Fotograf Björn Schönfeld will mit seiner bundesweiten Plakataktion auf den bedrohten Beruf hinweisen. Auch bei Facebook hat seine Initiative viele Fans.
Hamburg. Es dauert keine fünf Minuten und das Großplakat hängt an der Hauswand. Für Björn Schönfeld ist es der Lohn von Monaten. Es war Winter, als der Fotograf die Kampagne „Das erste Gesicht“ für Hebammen startete. Jetzt erreichen seine Bilder höchste Bekanntheit: Von fast 6000 Plakaten, 100 davon in Hamburg, sehen die von ihm fotografierten Gesichter auf 660 Städte.
Es sind die Gesichter von Frauen, gut 200 hat der Lüneburger in ganz Deutschland porträtiert. Selbstbewusst und zufrieden blicken sie in die Kamera, die meisten lächeln. Ganz und gar nicht sehen diese Frauen verzweifelt aus, weil sie nicht wissen, wie lange sie ihren Beruf noch ausüben können.
„Die Kampagne soll nicht anprangernd wirken oder Vorwürfe ausstrahlen“, sagt der Lüneburger Fotograf, 32. „Ich möchte schöne Porträts von starken Frauen zeigen.“ Von Frauen, die durchaus verzweifelt sind, weil sie nicht wissen, wie lange sie ihren Beruf noch ausüben können.
Weil die Prämie für ihre Haftpflichtversicherung in den vergangenen zehn Jahren von 1352 Euro auf 5091 Euro ab Juli gestiegen ist und weil sich immer weniger Institutionen finden lassen, die bereit sind, Hebammen überhaupt zu versichern. 2016 ist das nächste Angstjahr: Dann laufen die Verträge mit dem aktuellen Konsortium aus.
Das sei kein Thema allein von Frauen und Müttern, sondern der ganzen Gesellschaft, sagt Ricarda Sitan. Vor sechs Jahren hat sie mit einer Kollegin das Geburtshaus „Elbhebammen“ in Harburg gegründet. Die fünf Frauen bieten Kurse, Vor- und Nachsorge sowie Fortbildungen an – und Geburtshilfe. Das allerdings machen nur drei von ihnen, und eigentlich dürften es nur zwei sein, sagt die Unternehmerin – „wenn man nur die Zahlen betrachtet und das, was wir an Geburten verdienen“. Überschüsse erwirtschaftet das Geburtshaus nach Angaben der Gründerin allein mit dem Angebot außerhalb der Geburtshilfe. Als Freiberuflerin in Teilzeit zu arbeiten, sei kaum möglich, sagt Sitan. „Die Haftpflichtprämie ist dieselbe. Die Betriebskosten sind dann so hoch, dass die Einnahmen sie nicht decken können.“ Ihre Idee: kleine Häuser als Institution kompakt zu versichern statt jede einzelne Hebamme separat.
Sitan ist 35 Jahre alt, etwa 600 Kindern hat sie auf die Welt geholfen. Auf dem Foto von Björn Schönfeld blickt sie als eine Frau in die Kamera, die ihren Beruf liebt. Als sie mit dem Fotografen beim Kleben des ersten Plakats an der Ecke Talstraße/Schmuckstraße zusieht, wirkt sie stolz und wütend zugleich. Sitan zählt zu den ersten Models überhaupt, die Björn Schönfeld abgelichtet hat. Er hat seine Idee „Das erste Gesicht“ getauft und eine gleichnamige Seite bei Facebook eingerichtet. „Am ersten Abend hatte die Facebook-Seite 76 Likes“, erinnert sich die Harburgerin. „Als es am nächsten Morgen 980 Likes waren, dachte ich, Facebook sei kaputt.“ Heute sind es etwa 15.500 Menschen, die der Kampagne eine positive Beurteilung gegeben haben.
Darauf ist Ricarda Sitan stolz. „Es ist ein neues Bündnis entstanden zwischen Eltern und Hebammen. „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Geburten bei einer Eins-zu-eins-Betreuung besser laufen. Wir wissen, dass weniger passiert. Wir wissen, dass es weniger Folgekosten gibt. Dass Frauen länger stillen, dass es den Kindern besser geht. Und die Hebammen verdienen an der Geburtshilfe so wenig, dass Kosten und Einnahmen sich bei uns im Geburtshaus bei plus/minus null bewegen. Das ist ungerecht.“
Der Kosmetikhersteller Weleda und der Werbeflächenanbieter Ströer finanzieren die bundesweite Plakatkampagne „Das erste Lächeln im Leben ist das der Hebamme – Wir wollen, dass das so bleibt“. Wer den jungen Fotografen fragt, wie er sich jetzt fühlt, fünf Monate nach der ersten Idee am Küchentisch, bekommt keine druckfertige Antwort aus dem Ärmel geschüttelt. „Es prasselt auf mich ein. Es ist großartig, und ich bin gespannt, was jetzt passiert.“
Ein Ziel haben Björn Schönfeld und Ricarda Sitan noch: Ende des Jahres möchten sie bei Günther Jauch sitzen – als Menschen 2014.