An den Hochschulen hat der Bologna-Prozess wenige Freunde. Senatorin Stapelfeldt und Uni-Präsident Lenzen wollen einiges ändern. Unter anderem die Dauer des Bachelor-Studiums.

Bologna ist ein Ort, dessen Namen an deutschen Hochschulen keinen übermäßig guten Klang hat. Als die nach der italienischen Stadt benannte europaweite Reform, die dem deutschen Universitätswesen ein sehr formalisiertes System aus Bachelor- und Master-Studiengängen bescherte, im vergangenen Jahr in Deutschland zehnjähriges Jubiläum feierte, knallten keine Sektkorken. Lediglich die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan jubelte: „Nach zehn Jahren ist der Bologna-Prozess ein Beispiel für eine europäische Erfolgsgeschichte.“

Mit einer so optimistischen Sicht blieb die CDU-Politikerin weitgehend allein. Viele Hochschulrektoren und auch Studierende beklagen hingegen die Kehrseite einer Entwicklung, die eigentlich für mehr Leistung, mehr Mobilität und eine höhere Zahl von jüngeren Studienabsolventen sorgen sollte. Kritisiert wird die starke Verschulung, die kaum Raum lässt für einen umfassenden Bildungsanspruch, Stress durch ein striktes Punktesystem und fortwährende Prüfungen, weiterhin hohe Abbrecherquoten und ein Bachelor-Abschluss nach sechs Semestern, der nicht immer berufsqualifizierend ist, sondern teilweise das Etikett „Schmalspur“ trägt.

Zu den pointiertesten Kritikern gehört Professor Dieter Lenzen, Präsident der Universität Hamburg. Bologna rieche nach „Truppenversorgung und Zwangsernährung“, brandmarkte er die Reform vor einiger Zeit. Bei den neuen Studiengängen handle es sich nicht um ein Angebot, sondern eine Zumutung. Bildung könne in ihr nicht stattfinden. „Die Universität ist von der Bildungsstätte zur Erziehungsanstalt mutiert“, polterte Lenzen. Auf einem Dies Academicus machte die Universität im vergangenen Jahr eine Bestandsaufnahme und beschloss rund 100 Verbesserungen, die die Hochschule selbst in der Hand hat. In Kürze, beim nächsten Dies Academicus am 23. April, soll Bilanz gezogen und geschaut werden: Was wurde umgesetzt? Wo steht man? Und was muss noch verändert werden? Eine Antwort formuliert Präsident Lenzen, der bei der Veranstaltung ein zentrales Referat halten wird, schon einmal so: „Der Prozess Bologna 2.0 muss die Philosophie der kontinentalen Universitäten wieder stärker machen und dafür das Maß an Verschulung zurückdrängen.“

Manches können die Hochschulen selbst regeln, bei anderem ist jedoch die Politik mit gefragt. Und da kommt jetzt in Hamburg Bewegung in die Debatte. Erstmals kritisiert auch die zuständige Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) den Bologna-Prozess sehr dezidiert und zeigt sich offen für eine grundlegende Änderung. „In Deutschland wurden die Vorgaben für die Bachelor-Studiengänge sehr statisch umgesetzt“, sagte Stapelfeldt der „Welt am Sonntag“. Nach allem, was sie von den Hochschulen höre, funktioniere es aber nicht, diese Vorgaben in allen Fächern gleichermaßen starr anzuwenden. „Im Sinne einer besseren Studierbarkeit muss es nicht richtig sein, dass ein Bachelor-Studiengang in allen Fächern sechs Semester umfasst, auf den dann ein viersemestriges Masterstudium aufsetzt. Ich sage ganz deutlich: Der sechssemestrige Bachelor-Studiengang ist für mich kein Dogma“, so Stapelfeldt. Bisher schienen sie in Stein gemeißelt. Doch Stapelfeldt glaubt: „Die Studiengänge müssen so weiterentwickelt werden, dass sie den Erfordernissen der einzelnen Fächer entsprechen. Wenn es beispielsweise in einem geisteswissenschaftlichen Fach besser ist, den Bachelor in acht statt in sechs Semestern zu machen, dann sollte das möglich sein.“

Damit läuft sie bei der Universität offene Türen ein. Auch dort wünscht man sich in einigen Fächer längere Bachelor-Studiengänge. „Bei dem Versuch, ein gemeinsames europäisches Hochschulwesen zu schaffen, sind zwei Systeme aufeinandergestoßen: die atlantische Tradition aus England mit seiner starken Verschulung, die auch der Tatsache geschuldet ist, dass es dort kein Berufsbildungssystem gibt und unser kontinentales, das dem Anspruch einer Bildung durch Wissenschaft verpflichtet ist“, sagt Universitätspräsident Lenzen. Das atlantische System habe sich dabei durchgesetzt.

Mit schlafwandlerischer Sicherheit sei der europäische Bachelor-Master-Prozess aber an den amerikanischen und asiatischen Vorbildern vorbei organisiert worden. Dort benötige man regelhaft acht Semester für den Bachelor, und zwischen der High School und dem Universitätsstudium gebe es das College.

Lenzen sagt daher: „Die Politik sollte sich für den achtsemestrigen Bachelor-Studiengang öffnen, auf den dann ein eventuell nur zweisemestriger Master aufsetzt. Das sollten Politik und Universitäten gemeinsam anschieben.“ Der Erziehungswissenschaftler ist zuversichtlich: „Ich bin überzeugt, dass wir es hinbekommen.“

Die Strukturvorgaben der Kultusministerkonferenz (KMK) sehen lediglich vor, dass für Bachelor und Master insgesamt zehn Semester zur Verfügung stehen, so dass eine Verschiebung möglich ist. Auch eine Änderung des Hamburgischen Hochschulgesetzes ist nicht nötig, da die Hochschulen die Dauer der Studiengänge in ihren Studienordnungen selbst regeln.

Dennoch würde eine Verlängerung des Bachelor-Studiengangs einige Probleme aufwerfen. Denn sechs Semester Studium bis zum ersten Abschluss zu finanzieren, ist für den Staat günstiger als acht Semester, da nicht alle Studenten anschließend den Master anstreben. „Das würde deshalb bedeuten, dass es unter Umständen insgesamt weniger Plätze für Studienanfänger gibt oder mehr Geld bereitgestellt wird.“, sagt Lenzen. Von heute auf morgen ist ein längeres Bachelor-Studium, für das neue Studien- und Prüfungsordnungen entwickelt werden müssen, allerdings nicht zu etablieren. Benötigt werden dafür sicherlich zwei Jahre.

Ein Ziel, das sich lohnen könnte. Wissenschaftssenatorin Stapelfeldt jedenfalls begrüßt zwar die Schaffung eines europäischen Hochschulraums, sieht aber auch die Probleme, zu denen die Bologna-Reform geführt hat. „Diese sollten wir uns vornehmen und Lösungen finden – im Interesse jetziger und künftiger Studenten“, sagt sie. So gebe es keinen Beleg dafür, dass es ausreichend gelungen sei, die Mobilität der Studierenden zu erhöhen. Nun müsse man schauen, an welchen Stellen ein Wechsel oder Auslandssemester in den einzelnen Fächern sinnvoll sei – innerhalb des Bachelor-Studiengangs oder beim Übergang zum Master – und die Studiengänge stärker auf diese Möglichkeit ausrichten.

Auch seien nicht alle Bachelor-Studiengänge berufsqualifizierend. „In den Ingenieur- und Naturwissenschaften sind sie es zum Beispiel teilweise nicht. Die Studiengänge sind in einigen dieser Fächer so organisiert, dass der Master der eigentliche Regelabschluss ist. Wir müssen in jedem Fach ganz genau schauen, was notwendig ist, damit der Bachelor-Abschluss auch tatsächlich für den Beruf qualifiziert“, so Stapelfeldt. Die Wissenschaftssenatorin will im September in Hamburg zu einer großen Konferenz zum Bologna-Prozess mit Hochschulvertretern, Studierenden und externen Experten eingeladen. Dort soll die Situation bewertet und konkrete Lösungsvorschläge diskutiert werden. Die Hochschulexpertin der Grünen, Eva Gümbel, fordert, dort, wo der Bachelor-Abschluss nicht berufsqualifizierend sei, müsse der Master-Abschluss zwingend zum Regelabschluss werden. Dazu bräuchten die Hochschulen ausreichend Mittel.

An der Universität wurde bereits einiges geändert. Abgeschafft wurde beispielsweise teilweise die Pflicht für die Studenten, die einzelnen Studienmodule innerhalb einer bestimmten Frist zu absolvieren. Das erleichtert die eigene Organisation des Studiums. Auch die Anwesenheitspflicht bei vielen Lehrveranstaltungen wurde gelockert. „Wir müssen uns verabschieden von der traditionellen Vorstellung eines Professors, der lehrt und den Studenten, die nur zuhören“, sagt Lenzen. Die Zahl der studienbegleitenden Prüfungen, teilweise 60 Stück in manchen Fächern, ist teilweise gesenkt worden. Die Studierenden wünschen sich weniger Pflichtveranstaltungen und mehr Wahlfreiheit im Studium – ein Anliegen, das der Universitätspräsident teilt: „In die sehr formalisierten Curricula ist das experimentelle Lernen im Wege der Beteiligung an Forschung, durch die die Methoden erlernt werden sollen, kaum einzubauen gewesen“, sagt Lenzen.