Abgeordnete befragen Staatsanwältin und LKA-Beamte. Die Staatsanwaltschaft hat gegen Melek Y. Anklage wegen Mordes erhoben. Zunächst galt der Vater als Hauptverdächtiger.

Hamburg. Nach fast eineinhalb Stunden und vielen hartnäckigen Fragen platzte es aus Staatsanwältin Christiane Wüllner heraus: „Ich habe mir das Hirn zermartert, welche weiteren Maßnahmen ich hätte ergreifen können, um noch einen Täter dingfest zu machen.“ Sie habe keine gesehen – und das Ermittlungsverfahren gegen die Eltern von Yagmur („Yaya“) Y. eingestellt.

Bei der zweiten Zeugenbefragung im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum gewaltsamen Tod des dreieinhalb Jahre alten Mädchens sah sich die Ermittlerin am Donnerstagabend einer Reihe von Vorwürfen ausgesetzt. Mit Kräften wehrte sie sich gegen die Annahme, sie hätte die Tat womöglich verhindern können.

Wüllner hatte vor gut einem Jahr gegen Yagmurs Eltern sowie deren Pflegemutter ermittelt, weil das Mädchen mit schwersten Kopf- und Bauchverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden war. Klaus Püschel, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, hatte zuvor Anzeige gegen unbekannt erstattet. Wüllner stellte das Verfahren im November, wenige Wochen vor dem Tod des Mädchens, ein. Püschel warf Wüllner vor einer Woche im Untersuchungsausschuss vor, die Staatsanwältin habe nicht die richtigen Fragen gestellt. So habe sie etwa nach dem Erhalt des Gutachtens über die Verletzungen fragen sollen, wie alt beispielsweise die Bauchverletzungen gewesen seien. Dies hätte Aufschluss über die mögliche Täterschaft geben können.

„Herr Püschel ist ein erfahrener Rechtsmediziner. Wenn er nicht explizit schreibt, zu welchem Zeitpunkt die Verletzungen entstanden sind, dann gehe ich davon aus, dass er diesen auch nicht einschätzen kann“, sagte Wüllner. Püschel hatte zudem ausgesagt, dass, „andere Personen“ seine Besorgnis nicht so dramatisch eingeschätzt hätten wie er. Püschel sprach in diesem Zusammenhang von „Kommunikationsproblemen“. Wüllner wies diesen Vorwurf als „unbegreiflich“ zurück. Ihr sei nach dem Lesen des Gutachtens klar gewesen, dass es sich um lebensgefährliche Verletzungen gehandelt habe. „Da lässt das Gutachten nicht an Deutlichkeit zu wünschen übrig.“

Wie berichtet, starb Yagmur am 18.Dezember an den Folgen eines Leberrisses. Das Mädchen, das seit der Geburt unter Obhut der Jugendämter in mehreren Bezirken stand, war über Jahre körperlich misshandelt worden. Zunächst gingen die Ermittler davon aus, dass der Vater seiner dreieinhalb Jahre alten Tochter die schweren Verletzungen zugefügt hatte, während der Mutter vorgeworfen wurde, nichts dagegen unternommen zu haben. Vor einer Woche dann die Wende: Die Staatsanwaltschaft erhob Mordanklage gegen die Mutter. Dem Vater, der bis dahin als Hauptverdächtiger galt, wird nur noch Körperverletzung mit Todesfolge durch Unterlassen vorgeworfen. Beide Eltern bleiben in Untersuchungshaft. Dort sitzen sie seit dem Tod des Mädchens.

Die neuen Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft stützen sich auf Vernehmungen von Freunden, Verwandten, Erziehern und auf die Auswertung von Handydaten. Zunächst hatte hauptsächlich der Vater unter Verdacht gestanden, da Yagmurs Mutter ihren Mann belastete. Er selbst stritt den Vorwurf stets ab, hatte aber im Gegenzug seine Frau nicht beschuldigt.

Die Bürgerschaftsabgeordneten reagierten in der PUA-Befragung mit Unverständnis darauf, dass Christiane Wüllner aus deren Sicht damals zu wenig nachgehakt habe. So hatte sich die leibliche Mutter des Kindes geweigert, sich bei der Polizei zu den Verletzungen des Mädchens zu äußern. Christiane Blömeke, familienpolitische Sprecherin der Grünen, hakte am Donnerstag immer wieder nach – Wüllner zog sich stets auf juristische Begründungen zurück. Es habe keine Veranlassung gegeben zu glauben, dass die Mutter sich bei einer staatsanwaltlichen Vorladung selbst bezichtigen würde. „Man kann Beschuldigte nicht zu Angaben zwingen. Sie hat rechtliches Gehör bekommen, es aber nicht wahrgenommen.“

Die Tragik des Falles zeigte sich in einem Wortwechsel zwischen dem PUA-Vorsitzenden André Trepoll (CDU) und der Staatsanwältin: „Was würden Sie anders machen?“, fragte Trepoll, der selbst Jurist ist. „Mit würde nichts einfallen“, sagte die Staatsanwältin. Den Bürgerschaftsabgeordneten, fast alles Jugendpolitiker, schien der ausschließlich juristische Zugang der Staatsanwältin befremdlich zu sein. Dennoch machte Wüllner immer wieder deutlich, dass es die Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei, nicht präventiv zu arbeiten, sondern Straftaten der Vergangenheit aufzuklären. So habe sie überhaupt keine Kompetenz und Möglichkeit gehabt, eine Rückführung Yagmurs aus der staatlichen Obhut an die Eltern zu verhindern. „Das ist die Aufgabe des Jugendamtes.“