Professor Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg, wehrt sich gegen die Kritik des Altbürgermeisters Klaus von Dohnanyi und anderen. Er warnt davor, den „Aufbruch jetzt zu zerreden“.
Die Kritik kam überraschend und mit voller Wucht: In einem gemeinsamen Auftritt vor den Hamburger Journalisten kritisierten Altbürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) gemeinsam und parteiübergreifend mit den Ex-Senatoren Wolfgang Peiner (CDU) und Willfried Maier (Grüne) den Wissenschaftsstandort Hamburg und auch ganz direkt die Ausstattung und Leistung der Hamburger Universität.
In ihrer gemeinsamen Streitschrift bemängelten sie, dass Hamburg einen „ständigen Bedeutungsverlust“ im Vergleich mit anderen Metropolen erlebe. Konkret auf die Universität bezogen sei festzustellen, dass diese bestenfalls zweitklassig sei, es gebe kaum Spitzenleistung und kein Gesamtkonzept. Bei den Exzellenzprogrammen des Bundes sei die Hansestadt bis auf wenige Ausnahmen leer ausgegangen, die Hochschulen lägen in Rankings meist hinten.
Es gebe keine geistige Prägung der Stadt durch das, was an den Hochschulen passiere, sagt Maier. „Hamburg hat Potenzial, aber ohne international wettbewerbsfähige exzellente Forschung und Wissenschaft ist ihre Zukunft bedroht“, warnt Dohnanyi. Notwendig sei eine Kampagne „Wissenschaftsstandort Hamburg 2025“.
Die drei Politiker fordern einen parteiübergreifenden strategischen Beschluss von Senat und Bürgerschaft, der den kontinuierlichen Ausbau zur Wissenschaftsmetropole über mehrere Wahlperioden festschreibe und mit einem verbindlichen Finanzkonzept verbinde.
Uni-Präsident Dieter Lenzen, seit gut vier Jahren im Amt, wehrt sich nun gegen die Vorhaltungen und spricht darüber, was zuletzt erreicht wurde – er sagt aber auch, was mit der derzeitigen Ausstattung nicht zu erreichen ist: „Man kann nicht von Harvard träumen.“
Hamburger Abendblatt: Herr Professor Lenzen, mit dem ehemaligen Bürgermeister Klaus von Dohnanyi und den Ex-Senatoren Wolfgang Peiner und Willfried Maier haben drei prominente Ex-Politiker die Hamburger Universität frontal angegriffen. Hat Sie das überrascht?
Dieter Lenzen: Ich habe das eher als Appell aufgenommen, Hamburg zu einer Wissenschaftsmetropole zu machen. Das ist gut und richtig. Es ist nämlich identisch mit der Forderung, die die Hamburger Hochschulen seit Jahren erheben.
Ich möchte nur daran erinnern, dass unter dem Titel „Kampf um die Zukunft“ die Hochschulleitungen zusammen mit Studierenden und Beschäftigten darauf aufmerksam gemacht haben, dass weitere Kürzungen im Wissenschaftsbereich schwerwiegende Folgen haben könnten.
In einer vor drei Jahren getroffenen Hochschulvereinbarung kamen daraufhin Senat und Hochschulleitungen überein, dass die beabsichtigten direkten Stellenstreichungen zurückgenommen wurden. Die Budgets erfuhren eine leichte jährliche Steigerung um 0,88 Prozent.
Das bedeutet aber doch eine Kürzung, denn die Inflationsquote liegt höher. Investitionen sehen anders aus.
Lenzen: Aber auf dieser Grundlage haben die Hochschulen gewirtschaftet, Stellenpläne angepasst und durch einen vorsichtigen Umgang mit dem Globalbudget versucht, Rücklagen anzulegen, um die von Ihnen beschriebene tatsächliche faktische Kürzung abzufedern.
Ein Streben nach Exzellenz ist so aber schwerlich möglich, oder?
Lenzen: Damit kann man jedenfalls nicht von Harvard träumen, denn die Budgets der US-amerikanischen Spitzenuniversitäten betragen etwa das Zwanzigfache der Universität Hamburg bei der Hälfte der Studierenden, also faktisch verfügen sie über ein 40 mal so hohes Budget.
Und doch gelingt es durch die Konzentration auf einzelne Bereiche immer wieder, internationale Spitzenwissenschaftler anzuziehen, unlängst einen Kunsthistoriker aus Harvard, einen Physiker aus Oxford, insgesamt allein in den letzten zwei Jahren 17 hervorragende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem Ausland.
Aber reicht das aus, um eine generell bessere Beurteilung der Universität in der wissenschaftlichen Fachöffentlichkeit, aber auch in der Gesellschaft allgemein zu erreichen?
Lenzen: Die Beurteilung ist gar nicht schlecht, sondern im Gegenteil sehr gut. Aber Spitzenleistungen zeigen sich seit einigen Jahren doch an vielen Stellen: Mit zwei Exzellenz-Clustern, aus Physik und Klimaforschung, gehört die Universität zu den nicht mehr als acht Universitäten in Deutschland, die zwei Exzellenz-Cluster im Exzellenzwettbewerb alleine eingeworben haben.
Soeben erhielt die Neuropsychologin Brigitte Röder den Leibniz-Preis, der gern als „Deutscher Nobelpreis“ bezeichnet wird. Die Akademie der Weltreligionen erhielt durch den Bund mehr als drei Millionen Euro in Anerkennung ihrer Zukunftsvorhaben.
Das gilt auch für zahlreiche andere Fächer. Die sogenannten Drittmittel, also Geldzuwendungen von Förderorganisationen außerhalb der Stadt, machen jährlich rund 111 Millionen Euro, also etwa ein Drittel des Gesamtbudgets aus.
Diese Mittel kommen ausschließlich aus der Leistung der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die komplexe Projektprogramme entwickeln müssen, um es zu gewinnen, genauer: Sie müssen es nicht, sondern sie tun es, weil sie ihren Beitrag für die Universität leisten wollen.
Sie sehen die Universität also unter Wert beurteilt?
Lenzen: Ja, aber zum Glück nicht unter jenen, die unsere Leistungen professionell einschätzen können. Das Geld zum Beispiel kommt ja keineswegs nur aus Förderinstitutionen, sondern auch aus privaten Quellen.
In den zurückliegenden vier Jahren hat sich das Drittmittelaufkommen allein von rund 83 Millionen Euro auf rund 111 Millionen Euro, also um weit mehr als 30 Prozent gesteigert. Nebenbei: Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass die Wissenschaft in Hamburg knapp sechs Milliarden jährlich zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Dafür erwarten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen Respekt.
Welche Aufgabe hat denn eine Großstadt-Universität wie Hamburg aus Ihrer Sicht in Bezug auf die Studierenden?
Lenzen: Wir haben hier inzwischen 42.000 Studenten, die Absolventenquote konnte in den vergangenen vier Jahren um 44 Prozent gesteigert werden. Denn das darf bei aller Leistungserwartung nicht vergessen werden: Die Hochschulen der Stadt haben in gleichem Maße eine Ausbildungsverpflichtung für die nachwachsende Generation.
Keine Spitze ohne Breite. Diese Zahlen sprechen für sich. Vielleicht sprechen wir nicht oft genug über diese Zahlen. Das werden wir ändern. Wichtig ist auch, die Position der Universität unter den deutschen Hochschulen bekannt zu geben: In Deutschland gibt es insgesamt 392 Hochschulen, davon 239 Hochschulen in staatlicher Trägerschaft und 113 in privater Trägerschaft.
In der Gesamt/ folge dieser Hochschulen befindet sich die Universität Hamburg auf dem 13. Platz. Der Zweitklassigkeitsvorwurf ist also absurd. Das gilt auch im internationalen Vergleich: Allein im letzten Jahr stieg die Universität Hamburg laut QS World University Ranking um fast 20 Plätze in das erste Drittel auf. Zur Information: Es gibt weltweit 17.036 Universitäten. Also auch hier erstklassig.
Der Vorwurf der drei Politiker lautet aber, dass Sie es nicht geschafft haben, ein Gesamtkonzept für die Universität zu entwickeln.
Lenzen: Ja, aber die Behauptung ist falsch. Die Universität hat sich in den vergangenen Jahren auf das Ziel der Nachhaltigkeit für die gesamte Universität festgelegt, als Forschungsgegenstand, als Prinzip der Lehre bis hin zu ihren Gebäuden.
Das hat ihr hohe Aufmerksamkeit eingebracht. So gewann die Universität mit der Gründung ihres Universitätskollegs rund 13 Millionen Euro im Qualitätspakt Lehre des Bundes und der Länder. Und überhaupt Gründungen: In den vergangenen fünf Jahren konnten insgesamt 15 neue Forschungseinrichtungen in der Universität gegründet werden, von der Physik über die Erdsystem- und Gesundheitsforschung bis hin zu den Geisteswissenschaften.
Noch in diesem Jahr wird übrigens ein neues Zentrum für Lehr-Lernforschung seine Arbeit aufnehmen. Denn eine Massenuniversität benötigt intelligente neue Konzepte, um möglichst viele Studierende zum Erfolg zu führen.
Wie wollen Sie mehr Exzellenz gewährleisten?
Lenzen: Da haben wir durchaus noch weitere Pläne: Die Beteiligung am Exzellenzwettbewerb Lehrerbildung, die weitere Internationalisierung der Universität, die Wiedererweckung des Warburg-Hauses zu einer Forschungs- und Begegnungsstätte in den Geisteswissenschaften, die Konsolidierung des Botanischen Gartens, und der Auf- und Ausbau neuer Einrichtungen in den Naturwissenschaften.
Apropos Natur: Die Universität wirbt bei der Politik dafür, unsere zahlreichen Sammlungen in den Naturwissenschaften endlich zu einem Naturkundemuseum, dem Traum Loki Schmidts, zusammenzufassen. Mäzene warten schon. Aber die Universität kann das nicht ohne die Stadt stemmen. Beispiele anderer Städte, wie Bonn, Göttingen oder Berlin zeigen, dass Naturkundemuseen Publikumsmagneten sein können.
Sie sprachen davon, dass Sie die Äußerungen der Ex-Politiker eher als Appell verstanden haben. Was ist denn Ihr Gegenappell?
Lenzen: Hamburg verfügt über eine überdurchschnittlich qualitätsvolle Hochschullandschaft mit großen Leistungssteigerungen in den zurückliegenden Jahren. Alle unsere Initiativen zeigen: So viel Aufbruch war nie.
Jetzt kommt es darauf an, ihn nicht zu zerreden, sondern die Wissenschaft in ihrem autonomen Weg zu unterstützen – mit Wohlwollen statt Misstrauen, mit Freiheit statt Regelungsdichte und natürlich auch mit Finanzen, die ein Wachstum möglich machen, das man nicht nur aus Rücklagen finanzieren kann.