Schiedsrichter haben ein schlechtes Image, verdienen bei den Amateuren zudem kein Geld. Als Folge fehlt im gesamten Norden der Nachwuchs. Jetzt schlägt der Hamburger Fußball-Verband Alarm.

Sie stehen häufig im Fokus negativer Berichterstattung. Fehlentscheidungen, Wettbetrug, Parteilichkeit, all das wird Fußball-Schiedsrichtern vorgeworfen. Wenn es ganz schlimm kommt, sind sie auf dem Platz auch körperlichen Angriffen ausgesetzt. Dabei könnte man ihren Part auch anders darstellen. Positiver. Schiedsrichter sorgen für ein geordnetes Mit- und Gegeneinander auf dem Platz, verhindern das Chaos. Sie sind also wichtiger Bestandteil der Deutschen liebsten Sportart, und dennoch gibt es ein Problem: Im Norden bricht der Nachwuchs weg. Immer weniger junge Menschen interessieren sich für dieses Ehrenamt.

Bislang fanden sich stets genügend Leidensfähige, die Lust verspüren auf diese leitende Tätigkeit. Jetzt aber schlägt der Hamburger Fußball-Verband Alarm. Der demografische Faktor scheint auf das Kontingent an Unparteiischen durchzuschlagen. „Erstmals meldeten sich nur noch neun Interessierte zu einem Anwärter-Lehrgang, zu dem sonst dreißig bis vierzig kamen“, sagt Carsten Byernetzki, früher Zweitligaschiedsrichter, heute Pressesprecher des Verbandes.

Mehr Schiedsrichter scheiden aus, als neue anfangen

Zwar werde eine gleichbleibende Zahl von Kandidaten ausgebildet, trotzdem sei der Bestand rückläufig. Der Grund: Altersbedingt scheiden zurzeit mehr Schiedsrichter aus, als neue anfangen. In der abgelaufenen Dekade ergab sich daraus trotz insgesamt 5000 Neueinsteigern ein Minus von 100 aktiven Referees. Was auf den ersten Blick nicht sonderlich dramatisch wirkt, könnte sich im Kontext mit der fortschreitenden Überalterung der Gesellschaft zum eklatanten Mangel auswachsen. Die Vereine sind zwar per Satzung verpflichtet, so viele Unparteiische abzustellen wie sie Mannschaften für den Punktspielbetrieb melden. Was aber geschieht, wenn sie nicht genügend Willige an der Pfeife auftreiben?

Ohnedies hat das Verfahren einen Haken. „Die Vereine filtern nicht etwa die Geeignetsten für den Job heraus, sondern schicken uns lieber ihre weniger talentierten Fußballspieler“, berichtet Wilfred Diekert, Vorsitzender des Schiedsrichter-Ausschusses in Hamburg. Seine drastische Warnung: „Freunde, denkt daran, die Leute, die ihr uns schickt, kehren irgendwann zurück. Wenn ihr uns die Blindesten schickt, dann dürft ihr euch nicht wundern, wenn euch später auch die Blindesten pfeifen.“

Bislang konnte aus dem Nachwuchsbereich noch ausreichend Personal rekrutiert werden. Von den Teenagern (Mindestalter: 14 Jahre) legt allerdings die Hälfte innerhalb der ersten beiden Jahre die Trillerpfeife wieder aus der Hand. Die eklatanteste Lücke klafft bei den 28- bis 35-Jährigen. Ihnen lassen Beruf oder Studium und manchmal auch die Familienplanung zu wenig Zeit für das Hobby Schiedsrichtern.

Dabei kann, wer am Ball bleibt, durchaus eine kleine, sportliche Karriere hinlegen. Talente werden vom Verband früh gefördert, denn wer nach ganz oben will, muss schon mit Anfang zwanzig in der Ober- oder Regionalliga pfeifen. Dort kann er immerhin mit 25 Euro Aufwandsentschädigung pro Partie rechnen.

Betreuer übernehmen ungeliebten Pfeifenjob

Noch ist der Hamburger Fußball Verband in der Lage, sogar Punktspiele der Jüngsten schiedsrichtern zu lassen. Flächenländer wie Niedersachsen schaffen das längst nicht mehr, besetzen Spiele mit Unparteiischen erst ab der B-Jugend. Mannschaften in den Ligen darunter spielen quasi wild. Um trotzdem etwas Ordnung zu haben, übernehmen Betreuer den ungeliebten Pfeifenjob.

Was aber braucht so ein Schiedsrichter im Amateur-Fußball, wenn er sich Respekt verschaffen will? Der Fachmann empfiehlt vor allem ein dickes Fell, um anderthalb Stunden lang übelste Beleidigungen meist von Eltern zu ertragen, die in ihrem Nachwuchs Begabungen vom Range Ronaldos, Götzes oder wenigstens van der Vaarts zu erblicken glauben. Diekert, der bis 1991 mehr als 200 Partien der Ersten und Zweiten Liga leitete, hat beobachtet, dass den Kindern und Jugendlichen auf dem Platz „das Verhalten ihrer Eltern oft peinlich ist“.

„Ohren auf Durchzug stellen“

Diesen Verbalattacken stünden jedoch viele positive Faktoren entgegen, erklärt der 65-jährige Obmann: „Wer schiedsrichtert, tut viel für sein Selbstbewusstsein. Er lernt, schnelle Entscheidungen zu treffen, sie durchzusetzen und muss zugleich einen Weg finden, mit allen auf dem Platz klarzukommen.“ Eine in ihrer Vielfältigkeit hochspannende Aufgabe, findet Diekert. Das bekommt allerdings nicht jeder hin. Ohne eine Mindestausstattung an Ruhe und Gelassenheit gehe es nicht, und mitunter helfe es, „die Ohren auf Durchzug“ zu stellen.

Prinzipiell müsse das Bewusstsein wieder wachsen, dass Fehlentscheidungen zum Schiedsrichter gehören wie der verschossene Elfmeter zum Spieler. Die unablässig diskutierten technischen Hilfsmittel dürften zwar kaum aufzuhalten sein, würden aber im Grunde nur wenig verbessern. Zumal etwa Videobeweise im Amateurfußball so wenig realisierbar sind wie Torlinien-Überwachungskameras.

Andererseits sickert manche „Modeerscheinung“ infolge der extremen TV-Präsenz im Profifußball in den Amateurbereich. Der neueste Trend sind Reklamationen wegen regelwidrigen Ellbogeneinsatzes im Luftkampf. Über die zunehmenden Proteste der Hobbykicker kann Diekert indes nur lachen: „Diese Art Foul beherrschen die Spieler in den unteren Ligen überhaupt nicht.“

In der Kreisklasse nehmen Proteste gegen Abseitsentscheidungen ab

Die Verästelung der Abseitsregel wiederum begreifen mittlerweile nur noch Experten. Doch die allgemeine Ratlosigkeit hat laut Diekert einen kuriosen und hilfreichen Nebeneffekt für die Schiedsrichterei in den unteren Ligen. „In der Kreisklasse nehmen die Proteste gegen Abseitspfiffe ab, weil keiner mehr durchblickt“, sagt der Experte. Seine Beobachtung: „Die Spieler akzeptieren deshalb eine Schiedsrichterentscheidung eher mal als früher.“

Verlockender als 90 Minuten ehrenhalber über einen matschigen oder staubigen Grandplatz zu rennen, ist es natürlich, als Unparteiischer vor zwei Bundesligateams in ein vollbesetztes Stadion einzumarschieren. Das ist der Traum vieler Nachwuchs-Schiedsrichter. Zumal hier recht ansehnliche Honorare gezahlt werden. Erst kürzlich beschloss die Deutsche Fußball Liga (DFL), bis zur Saison 2016/2017 das Jahreshonorar für Topschiedsrichter schrittweise auf 75.000 Euro anzuheben – und zwar unabhängig von der Anzahl ihrer Einsätze. „Nicht übel für ein Hobby“, sagt Diekert.

Vier Hamburger Schiedsrichter agieren derzeit im Profifußball

Aus Hamburg agieren zurzeit Norbert Grudzinski, Patrick Ittrich, Matthias Anklam und Sascha Thielert im Profifußball. Meistens bedienen sie die Fahne des Linienrichters. Mit Fifa-Referees hanseatischen Geblüts wie vormals Klaus Ohmsen und Gerhard Schulenburg kann sich der Verband momentan nicht schmücken. Vor rund 15 Jahren hat der letzte Hamburger in der Bundesliga gepfiffen. Damals nominierten noch die einzelnen Landesverbände ihre Besten für den Spielbetrieb im bezahlten Fußball. Inzwischen regiert ein schwer durchschaubares Leistungsprinzip.

Der Aufstieg in den professionellen „Elitebereich“ ist fast allen dadurch verstellt. Nicht, weil sie zu häufig fehlerhaft entscheiden, sondern weil sich die Hautevolee der Referees nach unten abschottet. Nur vereinzelt scheiden bewährte Schiedsrichter aus. Die meisten verteidigen ihren Platz an der Sonne. 120 gehören zum erlesenen Kader für die drei Profiligen, das sind 0,2 Prozent aller deutschen Referees. Es ist wie überall, wo es um größere Beträge geht: Nach oben hin wird die Luft dünn.