Eine 35-Jährige konnte ihren Versuchungen nicht widerstehen und bestellte Bettwäsche, ein PC-Lernspiel, eine Puppe, ein Kosmetikset und einen Boxsack im Internet - ohne dafür zu bezahlen.

Neustadt. Die Augen sind schon rot umrändert. Und die Nase läuft. Beständig tupft sich Natascha I. (Name geändert) mit einem Taschentuch über das Gesicht, mal sanft und vorsichtig, dann wieder mit einer energischen, fast schon ärgerlich wirkenden Geste. Doch es hilft nichts, der Tränenstrom will nicht versiegen. Reichlich viel Trauer wegen einer eher übersichtlichen Summe von insgesamt knapp 350 Euro, möchte man meinen. Doch für die 35-Jährige geht es um sehr viel mehr als um Geld. Die junge Frau bangt um ihre Zukunft, ihre Familie und nicht zuletzt um ihre Freiheit. Denn tatsächlich könnte sie ins Gefängnis wandern – wegen ihrer mangelnden Fähigkeit, Versuchungen zu widerstehen. Und weil sie es irgendwie allen recht machen wollte, koste es, was es wolle.

Was jetzt im Prozess vor dem Landgericht wie ein Mühlstein auf der Seele von Natascha I. zu liegen scheint, war für sie vor gar nicht mal allzu langer Zeit ein leichter, ein müheloser Weg. Ein paar Klicks im Internet, und schon öffnete sich die virtuelle Tür zu Gütern, die sie und vor allem ihre Lieben begehrten. Bei großen Firmen bestellte sie unter anderem Bettwäsche mit einem Motiv aus der Jugend-Fernsehserie Hannah Montana, ein PC-Lernspiel und eine Baby-Annabell-Puppe. Wenige Wochen später orderte sie ein Disney-Kosmetikset und einen Boxsack. Und schließlich kaufte sie über das Netz noch einen Trolley, eine Einkaufstasche und einen pinkfarbenen Rucksack. Insgesamt wurden der Frau Waren im Wert von knapp 350 Euro geliefert, die sie nicht bezahlte. „Ich habe einen schlimmen Fehler gemacht, ich weiß, dass das nicht richtig war“, schluchzt die blonde Angeklagte jetzt mit tränenerstickter Stimme. Dass Leugnen nicht nur zwecklos ist, sondern auch fatale Folgen haben kann, hat sie längst eingesehen. Denn in einem ersten Prozess vor dem Amtsgericht wurde die scheinbar Unbelehrbare wegen dieser Taten zu sechs Monaten Haft verurteilt – ohne Bewährung. Jetzt in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht hofft die Frau auf eine mildere Strafe.

Sie habe eine Tochter sowie eine Nichte und einen Neffen, erklärt Natascha I. dem Gericht. „Ich hatte das Gefühl, ihnen nicht gerecht zu werden. Ich wollte ihnen doch schöne Geschenke machen, die hatten sie sich so sehr gewünscht.“ Zu Weihnachten habe sie ihnen deshalb mit den Spielen und Puppen eine besondere Freude machen wollen. Doch mit ihren damals mageren finanziellen Möglichkeiten als Hartz-IV-Empfängerin sei es einfach nicht drin gewesen. Also bestellte sie die Waren mit falschen Personalien, damit die Rechnungen sie nie erreichen konnten. Bei der Wahl ihrer Alias-Namen ging sie dabei nicht sonderlich fantasievoll vor. Häufig änderte sie lediglich einen Buchstaben, wohl damit ihr die Unterschrift bei der Warenannahme nicht so schwer fällt. Bei Durchsuchungen stellte die Polizei die meisten der Sachen sicher. Die Betrügereien „tun mir sehr leid“, versichert die 35-Jährige und senkt beschämt den Blick.

Schon früher hatte Natascha I. auf ähnliche Methode sich und anderen kleine Freuden ergaunert und ist deshalb in der Vergangenheit auch schon vielfach verurteilt worden. Der Richter verliest frühere Entscheidungen, nach denen sie unter anderem bei Beate Uhse orderte oder auch Tickets für einen Boxkampf mit einem amtierenden Weltmeister per Internet kaufte sowie Geschenkpapier, Kleidung und ein Abonnement für einen kostenpflichtigen Fernsehsender.

„Ich weiß, dass ich Hilfe brauche, damit ich keinen Mist mehr mache“, lautet die vernünftige Erkenntnis der 35-Jährigen. „Mein Mann würde sagen, ich bin kaufsüchtig. Und ich glaube, ich bin der gleichen Meinung. Ich will eine Therapie machen. Und ich habe mittlerweile eine Arbeit, die mir Spaß macht“, ergänzt die junge Frau, die jetzt in der Reinigungsbranche tätig ist. Ihre Pläne für die Zukunft sind bescheiden und vernünftig: Nun wolle sie „mein Leben leben, ordentlich meinem Job nachgehen und für meine Tochter da sein“.

„Sie ist wieder schwach geworden“, nennt der Staatsanwalt ihren Rückfall in alte Gewohnheiten. „Aber sie hat das Problem erkannt und beschlossen, mit Hochdruck daran zu arbeiten.“ Diese Wandlung würdigt auch das Gericht und verhängt statt einer weiteren Bewährungsstrafe eine Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu 20 Euro für die Angeklagte. Das Urteil könne deutlich milder ausfallen als die Amtsgerichts-Entscheidung, erläutert der Vorsitzende Richter. Denn während Natascha I. in der ersten Instanz noch geleugnet habe, habe sie sich jetzt zu ihren Verfehlungen bekannt. „Und das“, betont der Richter, „zahlt sich aus.“