Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig, der für seine forsche Art bekannt ist, spricht im Interview über die Energiewende, das Turbo-Abi, die Hamburger Art und den HSV.
Hamburg. Der Norden ist rot – jedenfalls, wenn es nach der Parteifarbe der überall amtierenden Regierungspartei geht. Schleswig-Holstein, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen werden von Sozialdemokraten regiert.
Was verbindet diese Ministerpräsidenten, welche Interessen teilen die Länder, wo stehen sie gegeneinander? In einer Interviewserie, die heute startet, soll dieser Frage nachgegangen werden.
Den Auftakt macht Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD), der es in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit geschafft hat, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt zu werden – was nicht zuletzt auch daran liegt, dass der ehemalige Kieler Oberbürgermeister ein Freund der klaren Worte ist und keinen Konflikt scheut.
Zuletzt kämpfte er gegen Einschränkungen beim Ausbau der Windkraft in Deutschland, wie sie Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel – pikanterweise auch SPD – plant.
Hamburger Abendblatt: Die Zukunft der Energiewende wird am morgigen Montag mit der Bundeskanzlerin, ihrem Parteigenossen, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, und den Länderchefs verhandelt. Ist das der Moment des großen Energie-Showdowns?
Torsten Albig: Sagen wir es lieber so: Wir sollten unbedingt eine Einigung erzielen darüber, wie es weitergeht mit der Jahrhundertherausforderung Energiewende in Deutschland, aber auch ganz konkret hier im Norden.
Wir müssen mit einer EEG-Reform – die ich ausdrücklich unterstütze – zum einen dafür sorgen, dass die Stromkosten nicht mehr so stark steigen wie in der Vergangenheit.
Zudem wollen wir alle gemeinsam den Atomausstieg bis 2022 vollenden und gegenüber Brüssel unser CO2-Ziel einhalten. Wir müssen dabei auf EU-Vorgaben achten, aber nicht um den Preis, dass der Ausbau der Windkraft onshore und offshore darunter leidet.
Wir haben bei allen strittigen Punkten in den vergangenen Wochen jeden Stein einmal umgedreht, jetzt muss ein gemeinsamer Weg gefunden werden. Und ich bin auch zuversichtlich, dass uns dies gelingt.
Ist es nicht verwunderlich, dass gerade ein Parteifreund wie Sigmar Gabriel in einigen zentralen Punkten bisher in eine andere Richtung geht? Da hatten Sie sich doch anderes erhofft, als der Energiebereich seinem Ministerium zugeschlagen wurde.
Albig: Nein. Konkrete Politik speist sich doch nicht nur aus dem Parteibuch – das ist ja auch nicht so, wenn die Ministerpräsidenten der Länder miteinander verhandeln.
Sigmar Gabriel hat Bundesinteressen zu vertreten, und sein primäres Ziel ist es, dass die Stromkosten nicht beliebig weiter steigen und dass unser deutsches Gesetz auch mit Blick auf Beihilfeverfahren der EU wetterfest ist.
Aber ebenso legitim ist es, wenn ich darauf achte, dass wir mit dem Ausbau von Windkraft an Land dafür sorgen, dass die Strompreise nicht explodieren und mit der Reform nicht eine ökonomische Erfolgsgeschichte im Norden kaputt gemacht wird.
Hier streiten sich also nicht zwei Sozialdemokraten, sondern debattieren Politiker mit unterschiedlichem Fokus und unterschiedlicher Rolle. Zum Glück habe ich aber Argumente, die mehr sind als simpler Lobbyismus. Ich kann nachweisen, warum unsere Ziele auch gut für den Bund sind. Und damit will ich überzeugen.
Welche Szenarien sind denkbar, wenn es dennoch zu keiner Einigung kommt, das Gesetz aber eine Woche später im Bundestag beschlossen wird? Wird dann der Vermittlungsausschuss angerufen?
Albig: Noch einmal: Mein Ziel ist es nicht, den Bundeswirtschaftsminister oder den Bund irgendwie zu besiegen. Sein Erfolg in diesem Politikfeld wird auch mein Erfolg sein. Und übrigens sieht die Regierung von Rheinland-Pfalz, also Vertreter des Südens, sehr vieles ganz genauso wie wir hier im Norden in den fünf Küstenländern.
Würde der Bund nun aber sagen, dass alles egal sei, was wir so erzählen – wovon ich überhaupt nicht ausgehe – dann müssten wir natürlich weiter für unsere Position kämpfen und werben. Die Verfahren sind dann bekannt, Bundesrat und Vermittlungsausschuss inklusive.
Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima gab es eine breite gesellschaftliche Übereinkunft dazu, künftig auf erneuerbare Energien zu setzen. Davon ist nicht viel geblieben, das Großprojekt ist in einer gefährlichen Lage.
Albig: Es stimmt, dass die Energiewende an einem Scheidepunkt ist. Treffen wir jetzt die falschen Entscheidungen, werden wir Bürgerinnen und Bürgern erklären müssen, warum wir 2022 nicht den letzten Atommeiler vom Netz nehmen, sondern AKWs wieder zuschalten.
Jetzt wäre ein guter Moment, durch richtige und verlässliche Entscheidungen einen Neustart zu befördern. Ein Gesetz reicht da aber nicht aus, wir müssen den Bürgern auch genauer erklären, warum wir das alles machen. Das habe ich in vielen Bürgergesprächen gemerkt.
Wenn wir die Diskussion auf den Preisbereich reduzieren, kommen wir nicht weit. Atomstrom wird dann immer billiger sein, weil dessen eigentliche Kosten gar nicht in den Stromrechnungen auftauchen.
Gut, warum machen wir es?
Albig: Ganz plastisch: Wir können die erste Volkswirtschaft sein, die energiepolitisch unabhängig ist von Atomzeugs, das uns umbringen kann und mit dem wir Generation um Generation belasten. Und wir hören auf, die Umwelt durch Verbrennungsvorgänge zu schädigen. Zudem machen wir uns unabhängig von Zulieferverträgen mit anderen Ländern.
Dann spielt Ihnen die Ukraine/Russland-Krise in die Karten?
Albig: Nein, das würde ich so nicht sagen. Das wäre auch zynisch angesichts der schlimmen Vorgänge dort. Aber richtig ist doch, dass uns vor Augen geführt wird, wie schnell sich die Dinge ändern können in der Welt. Was machen wir, wenn irgendjemand den Gashahn abdreht? Da ist es doch viel besser, sich selbst versorgen zu können. Niemand wird uns den Wind oder die Sonne abschalten. Das kostet jetzt Geld, aber es lohnt sich.
Gerade zu diesem Thema äußern Sie sich, sagen wir mal, prononcierter als viele Ihrer Kollegen. Sind Sie auf Krawall gebürstet? Oder haben Sie einfach mehr zu verlieren?
Albig: Natürlich ist das für mein Land ein zentraler Wirtschaftsfaktor, und deswegen bin ich dann auch ein Wirtschafts-Ministerpräsident. Dahinter stehen viele Tausend Arbeitsplätze und große Wertschöpfung. Ich habe also etwas zu verlieren, und deswegen kämpfe ich, wie Sie sagen, auch mal prononciert. Schleswig-Holstein hat sich auf den Weg gemacht, und ich will nicht, dass es gestoppt wird. Das wäre auch für Deutschland volkswirtschaftlich nicht klug.
Wir haben jetzt lange über ein großes gesamtgesellschaftliches Thema gesprochen, diskutiert wird in den Haushalten im ganzen Norden derzeit aber vor allem, wie lange Kinder zur Schule gehen sollten, bis sie die Abiturprüfung ablegen. G8 und G9 sind da die Schlagworte. Können Sie diese Debatte nachvollziehen?
Albig: Die größte Gefahr für gute Bildungspolitik ist, diese in jedem Jahr zu ändern, dann kommt keiner mehr hinterher. Wir hier in Schleswig-Holstein wollen gleichberechtigt zwei Wege zum Abitur, einmal über die Gymnasien in acht Jahren, zudem über die Gemeinschaftsschulen in neun Jahren.
Die Familien müssen entscheiden können, was für sie und die Kinder besser ist. Wir müssen gewährleisten, dass beide Schultypen in den Regionen zur Auswahl stehen. Das tun wir.
Diese Ausgangslage ist in Hamburg oder Niedersachsen ja auch nicht grundlegend anders und die verantwortlichen Politiker haben lange so argumentiert wie Sie gerade, und dennoch zeichnet sich ab, dass mit den G8-Gegnern Kompromisse geschlossen werden.
Albig: Ich will die konkrete Ausgangslage in anderen Bundesländern nicht beurteilen. Vernünftigerweise wäre es generell so, dass man alle zehn Jahre auf das Schulsystem schaut und überprüft, was man nachjustieren muss. Justiert man es jährlich, wird man bekloppt.
Wir neigen aber dazu, dass Schulpolitik immer stärker abhängig wird von der Sonntagsfrage. Bevorzugt Menschen, die schon lange nicht mehr in einer Schule waren, mischen sich dann lautstark in die Debatte ein.
Ich wünschte mir hier etwas mehr Gelassenheit und Ruhe für die Schulen und die Schüler. Sie finden mich aber als Unterstützer dafür, die Lehrpläne zu durchflöhen und den Stoff auf das Nötige zu reduzieren, um so für eine Entlastung zu sorgen. Das ist längst überfällig.
Hamburg ächzt unter einem engen Wohnungsmarkt. Wie kann da Schleswig-Holstein profitieren?
Albig: In der Tat ergeht es Hamburg so wie weltweit vielen Metropolen, es wird in der Stadt enger und enger, das kann auch zu starken sozialen Spannungen führen. Deswegen rate ich dazu, den sogenannten Speckgürtel nicht mehr als Bedrohung oder Konkurrenz zu sehen, sondern als Chance, Druck vom Kessel zu nehmen.
Wir haben bezahlbaren Platz für Menschen und Unternehmen. Nicht jeder Betrieb, der nach Norderstedt zieht, ist Ausdruck eines böswilligen Akts, sondern eröffnet auch neue Chancen für Hamburg.
Wir müssen auch die Wohnsituation anders beurteilen. Alles, was mit öffentlichem Nahverkehr innerhalb 90 Minuten zu erreichen ist, ist eigentlich als ein Ort zu betrachten. Den ÖPNV wollen wir deshalb gemeinsam ausbauen und irgendwann werden wir dann sicher auch zu etwas klügeren Verteilmechanismen von Gewerbesteuern kommen, so dass dieser Wettbewerbsgedanke zwischen den Ländern abnimmt.
Die Hamburger neigen dazu, das Umland eher abschätzig zu beurteilen. Haben Sie das selbst schon so gespürt?
Albig: In meinen direkten Kontakten spüre ich das nicht. Aber dass einige Hamburger zuweilen schon eine Haltung an den Tag legen, nach der als erstes Hamburg kommt, als zweites Hamburg und dann ganz lange nichts, das hört man schon mal.
Aber als zweitgrößte Stadt des Landes hat man vielleicht auch das Recht dazu. Ich mache dann bei solchen Gelegenheiten gern darauf aufmerksam, dass immer noch Lübeck die Königin der Hanse ist (lächelt).
Andersherum sind viele Schleswig-Holsteiner Fans des HSV, der gegen den Abstieg kämpft. Ein Thema, das Sie bewegt?
Albig: Ich bin zwar Fan von Arminia Bielefeld, was mit meinem persönlichen Lebensweg zusammenhängt. Aber viele in meinem Umfeld sind HSV-Fans, und die leiden seit Monaten ganz fürchterlich.
Das ist zwar nur Sport, aber für das Selbstverständnis des Nordens spielt der HSV dennoch eine gewichtige Rolle. Dass diese Mannschaft mit ihrem großen Potenzial häufig so grottenschlecht spielt, ist schon bitter. Aber es bleibt unvorstellbar, dass dieser Verein nicht mehr in der Ersten Bundesliga spielt. Deswegen gilt hoffentlich die alte Regel: Was nicht sein darf, das nicht sein kann.