeit mit der Polizei jetzt 44 gefährliche Körperverletzungen innerhalb von 15 Monaten an den staatlichen Schulen registriert hat, so mag das, statistisch gesehen, sehr wenig sein. Doch wäre es falsch, zur Tagesordnung überzugehen, nur weil diese Zahl seit Jahren in etwa stabil ist. Jeder Angriff eines Schülers mit einem Baseballschläger, einem Messer oder einer Glasscherbe muss nicht nur juristisch, sondern gerade auch pädagogisch vor Ort aufgearbeitet werden.

Die Liste der gefährlichen Körperverletzungen an Schulen, die die Schulbehörde jetzt erstmals veröffentlicht hat, zeigt dreierlei: Am stärksten betroffen sind die Stadtteilschulen, was deren Image nicht verbessern wird. Zweitens soll es an keinem einzigen der 60 Hamburger Gymnasien einen vergleichbaren Übergriff gegeben haben. Hier sind doch gewisse Zweifel angebracht, ob die Gymnasien wirklich die Inseln der Seligen, besser gesagt: der jugendlichen Engel, sind. Vielleicht ist die Sensibilisierung in Sachen Gewalt einfach nur noch nicht so weit fortgeschritten wie an vielen Stadtteilschulen. Es gibt aber auch Schulen, die um ihren Ruf fürchten...

Dass es drittens gefährliche Körperverletzungen auch an mehreren Grundschulen gab, ist Grund zu ernster Besorgnis. Bei den Sechs- bis Zehnjährigen entfällt als Grund pubertäres Kräftemessen. Hier muss mit besonderer Sorgfalt den Ursachen auf den Grund gegangen werden.