Der Einfluss der Europäischen Union auf Hamburg ist immens. Mal profitiert die Stadt, etwa von Fördermitteln in Millionenhöhe. Mal stöhnt sie unter Auflagen, wie bei der Elbvertiefung.

Hamburg. Vor drei Jahren, am 18. Mai 2011, hatte Olaf Scholz (SPD) einen der wichtigsten Termine als Bürgermeister – und zwar in Brüssel. Gemeinsam mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Schleswig-Holsteins damaligem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen (beide CDU) erklärte der SPD-Politiker EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia die Bedeutung der HSH Nordbank. Der auf Englisch gehaltene Vortrag fiel offensichtlich auf fruchtbaren Boden – jedenfalls genehmigte die EU-Kommission einige Monate später die Rettung der Bank, und das unter weitaus milderen Auflagen, als Hamburg und Schleswig-Holstein zunächst befürchtet hatten.

Nicht immer ist der Einfluss der Europäischen Union auf ihre Mitgliedstaaten oder auf einzelne Bundesländer so offensichtlich. Aber der Einfluss auch auf die Bundesländer ist da, Tag für Tag, mal klar und konkret, mal subtil und diffus. Mal profitiert Hamburg davon, mal stöhnt es unter Richtlinien, die sich die „35.000 Bürokraten in Brüssel“ wieder ausgedacht haben, wie EU-Kritiker gern ätzen – wobei sie unterschlagen, dass diese 35.000 Menschen für einen ganzen Kontinent mit 27 Staaten zuständig sind, während allein die Verwaltung des kleinen Stadtstaates Hamburg 65.000 Menschen beschäftigt. In jedem Fall gilt: Für eine internationale Handelsmetropole wie Hamburg ist die EU von enormer Bedeutung. Vor der Wahl zum Europäischen Parlament am 25. Mai lohnt es sich daher, einen Blick auf das Verhältnis der Hansestadt zur Staatengemeinschaft zu werfen.

Wer ist in Hamburg für EU-Themen

zuständig?

Hamburg eröffnete 1985 als erste Region überhaupt ein eigenes Büro in Brüssel. Daraus ging 1987 das Hanse-Office als gemeinsame Vertretung der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein hervor. Die zehn Mitarbeiter pflegen intensiven Kontakt zu EU-Institutionen. So werden die beiden Länder frühzeitig über Ideen, Gesetze oder auch Förderprogramme informiert und können ihre Sichtweise einfließen lassen. Hamburg finanziert das Hanse-Office zu 50 Prozent – mit 338.000 Euro pro Jahr. Hinzu kommt ein Referat Europapolitik innerhalb der Senatskanzlei mit acht Mitarbeitern. Es untersteht dem für auswärtige Angelegenheiten zuständigen Staatsrat Wolfgang Schmidt (SPD). Im Juli 2014 übernimmt Hamburg zudem turnusmäßig für ein Jahr den Vorsitz der Europaministerkonferenz der Bundesländer.

Zudem gibt es in allen Fachbehörden Mitarbeiter, die sich mit „Europa“ beschäftigen. Da das mittlerweile eine Querschnittsaufgabe sei, lasse sich deren Zahl jedoch nicht genau beziffern, so der Senat. Um EU-Themen kümmert sich auch die Hamburgische Investitions- und Förderbank. Sie hat die Aufgabe, Geld aus EU-Fördertöpfen nach Hamburg zu lenken. Nicht zuletzt hat auch die Bürgerschaft einen eigenen Europa-Ausschuss.

Wie viel Geld erhält Hamburg

aus EU-Töpfen?

Hamburg erhält aus mehreren EU-Töpfen finanzielle Zuschüsse. Dabei wird jeweils in Förderperioden gerechnet. Von 2007 bis 2013 flossen knapp 390 Millionen Euro nach Hamburg, also rund 55 Millionen Euro pro Jahr. Einige Beispiele: 91 Millionen Euro erhielt die Stadt aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF). Damit werden vor allem arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gefördert. Für 2014 bis 2020 stehen 78 Millionen Euro zur Verfügung, die Hamburg – so ist es üblich – aus eigenen Mitteln auf rund 150 Millionen Euro aufstockt. „Die ESF-Projekte unterstützen wichtige politische Instrumente und Zielsetzungen des Senats, wie etwa die Jugendberufsagentur, die Hamburger Fachkräftestrategie oder die Gleichstellung von Frauen und Männern“, sagt Sozialsenator Detlef Scheele (SPD).

35 Millionen Euro erhielt Hamburg aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Das von der Wirtschaftsbehörde verwaltete Geld floss unter anderem in Innovationen, Forschungskooperationen zwischen Wissenschaft und Wirtschaft und Stadtentwicklungsprojekte. Für 2014 bis 2020 sind Mittel von gut 55 Millionen Euro zugesagt. Außerdem erhielt selbst eine Großstadt wie Hamburg 25 Millionen Euro aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds ELER. Unter anderem wurden damit Bildungsveranstaltungen im Rahmen der Internationalen Gartenschau (igs) gefördert, etwa „Der mobile Biobauernhof“.

Die mit Abstand ertragreichste Quelle war das 7. Forschungsrahmenprogramm: Aus diesem Topf haben Hamburger Wissenschaftler Mittel in Höhe von bislang 238,5 Millionen Euro eingeworben (die Schlussabrechnung steht noch aus). Wie viel Geld aus dem Nachfolgeprogramm „Horizont 2020“ nach Hamburg fließt, steht erst fest, wenn Mittel auf konkrete Förderanträge hin bewilligt werden.

Geflossen ist das „FP7“-Geld unter anderem in die Erforschung der Zusammenhänge von Meeresströmung, Wassertemperatur, Küstensicherheit und Klimavorhersagen – dafür erhielt die Universität Hamburg 8,6 Millionen Euro. Für die Entwicklung eines Laserskalpells für die minimal-invasive Chirurgie erhielten die Uni und das Universitätsklinikum Eppendorf 2,5 Millionen Euro. Und Forschungen der Technischen Universität zu Grafitstrukturen, einem ultraleichten Werkstoff, wurden mit 600.000 Euro gefördert.

Bei welchen Themen redet die EU mit? Beispiel HSH Nordbank: Die ehemalige Landesbank, die zu rund 85 Prozent Hamburg und Schleswig-Holstein gehört, ist das bedeutendste Beispiel für den Einfluss der EU auf Norddeutschland. Nachdem die beiden Länder das strauchelnde Institut 2009 mit drei Milliarden Euro Kapital und einer Garantie über zehn Milliarden Euro retten mussten, starrten sie lange wie das Kaninchen auf die Schlange nach Brüssel: Staatliches Geld für eine Bank, die in Konkurrenz zu privaten Instituten steht – das war ein Fall für die EU-Wettbewerbshüter. Die erwogen ernsthaft, dem größten Schiffsfinanzierer der Welt dieses Geschäftsfeld wegzunehmen und die HSH auf ein Drittel ihrer Größe einzudampfen. Das hätte möglicherweise das Aus für die Bank bedeutet und Hamburg und Schleswig-Holstein, die damals mit mehr als 60 Milliarden Euro für die HSH-Geschäfte hafteten (das Dreifache beider Länderetats), finanziell überfordert.

Kein Wunder also, dass Olaf Scholz kurz nach Amtsantritt nach Brüssel reiste – mit Erfolg. Die Rettung der HSH wurde schließlich unter deutlich milderen Auflagen genehmigt. Allerdings wiederholt sich das Spiel derzeit. Nachdem die Garantie der Länder zeitweise auf sieben Milliarden Euro gesenkt worden war, wurde sie 2013 wieder auf zehn Milliarden aufgestockt – und landete damit erneut auf dem Tisch der Wettbewerbshüter. Eine Entscheidung wird aber wohl erst die neue EU-Kommission fällen, die nach den Europawahlen gebildet wird.

Beispiel Elbvertiefung: Auch bei dem für die Hamburger Wirtschaft bedeutenden Großprojekt spielt die EU eine wichtige Rolle. Konkret mussten die Planer in Hamburg und beim Bund die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) der EU einhalten, mit der bestimmte Tier- und Pflanzenarten sowie ihre Lebensräume geschützt werden sollen. Dabei stand vor allem der Schierlings-Wasserfenchel im Fokus. Zweitens war die europäische Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) zu beachten, die ein „Verschlechterungsverbot“ beinhaltet.

Die EU-Kommission musste die Elbvertiefung allerdings nicht „genehmigen“, sondern sie hat Ende 2011 lediglich eine Stellungnahme abgegeben. Zusammengefasst hat Brüssel die geplanten Eingriffe zwar als erheblich kritisiert, würdigte aber die Ausgleichsmaßnahmen, wie die Renaturierung des Moorburger Hafens, und akzeptierte letztlich die große wirtschaftliche Bedeutung des Projekts.

Dennoch klagten Umweltverbände gegen die Elbvertiefung. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verhandelt darüber im Juli. Ob die Europa-Ebene erneut ins Spiel kommt, ist noch offen. Von der Möglichkeit, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen und ihn etwa um eine Präzisierung des „Verschlechterungsverbots“ zu bitten, hat Leipzig vorerst abgesehen.

Beispiel Luftreinhaltung: Mächtig Ärger mit der EU-Kommission hat Hamburg beim Thema Luftreinhaltung. Die seit 2010 geltende europäische „Luftqualitätsrichtlinie“ gibt Grenzwerte für den Stickstoffdioxid-Gehalt der Luft vor, die in Hamburg an allen vier Messstellen überschritten wurden. Der Senat hat daraufhin einen „Luftreinhalteplan“ aufgestellt und die EU um eine Verlängerung der Frist zur Einhaltung der Grenzwerte bis 2015 gebeten. Das hat die Kommission Anfang 2013 jedoch abgelehnt, weil sie der Meinung war, dass Hamburg auch mit dem neuen Luftreinhalteplan seine Ziele nicht erreichen wird. Dieses Schicksal teilt Hamburg übrigens mit 32 anderen deutschen Städten. Ihnen – vertreten durch den Bund – drohen theoretisch Millionenstrafen seitens der EU.

Einfluss des Parlaments: Das Europäische Parlament hat deutlich weniger Kompetenzen und Kontrollmöglichkeiten als nationale Parlamente. Auch Hamburger EU-Abgeordnete wie Knut Fleckenstein (SPD) und Birgit Schnieber-Jastram (CDU) haben das immer mal wieder beklagt. „Dieses Parlament muss einfach frecher werden“, hatte Fleckenstein 2012 gefordert. Mit der Wahl des deutschen Sozialdemokraten Martin Schulz zum Präsidenten des EU-Parlaments hat sich schon einiges geändert – Schulz ist präsenter als seine kaum wahrnehmbaren Vorgänger und mischt sich auch in internationale Debatten ein.

Dass es bei dieser Wahl mit Schulz und dem ehemaligen Luxemburger Regierungschef Jean-Claude Juncker erstmals zwei Spitzenkandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten gibt, weckt bei vielen Abgeordneten die Hoffnung auf mehr Mitspracherecht. Birgit Schnieber-Jastram, die bei dieser Wahl nicht wieder antritt, hielt das stets auch aus demokratischer Sicht für geboten: „Die einzige EU-Institution, die direkt demokratisch legitimiert ist, ist nun einmal das Parlament.“