Der Wohnungsbau geht voran. Die Opposition aber kritisiert das Fehlen eines Gesamtkonzepts, fordert den Schutz des Grüns und mehr Kreativität bei der Quartiersentwicklung in Hamburg.
Es ist 10 Uhr am Morgen des Gründonnerstags, und es ist eng, sehr eng auf dem Isemarkt. Unter den Hochbahn-Gleisen drängeln sich Anwohner und Touristen durch den schmalen Gang, vorbei an Blumenhändlern, Obstständen und Gemüsehökern.
Zehn Stunden später, zwei Stationen weiter Richtung Elbe: Im Schulterblatt pilgern trotz des Regens Tausende junge Hamburger von Schanzenkneipe zu Schanzenkneipe. So sehen lebendige Quartiere aus – doch es sind Ausnahmen. Wie aber können die Viertel attraktiver werden, gerade in Zeiten der immensen Bautätigkeit?
Beim Wohnungsbau sieht es nämlich durchaus erfreulich aus für den SPD-Senat – und die Stadt. Vieles deutet darauf hin, dass die Zahl von 6000 neuen Wohnungen in 2014, dem letzten Jahr der Wahlperiode, tatsächlich erreicht werden könnte.
Im vergangenen Jahr wurden 10.328 Baugenehmigungen erteilt, im ersten Quartal 2014 laut Stadtentwicklungsbehörde bereits 2213. Mittlerweile gibt es erste Indizien für eine leichte Entspannung auf dem Immobilien- und Mietwohnungsmarkt.
Zugleich aber wachsen die Sorgen, dass der rasante Bau von Wohnungen die Stadt zum Nachteil verändern könnte. Die Opposition schlägt nun Alarm – und fordert in eigenen Thesenpapieren ein Gesamtkonzept, eine Art Masterplan für die Hamburger Stadtentwicklung.
„Der Senat ist allein darauf fixiert, seine Zielzahl von 6000 Wohnungen zu erreichen. Aber das, was die Stadt und ihre Viertel lebenswert macht, kommt dabei nicht vor“, kritisiert Grünen-Fraktionschef Jens Kerstan. „Hamburg braucht wieder eine Stadtentwicklungspolitik, die mehr ist als das Zählen von Baugenehmigungen, die sich auch um Grünflächen, Kulturangebote und Verkehrsplanung kümmert.“
Zudem müssten „die Menschen, die in den Stadtteilen leben, eine Stimme haben und mit ihren Vorstellungen Gehör finden“.
Grüne formulieren zwölf Thesen
Die Grünen haben ihre Positionen zum Thema jetzt in einem Papier zusammengefasst. Darin loben sie zwar, dass der Senat mit dem bezirklichen Wohnungsbauprogrammen und dem Bündnis für die Quartiere „Potenziale zur Ankurbelung des Wohnungsbaus aufgezeigt“ habe.
Zugleich aber fehle eine „gesamtstädtische strategische Betrachtung“. Dabei brauche Hamburg „eine Strategie, die nicht von oben verordnet wird, sondern sich im Großen wie im Kleinen der kritischen Diskussion mit der Stadtgesellschaft öffnet“.
Zugleich fordern die Grünen eine stärkere Einbeziehung der Betroffenen. Beteiligungsprojekte wie „Zukunftsplan Altona“ oder „Harburg Vision 2020/50“ müssten die Regel werden. Wenn die Bürger mitreden sollten, müssten die „Informationen transparent, offen und vollständig“ sein und die „Verfahren nachvollziehbar und klar dargestellt“.
Ein Kernpunkt ist für die Partei natur- und namensgemäß der Schutz des Grüns. „Wenn in den Quartieren immer mehr Menschen leben, müssten auch die Grünflächen zunehmen – das Gegenteil ist meistens der Fall“, bemängeln die Grünen in der elften ihrer zwölf Thesen.
„Wir wollen die vorhandenen Grünflächen erhalten und in die Quartiersplanung mit einbeziehen. Auch neue Flächen – zum Beispiel auf nicht mehr benötigten Straßenflächen – dürfen kein Tabu sein.“
CDU fordert „Masterplan für Stadtentwicklung“
Ein besseres Konzept für die Stadtentwicklung hält auch die CDU für nötig. In ihrem Konzeptpapier „Gut leben in Hamburg. Zufrieden leben im Stadtteil“ fordert die Bürgerschaftsfraktion einen „Masterplan Stadtentwicklung 2025/35“.
Als „beispielgebendes Projekt, wie sich visionäre Ziele zum Wohl der Stadtteile und der gesamten Stadt umsetzten lassen“ nennt sie den „Sprung über die Elbe“, den die SPD jedoch nicht mehr konsequent und leidenschaftlich genug weiterverfolge. Zwar setzt auch die CDU auf den verstärkten Bau von Mietwohnungen. Zugleich aber wollen die Christdemokraten die Bildung von Wohneigentum stärker fördern.
„Wir müssen dafür sorgen, dass der historisch bedingt sehr niedrige Anteil an Eigenheimbesitzern in Hamburg deutlich gesteigert werden kann“, heißt es in dem Papier. „Dazu ist eine verstärkte Ausweisung von geeigneten Flächen erforderlich. Auch die Investitions- und Förderbank sollte entsprechende Konzepte fördern.“
Zudem solle der Senat über den Bundesrat auf die Wiedereinführung der „steuerrechtlich zu ermittelnden Wertminderung von Anlagevermögen und die Eigenheimzulage“ drängen.
Darüberhinaus betont die CDU die Bedeutung von „lokalen Versorgungsangeboten“, sprich: Betreuungs- und Bildungseinrichtugnen müssten in den unterschiedlichen Quartieren der Stadt ebenso gut erreichbar sein wie Ärzte, Apotheken oder Pflegeeinrichtungen. Und auch „lokaler Einzelhandel und Dienstleistungen müssen zur Grundversorgung der Bewohner im Stadtteil gewährleistet werden“.
Beim Ausbau Hamburgs setzt auch die CDU auf eine stärkere Einbeziehung der Bürger. So hat die Fraktion in der jüngsten Bürgerschaftssitzung einen Antrag mit dem Titel „Schneller ans Ziel – durch lebendige und zielführende Bürgerbeteiligung“ eingebracht.
FDP will Quartiersstrukturen stärken
Darin wird gefordert, „gemeinsam mit den Bezirken frühzeitig Bürgerinnen und Bürger über geplante Infrastrukturprojekte zu informieren und Kontakt zu Bürgervereinen, Institutionen, Verbänden und Bürgerinitiativen aufzunehmen“.
Die FDP fordert beim Thema Stadtentwicklung vor allem eine stärkere Dezentralisierung. „Ziel unserer Politik ist es, die Strukturen in den Quartieren zu stärken. Dafür setzen wir anders als alle anderen politischen Parteien auf die Kompetenz der Bezirke, ihre Herausforderungen selbst zu meistern“, sagt FDP-Fraktionschefin Katja Suding.
„Wann immer ein Problem auf der niedrigeren Ebene gelöst werden kann, soll es dort auch gelöst werden. Wir wollen das unschätzbare Wissen der Menschen vor Ort nutzbar machen – weil Freiheit für uns Liberale bedeutet, dass die Menschen sich selbst einbringen, ohne vom Staat darin willkürlich gelenkt oder gar behindert zu werden.“
Fruchtbare Ideen für die Stadtteile könnten am besten auch dort selbst entwickelt werden, heißt es im FDP-Papier „Bezirke stärken – mehr Subsidiarität wagen“.
SPD gibt sich irritiert
In der SPD gibt man sich einigermaßen irritiert über die Kritik – vor allem über die der Grünen. „Die Grüne Stadtentwicklungssenatorin hat keine Perspektiven für Hamburg entwickelt und beim Wohnungsbau kläglich versagt“, sagt SPD-Stadtentwicklungsexperte Dirk Kienscherf.
„Beides hat Hamburg geschadet.“ Die Grünen versuchten nun „vom eigenen Scheitern und fehlender realistischer Alternativen abzulenken“. Angesichts des großen Nachfragedrucks werde die SPD „theoretische Stadtplanungsdiskussionen ohne Umsetzungsperspektiven nicht verfolgen“.
Der Sprung über die Elbe werde, anders als von der CDU behauptet, durch den Projektentwickler IBA fortgeführt und in Wilhelmsburg und Harburg würden neue Quartiere errichtet, so Kienscherf.
Die Mitte Altona werde „endlich umgesetzt“ und die östliche HafenCity entwickelt. „Sie ist zugleich Ausgangspunkt der neuen Entwicklungsachse Hamburger Osten, die neue Potenziale für Hamburg erschließt.“
Auch der Senat weist die Kritik der Opposition zurück. „Der Senat hat den Wohnungsbau erfolgreich in Schwung gebracht“, sagt der Sprecher der Stadtentwicklungsbehörde, Magnus-Sebastian Kutz.
„Das war eine gemeinsame Leistung mit den Bezirken, die wir deutlich gestärkt haben. Wir haben die Stadtwerkstatt als erfolgreiches Beteiligungsforum für Stadt und Bezirke geschaffen und angekündigt, den Fokus auf die Entwicklung des Hamburger Ostens zu legen. Damit haben wir wichtige konzeptionelle Impulse für die nächsten Jahre gesetzt – anstatt immer nur über Beteiligung und Pläne zu reden.“