Die Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten stellten sich im Kreuzfahrtterminal den Fragen von 175 Bürgern. Neben Zuwanderung und der Türkei ging es auch um die Sängerin Conchita Wurst.

Hamburg. Es war eine hitzige und teils humorvolle Debatte: Fünf Tage, bevor in Deutschland die Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden, waren Jean-Claude Juncker und Martin Schulz am Dienstagabend zu Gast in der ARD-Wahlarena. Die beiden Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten stellten sich im Altonaer Kreuzfahrtterminal den Fragen von 175 Bürgern.

Abwechselnd mussten die beiden Politiker auf unterschiedlichste Themen wie Energiepolitik, Bürokratie, Außenpolitik und Zuwanderung eingehen. Sowohl Schulz als auch Juncker präsentierten sich dabei souverän und exzellent vorbereitet.

„Wir können nicht zulassen, dass das Mittelmeer zum Friedhof Europas wird“, sagte Juncker im Bezug auf die Zuwanderungspolitik. „Wir müssen die Entwicklungshilfe steigern, damit die Menschen nicht in Todesboote steigen müssen.“ Im Bereich des Datenschutzes plädierte der ehemalige luxemburgische Premier für ein entschiedenes Auftreten der EU gegenüber den USA. „Die Amerikaner müssen nicht nur abhören, sondern auch mal hinhören, wenn wir etwas sagen“, so Juncker.

Der Sozialdemokrat Martin Schulz betonte die Abhängigkeit von russischem Gas durch eine konzertierte europäische Politik verringern zu wollen. Außerdem solle die EU strenge Regeln für eine mögliche Freihandelszone mit den USA aufstellen. „Wer auf unseren Markt will, der muss sich an unsere Standards halten“, sagte Schulz. Ein Kernpunkt in den inhaltlichen Vorstellungen des Sozialdemokraten bestand außerdem in der Rückgabe von Entscheidungskompetenzen zu den Ländern und Kommunen der Mitgliedsstaaten.

Einem EU-Beitritt der Türkei erteilte Schult eine deutliche Absage: Das Land entwickele sich von „weg von allen europäischen Werten“, mit der Regierung von Premier Erdogan sei das Land nicht beitrittsfähig. „Wer Twitter abschaltet, hat die Zukunft nicht verstanden“, ergänzte Juncker und äußerte sich ebenfalls skeptisch, bis 2019 solle kein weiteres Landder EU beitreten.

Cichowicz hakt nach, Juncker mag Conchita Wurst

Die Journalisten Sonia Mikich vom WDR und Andreas Cichowicz vom NDR moderierten die 80 Minuten dauernde Debatte. Cichowicz stellte beide Kandidaten als „sturmerprobte Skipper“ vor, „die gern Kapitäne seien wollen“. In der Debatte konzentrierten sich die Moderatoren darauf, ein Gleichgewicht in der Redezeit beider Kandidaten herzustellen. Cichowitz hakte vereinzelt nach und ermahnte Jean-Claude Juncker zu kürzeren Antworten. „Sie haben es mit den kurzen Antworten, ich nicht“, gab der Gescholtene trocken zurück.

Wenngleich die Positionen der Kandidaten in vielen Bereichen ähnlich sind, gaben sich die Kandidaten ein unterschiedliches Profil. Schulz setzte sich als engagierter Gestalter für die gesamteuropäische Politik in Szene, warb etwa deutlich für ein umfassendes Kreditprogramm für kleinere und mittlere Unternehmen. Dies solle die Arbeitslosigkeit bekämpfen.

„Ich bin ein Spezialist für die kleineren Länder“, stellte Jean-Claude Juncker unumwunden klar. In heiklen Fragen müssten insbesondere die Strömungen und Sorgen aus weniger einflussreichen Ländern ernstgenommen werden. Bei allem wolle er aber die Identität der einzelnen Länder wahren. „Ich bin kein Vertreter der Vereinigten Staaten von Europa“. Auf eine Frage nach der transsexuellen ESC-Gewinnerin Conchita Wurst als Zeichen für eine tolerante Gesellschaft erwiderte Juncker lächelnd: „ Ich bin ein toleranter Mensch, mir passt das“.

Schulz und Juncker gingen sehr vertraut miteinander um und warfen sich eher gutmütige Sticheleien zu. Gemeinsam gaben beide ein deutliches Statement gegen Rechtsextremismus ab. Keiner der Kandidaten will sich mit Stimmen von rechtspopulistischen Parteien wählen lassen.