Im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Tod der kleinen Yagmur hat am Montag der Rechtsmediziner ausgesagt, der bereits vor dem Tod des Mädchens Anzeige erstattet hatte. Er hätte möglicherweise anders kommunizieren sollen, so der Arzt.
Hamburg „Es ist ein einzigartiger Fall – so habe ich das noch nie erlebt“: Immer wieder betonte Klaus Püschel, Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, wie ungewöhnlich der Fall Yagmur ist, dies vor allem wegen der Vielzahl massiver Verletzungen. Am Montag ist der 62-Jährige Rechtsmediziner als erster Zeuge im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zum gewaltsamen Tod der dreijährigen Yagmur („Yaya“) Y. vernommen worden.
Knapp dreieinhalb Stunden befragten der PUA-Vorsitzende André Trepoll (CDU) und die anderen Gremiumsmitglieder Püschel im öffentlichen Sitzungsteil, dabei nahmen sie den Mediziner regelrecht in die Zange. Püschel geriet im Laufe der Vernehmung zunehmend unter Druck, er wirkte stellenweise nervös und fahrig. Letztlich räumte er Kommunikationsprobleme mit Jugendamt und Staatsanwaltschaft ein und stellte auch sein eigenes Verhalten in Frage.
Yaya starb an inneren Blutungen
Wie berichtet, ist die drei Jahre alte Yaya am 18. Dezember 2013 an inneren Blutungen infolge eines Leberrisses gestorben. Der Vater steht unter Tatverdacht, das Mädchen totgeschlagen zu haben, die Mutter soll nichts dagegen unternommen haben. Beide sitzen in Untersuchungshaft. Das Mädchen war wenige Monate vor seinem gewaltsamen Tod zu seinen Eltern zurückgekehrt, nachdem es zeitweise im Kinderschutzhaus und zuvor bei einer Pflegemutter gelebt hatte.
Am Tag der Obduktion, am 18. Dezember 2013 gegen 14 Uhr, sei ihm bewusst geworden, dass er das Kind kenne, sagte Klaus Püschel gestern in der dritten Sitzung des Untersuchungsausschusses. Zwar habe er Yagmur nie persönlich gesehen, aber die Aktenlage sei ihm bekannt gewesen. Untersucht hatte das Mädchen Püschels Kollegin Dragana Seifert, die gestern ebenfalls als Zeugin befragt wurde. Nachdem vor gut einem Jahr bei einem Krankenhausaufenthalt schwerste und laut Püschel „ungewöhnlich massive“ Verletzungen bei der Kleinen festgestellt worden waren, hatte er am 1. Februar 2013 Anzeige gegen Unbekannt erstattet. „Das geschieht bei jährlich rund 250 Fällen nur ein bis zwei Mal“, betonte Püschel.
Das Mädchen schwebte zweifach in Lebensgefahr
Im Fall Yagmur sei er von einer besonderen Gefährdungssituation ausgegangen. „Das Kind war durch das Oberbauchtrauma mit Verletzung der Bauchspeicheldrüse – eine extreme Rarität – und das Hirntrauma zweifach in Lebensgefahr.“ Die Anzeige habe er jedoch wohl eher „kühl“ formuliert. „Meine große Besorgnis habe ich nicht extra dazu geschrieben“, räumte Püschel ein. Er selbst habe die Situation als sehr gefährlich eingeschätzt. „Offenbar ist das nicht so rüber gekommen“, sagte er, während er immer wieder in seinen beiden dicken Aktenordnern blätterte. Andere Personen hätten seine Besorgnis nicht geteilt, die Situation nicht so dramatisch eingeschätzt. „Da sehe ich ein Kommunikationsproblem“, sagte der 62-Jährige.
Auch das Gutachten der Rechtsmedizin zu Yayas Verletzungen, die Ende Januar 2013 festgestellt worden waren, sorgte im PUA für kritische Nachfragen. Püschel wies darauf hin, dass es ein bekanntes Problem sein, dass medizinische Fachausdrücke nicht immer verstanden würden. „Unser Ergebnis hätte besser erläutert, deutlicher formuliert werden müssen, damit es Laien wie Mitarbeiter des Jugendamts nicht missinterpretieren“, sagte Püschel. Andererseits würde er auch erwarten, dass jemand Nachfragen stelle, wenn er etwas nicht versteht.
Püschel: Bericht hätte früher fertig sein können
Nicht verständlich erschien dem PUA-Vorsitzenden Trepoll, dass das rechtsmedizinische Gutachten erst Wochen nach Feststellung der Verletzungen am 31. Januar 2013 bei der Hamburger Staatsanwaltschaft angekommen war. Es habe telefonisch eine Vorabinfo an das Jugendamt und die Staatsanwaltschaft gegeben, konterte Püschel. „So war eine Reaktion aufgrund der massiven Verletzungen möglich.“ Püschel räumte jedoch ein, dass der Bericht früher hätte fertig sein können.
Da Püschel sicher ein halbes Dutzend Mal betonte, dass seine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ein höchst ungewöhnlicher Vorgang gewesen sei, zeigten sich die PUA-Mitglieder umso irritierter, dass der Rechtsmediziner nach Einstellung des Verfahrens ohne Ergebnis im November 2013 nicht aktiv geworden war. „Ich sah keine Veranlassung, mit dem Jugendamt zu sprechen“, sagte Püschel.
Es gebe nun jedoch die Überlegungen, ob die Rechtsmedizin „dichter an den Fällen dran bleiben“ sollte. „Rückblickend hätte es hilfreich sein können, noch mal darauf hinzuweisen, dass dort etwas Schlimmes passiert ist“, sagte Klaus Püschel. „Das ist ein wunder Punkt. Aber für mich waren damals andere zuständig.“
„Es bestand keine akute Lebensgefahr“
Nachdem der PUA Püschel gut dreieinhalb Stunden von den Gremiumsmitgliedern vernommen worden ist, wurde auch seine Kollegin Seifert befragt. Sie hatte Yagmur am 31. Januar 2013 untersucht, nachdem das Altonaer Kinderkrankenhaus sich an das Kinderkompetenzzentrum im Institut für Rechtsmedizin gewandt hatte, und insgesamt drei Gutachten erstellt. Am 1. Februar 2013 hatte sie gemeinsam mit Püschel Anzeige erstattet. "Die Kombination der schweren Verletzungen habe ich noch nie gesehen", sagte die 55-Jährige. Dass Lebensgefahr für das Mädchen besteht, habe sie in den Gutachten jedoch nicht erwähnt. "Weil keine akute Lebensgefahr bestand", begründete Seifert.
Die Rechtsmedizinerin hatte damals unter anderem mehrere äußere stumpfe Gewalteinwirkungen mit Abschürfungen am Oberarm und Unterschenkeln festgestellt, die nur wenige Tage alt waren. Die Eltern des Kindes hätten jedoch angeben, das die Verletzungen angeblich zwei Wochen alt und durch einen Sturz entstanden sein. "Das konnte nicht sein", sagte Seifert. Die Verletzungen des Gehirns seien auf ein länger zurückliegendes Schütteln zurückzuführen gewesen. Konkreter Zeitangaben konnte Seifert nicht machen. "Außerdem war die Bauspeicheldrüse entzündet. Es gab den hochgradigen Verdacht, dass die durch äußere stumpfe Gewalteinwirkung entstanden ist", sagte Seifert.
Sie könne sich noch sehr gut an den 31. Januar 2013 erinnern, an den Tag, als sie die kleine Yaya untersuchte. Yagmur habe in ihrem Bettchen gelegen und wie ein krankes Kind geschaut. "Sie hat nicht ein Wort gesprochen", sagte Seifert in der PUA-Sitzung. Auch Yayas Mutter Melek Y. sei bei der Untersuchung dabei gewesen. "Aber ich habe nicht mit ihr gesprochen." Und nach der Anzeigenerstattung hätte sie niemand mehr nach Yagmur gefragt.
Auf die Frage, wie sie reagiert habe, nachdem sie von der Einstellung des Verfahrens im November 2013 erfahren habe, wurde Dragana Seifert nachdenklich. "Ich kann mich nicht erinnern", gab sie zunächst an. "Wenn sie mich als Mensch fragen: Ich war enttäuscht, weil ich mir gewünscht hätte, dass weiter ermittelt wird – solange, bis man mehr erfahren hätte."
Grundsätzlich würde sie sich wünschen, dass das Kinderkompetenzzentrum bei Kindeswohlgefährdungen eingeschaltet wird. "Ich wünsche mir mehr Verbindlichkeit, eine klare Linie, wenn es den Verdacht gibt, dass ein Kind vernachlässigt wird", sagte Seifert.