Anfang April soll die „Energiewende 2.0“ von von der Bundesregierung beschlossen werden. Hinter den Kulissen suchen die Bundesländer nach einem gemeinsamem Weg in der Energiepolitik.

Hamburg/Berlin. Als das Thermometer am Donnerstagmittag in Hamburg auf zwölf Grad klettert und die Sonne am wolkenlosen Himmel strahlt, liefern Solaranlagen in Deutschland 21.000 Megawatt Strom – immerhin schon knapp die Hälfte der Energie, die Atom, Kohle und Gas aus ihren Kraftwerken jagen. Es sind gute Zahlen für alle Befürworter der erneuerbaren Energien. Die Kritiker werden wieder lauter, wenn der Regen kommt – und die Leistung der Solarkraft sinkt.

Einig sind sich Politiker, Industrie und Umweltaktivisten in einer Sache: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) braucht eine Reform. Deutschlands Energiepolitik sucht eine neue Wende, „Energiewende 2.0“ nennen sie es. Aber in welche Richtung? Das ist die Streitfrage in den kommenden Wochen.

Denn schon Anfang April soll das Bundeskabinett die Reform unter der Führung von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) beschließen. Gabriel steht unter starkem Druck, etwas Vorzeigbares abzuliefern. Doch er entscheidet nicht allein. Besonders an den 16 Ministerpräsidenten, die sich am Donnerstag in Berlin trafen, hängt es, ob es am Ende wirklich ein Gemeinschaftswerk gibt – oder ob statt einer „Energiewende 2.0“ eine Verzögerung und teures Stückwerk droht. Der Norden will viel Windenergie, der Süden keine Abhängigkeit von Stromimporten aus Norddeutschland.

Vor allem die Pläne von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer machen in der Energiepolitik gerade die Runde. Seine Vision nach dem Abschalten der Atommeiler könnte sein, möglichst viel „Heimatstrom“, also rein in Bayern erzeugter Strom aus Sonne, Biomasse oder Gaskraftwerken, zu produzieren. Auf „Schmutzstrom“ aus ostdeutschen Braunkohletagebauen oder Windstrom aus dem hohen Norden soll sein Bundesland weitestgehend verzichten können. Solche Vorstellungen sind vom Appell der Kanzlerin, die Energiewende als nationale und nicht als regionale Aufgabe zu begreifen, ziemlich weit entfernt.

Die norddeutschen Länderchefs gaben sich nach dem Treffen in Berlin dennoch hoffnungsfroh dass alle Länderregierungen und der Bund bis Anfang April zu einer sinnvollen Reform der Energiepolitik finden. „Die norddeutschen Länder sind zuversichtlich, dass gemeinsam mit der Bundesregierung eine Lösung gefunden wird“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der SPD und Hamburgs Bürgermeister, Olaf Scholz, dem Abendblatt. Die Weiterentwicklung des EEG sei die notwendige Voraussetzung für das Gelingen der Energiewende in Deutschland, hob Scholz hervor. „Die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ausbauziele, insbesondere hinsichtlich der Offshore-Windenergie, sind eine gute Grundlage dafür. Außerdem spielt der Netzausbau in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle“, sagte Scholz.

In den nächsten Jahren wollen die Betreiber von Hochspannungsnetzen 2800 Kilometer neue Stromautobahnen flächendeckend durch Deutschland ziehen und 2900 Kilometer aufrüsten. Bis zur Abschaltung der Atomkraftwerke im Südwesten 2022 muss zusätzlicher Ökostrom etwa aus Windkraft aus dem Norden nach Baden-Württemberg und Bayern gebracht werden muss.

Auch die Kostensenkung für den Verbraucher hat die EEG-Reform zum Ziel. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sagte, dass aufgrund des technischen Fortschritts bei der Windkraft an Land die Fördersätze abgesenkt werden könnten. „Aber das darf nicht dazu führen, dass die Ziele der Energiewende gefährdet werden“, sagte Sellering dem Abendblatt. Die Windkraft an Land sei die günstigste Form der erneuerbaren Energien. „Die Forderung der norddeutschen Länder ist, dass die Förderung an den ertragreichen Standorten nicht zu stark abgesenkt wird. Da sind wir in intensiven Gesprächen mit der Bundesregierung.“

Derzeit liegt die Förder-Umlage für die Erneuerbaren bei 6,24 Cent, 2011 hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch betont, der Beitrag solle nicht über 3,5 Cent steigen. Sie berechnet sich aus der Differenz zwischen dem für den grünen Strom erzielten Preis und den festen, auf 20 Jahre garantierten Vergütungen für jede Anlage – ein Durchschnittshaushalt zahlt 2014 knapp 220 Euro an Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien.

Für den Norden ist vor allem relevant: Nach den Plänen Gabriels soll künftig die staatlich garantierte Einspeisevergütung automatisch sinken, werden binnen eines Jahres Windparks mit einer Gesamtkapazität von mehr als 2500 Megawatt errichtet. Hamburgs Grünen-Politikerin und Parlamentarische Geschäftsführerin der Bundestagsfraktion, Anja Hajduk, kritisiert die Pläne der Bundesregierung. Damit drohe der Ausbau der Windenergie an Land abgewürgt zu werden, sagte Hajduk dem Abendblatt. „Für das Gelingen der Energiewende muss das EEG reformiert werden – allerdings macht eine Deckelung des Preises mehr Sinn als eine Begrenzung der produzierten Ökostrom-Mengen, um die effizientesten erneuerbaren Energien an den Markt zu bringen.“

Auch Horst Seehofer ist bei der Kostenfrage durch die Energiewende schon mit einem eigenen Vorstoß in die Debatte gegangen: Er will die Förderung von regenerativem Strom bei acht Cent je Kilowattstunde deckeln. Ab diesem Betrag soll dann kein Fördergeld für Strom aus Wind, Wasser oder Solar mehr fließen. Wie er Investitionssicherheit bei Herstellern und Betreibern beispielsweise von teueren und langfristigen Windparks sichern will, sagt Bayerns Horst Seehofer dabei nicht.