Manuela Sporleder ist die schnellste Marathonläuferin in Hamburg. Aber sie ist auf einen Begleiter angewiesen. Sporleder ist von Geburt an sehbehindert.

Hamburg. Am Sonntag ist es ihr wieder passiert. Dabei hatte sich Manuela Sporleder so darauf konzentriert: Sie wollte zur Verpflegungsstelle laufen und sich das Getränk schnappen. Aber ihr Griff ging ins Leere.

Sporleder lief trotzdem weiter, abzustoppen hätte ihr mehr Probleme bereitet als der drohende Flüssigkeitsmangel: „An den habe mich ja inzwischen schon fast gewöhnt.“ Schließlich erreichte sie als Dritte das Ziel des Griesheimer Halbmarathons. Dass sie in 1:26:28 Stunden drei Minuten länger brauchte als erhofft, lag weniger an dem Fehlgriff als vielmehr an einer Schwellung im Schienbein, die ihr schon seit zehn Tagen Probleme bereitet.

Sporleder, 42, ist die beste Marathonläuferin in Hamburg. Aber wenn die Niendorferin ihre Zeiten und Platzierungen nachlesen will, dann ist das mit großer Mühe verbunden. Sporleder ist von Geburt an sehbehindert, ihre Sehkraft beträgt noch 16 Prozent. Nur was sie unmittelbar vor sich hat, kann sie erkennen. Was etwas weiter entfernt ist, nicht mehr. Das macht die Orientierung beim Laufen schwer. Sporleder sagt: „Ich muss rechtzeitig wissen, wenn eine Kurve kommt.“

Wenn sie im Pulk feststeckt, sieht sie nicht die Lücke, durch die sie schlüpfen könnte. Oft muss sie abbremsen, um nicht über einen Bordstein zu stolpern. Und natürlich passieren ihr immer wieder Missgeschicke: Einmal ist sie vor der Zielgeraden falsch abgebogen, ein anderes Mal in ein Absperrband gelaufen. Und hin und wieder verpasst sie eben eine Trinkflasche.

Meistens aber wird sie von Ole Sporleder richtig geleitet. Ihr Ehemann ist fast immer dabei, in der Regel auf dem Fahrrad, neuerdings auch auf einem Roller: „Damit bekommt man im Winter nicht so kalte Füße und hat selbst noch einen kleinen Trainingseffekt.“ Wo für seine Frau der Spaß aufhört, fängt er für den ebenfalls sehbehinderten Ole Sporleder, 45, erst an.

Einmal hat er in Köln an einem 48-Stunden-Lauf teilgenommen. 302 Kilometer lief er dort in zwei Tagen und zwei Nächten zusammen. Den Treppenmarathon in Radebeul hat er schon mehrmals bestritten. Dort wird auf 84 Kilometern ein Höhenunterschied bewältigt, der dem Niveau des Mount Everest (8848 Meter) entspricht. Aber ohne Fahrzeug könnte er seiner Frau beim Marathon inzwischen nicht mehr folgen: „Ich habe nicht ihr Talent.“

Heute fragt sich Manuela Sporleder manchmal, wie schnell sie wohl wäre, wäre dieses Talent früher entdeckt worden. In der Blinden- und Sehbehindertenschule am Borgweg, in der sie ihren späteren Mann kennenlernte, spielte die Leichtathletik keine Rolle. Viele Disziplinen fallen ohnehin weg: Hürden- und Hindernisläufe, Stabhochsprung und auch das Hammerwerfen werden im Blinden- und Sehbehindertensport wettkampfmäßig erst gar nicht angeboten. Langstreckenlauf ist vergleichsweise unkompliziert. Aber auch er ist nicht frei von Hindernissen.

Manuela Sporleder läuft im Training die immer gleiche Strecke: eine fünf Kilometer lange Runde durch das Niendorfer Gehege. „Dort kenne ich jede Baumwurzel, über die ich nicht stolpern darf.“ 100 Kilometer pro Woche spult sie in den Monaten vor einem Marathon ab. Die Abwechslung vermisst sie nicht – sie könnte sie ohnehin nicht wahrnehmen. „Würde man mich zu irgendeinem Marathon fahren und dann loslaufen lassen, wüsste ich hinterher nicht, in welcher Stadt das war.“ Nur das Streckenprofil wäre ein Unterscheidungskriterium. Es sei in Hamburg schon etwas anstrengender als zum Beispiel in Frankfurt. Dafür sei aber die Stimmung viel besser.

Vor zwölf Jahren hat sie sie zum ersten Mal erlebt. Damals sei sie einfach nur mitgelaufen, „ich dachte, das geht auch ohne Training“. Erst nach 5:44 Stunden war sie im Ziel, die längste Zeit war sie nur gegangen. Es hat sie nicht davon abgehalten, weiter an Volksläufen teilzunehmen. Aber erst Ende 2005 machte sie ernst: „Ich wollte es einmal richtig aufs Treppchen schaffen.“ Sie kaufte sich ein Buch und fing an zu trainieren. 2007 war sie bereits Hamburger Meisterin im Halbmarathon, 2012 dann auch auf der Langdistanz. Ihre persönliche Bestzeit beim damaligen Haspa-Marathon steht noch: 2:53:37 Minuten.

Ein Ausrüster als Sponsor würde schon weiterhelfen

Andere, die auf ihrem Niveau sind, haben Förderer, kleine Sponsoren, zumindest einen Ausrüster. Sporleders Laufshirt trägt nur den Aufdruck ihres Vereins TuS Germania Schnelsen, der seine Leichtathletikabteilung kürzlich mit der des SV Blankenese zur AG Hamburg West verschmolzen hat. Ab und an gewinnt Sporleder mal ein Preisgeld, 300 Euro war bisher das höchste. Aber um die Kosten ihres Sports zu decken, müssen die Sporleders schon einiges von ihren Erziehergehältern abzwacken – sie arbeitet an einer integrativen Montessori-Einrichtung in Schenefeld, er in einer städtischen Hamburger Kindertagesstätte.

„Ein Ausrüster würde ja schon helfen“, sagt Manuela Sporleder. 150 Euro kostet ein Paar Wettkampfschuhe, der gleiche Betrag wird für ein Paar Trainingsschuhe fällig. Aber Unternehmen abzuklappern und anzusprechen, das sei nicht so ihr Ding. Damit die Sponsoren von sich aus zu ihr kommen, müsste sie schon in die deutsche Spitze vorlaufen. Aber dafür hat sie wohl zu spät mit dem Leistungssport begonnen.

Beim diesjährigen Haspa-Marathon wollte Manuela Sporleder eigentlich erstmals unter 2:50 Stunden bleiben. Dann kam diese lästige Schienbeinverletzung dazwischen. Dass ihr Mann sie auf dem Fahrrad begleiten darf, wird ihr helfen durchzuhalten. Ein Vorteil gegenüber der Konkurrenz? „Ja“, sagt Manuela Sporleder, „aber mein Nachteil wirkt schwerer.“