Bürgermeister Olaf Scholz hat den Grundstein für den Energie-Campus gelegt. Das Zentrum soll Impulse für die Windkraft bringen.
Hamburg. Ein kleines, innen helles, außen eher unscheinbares Gebäude soll es werden am Schleusengraben nahe der Autobahn 25 in Bergedorf. Ein Zweckbau, wie er in den Gewerbegebieten deutscher Großstädte jährlich hundertfach entsteht. Aber das neue Haus der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) ist kein Durchschnittsbau. Hier soll von Ende 2014 an eines der besten Forschungszentren für die erneuerbaren Energien in Deutschland seine Arbeit aufnehmen. Deshalb legte Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) den Grundstein für das neue Energie-Campus Hamburg im Bergedorfer Stadtteil Allermöhe am Montag persönlich. Zu den Kosten von 7,5 Millionen Euro für das Projekt steuert die Stadt 3,9 Millionen Euro bei, weitere 3,6 Millionen Euro kommen vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).
Scholz sprach von einem „wichtigen Tag für Hamburg und die Hamburger Wirtschaft“. Forschung und Innovation in diesem Bereich seien unabdingbar, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Hamburg gehe mit dem Energie-Campus einen weiteren Schritt in Richtung „führender Standort für die Erneuerbare-Energien-Branche“.
Die Energiewende in Deutschland begann im Jahr 2000 mit der Vereinbarung zum Atomausstieg zwischen der damaligen rot-grünen Bundesregierung und den Stromkonzernen. Den entscheidenden politischen Schub erfuhr dieses gesellschaftliche Großprojekt aber erst nach der Havarie des japanischen Atomkraftwerks Fukushima im Jahr 2011. Mit dem Antritt der neuen Bundesregierung aus Union und SPD zum Jahreswechsel soll die Energiewende in Deutschland nun auf ein professionelleres Fundament gestellt werden: Die Kosten für die Förderung erneuerbarer Energien wie Windkraft- oder Solarstromanlagen sollen strikt begrenzt werden. Vor allem aber muss die inzwischen weit verzweigte neue Energiewirtschaft nun beweisen, dass sie wirtschaftlich und technologisch in der Lage ist, in absehbarer Zeit ganze Städte und Industrieanlagen überwiegend oder ganz mit erneuerbaren Energien zu versorgen.
Um Wind-, Sonnen- und Wasserkraft, Biomasse und Erdwärme zum Fundament der Energieversorgung in Deutschland zu machen, müssen auch Forschung und Entwicklung in den kommenden Jahren deutlich ausgebaut werden. Die HAW will mit dem Energie-Campus in Bergedorf entscheidende Impulse liefern, um die Energiewende zu verwirklichen: „Der Energie-Campus in Bergedorf soll die Machbarkeit der Energiewende zeigen“, sagt Professor Werner Beba, Leiter des Competence Center für Erneuerbare Energien & EnergieEffizienz (CC4E) bei der HAW. Jahrelang hat er mit seinem Team an den Vorbereitungen für den Bau des Energie-Campus gearbeitet. Die Ziele sind hochgesteckt, die Euphorie der Beteiligten ist groß: „Wir wollen in Bergedorf ein Silicon Valley für die erneuerbaren Energien schaffen. Ziel ist, dass sich rund um das Technologiezentrum des CC4E als Keimzelle zahlreiche weitere Forschungsinstitute und Unternehmen mit eigenen Einrichtungen ansiedeln.“
Hamburg hat sich in den vergangenen Jahren auch durch gezielte Ansiedlungspolitik zum wichtigsten Wirtschaftszentrum für die erneuerbaren Energien in Deutschland entwickelt, besonders für die Windkraftindustrie. In der Hansestadt wuchs die Zahl von Firmenzentralen, Finanzinstituten und Forschungseinrichtungen, die sich mit der Energiewende beschäftigen. Die norddeutschen Nachbarländer Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern entwickelten sich unterdessen zu international führenden Regionen bei der praktischen Anwendung vor allem der Windkraft: beim Aufbau und der Nutzung von Windparks an Land und auf See, bei der Fertigung von Windturbinen und etlichen dazugehörenden Produkten.
Die HAW will mit dem Energie-Campus Hamburg vor allem die Schlagkraft der praxisnahen norddeutschen Forschung bei der Energiewende stärken. Die Windkraft, „intelligente“ Stromnetze – sogenannte smart grids –, die Speicherung von Energie, aber auch Bürgerbeteiligung und -information sind die Schwerpunkte in der Startphase des neuen Technologiezentrums. Später sollen auch die Themen Fotovoltaik, Bioenergie und Elektromobilität hinzukommen. Viele Professoren und etliche Studierende sollen künftig in Bergedorf arbeiten und forschen, zudem werden am Energie-Campus Mitarbeiter der Windkraftbranche fortgebildet: „Der Campus soll gleichermaßen Forschung und Lehre dienen“, sagt Beba. „Von den insgesamt 16.000 Studierenden an der HAW Hamburg beschäftigen sich derzeit bereits 1300 mit erneuerbaren Energien. Diese Zahl dürfte in den kommenden Jahren deutlich steigen. Bei einzelnen Studiengängen aus diesem Themenfeld haben wir zehn Bewerber auf einen Platz.“
Mit dem Start des Zentrums zum Jahresende soll es sofort zur Sache gehen. Die Umsetzung der Energiewende in Deutschland läuft mittlerweile auf Hochtouren. Das Fraunhofer-Institut ISIT und das CC4E bewerben sich gemeinsam mit Unternehmen und mit politischer Unterstützung aus Schleswig-Holstein und Hamburg um das Projekt „Schaufenster Intelligente Energie – Wind“. Es wird vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. In einem Praxisgroßtest soll dabei gezeigt werden, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen kann. „Wir haben ideale Bedingungen“, sagt Beba: „Hamburg ist ein großes Verbrauchs- und Lastzentrum, Schleswig-Holstein ist intensiv engagiert bei der Erzeugung von Strom aus Windkraftanlagen.“
Aus Sicht von Beba geht es jetzt vor allem darum, eine neue Energieversorgung als Gesamtsystem von Erzeugung, Übertragung, Speicherung und Verbrauch zu sehen: „In den vergangenen Jahren ging es vor allem um den Zubau auf der Erzeugungsseite, von Windparks, Solar- oder Biomasseanlagen“, sagt er. „Dem geplanten Ausbaupfad müssen jetzt die entsprechenden Übertragungs- und Verteilnetze folgen, außerdem auch Speicherkapazitäten für die Einspeisung fluktuierender erneuerbarer Energien.“ Aus der Arbeit des CC4E verspricht sich Beba entscheidende Fortschritte auch für die Senkung des Energiebedarfs in Deutschland. Ein wesentliches Thema dabei sind die sogenannten Bedarfsspitzen zu Zeiten, in denen gleichzeitig an vielen Stellen besonders viel Strom verbraucht wird. Wenn es gelingt, diese Spitzennachfrage zu senken, etwa durch eine bessere Abstimmung von Stromerzeugung und -verbrauch, könnte das die Energiewende deutlich voranbringen: „Es ist möglich, Lastspitzen beim Strombedarf zu verringern. Die Erzeugungskapazität kann dadurch sehr deutlich verringert werden“, sagt Beba. „Das würde auch dazu beitragen, den Bedarf an Übertragungsleitungen von Nord- nach Süddeutschland signifikant zu senken.“
Die Arbeit des Energie-Campus soll sich so nah wie möglich an der Praxis orientieren. Ein entscheidendes Element des Projekts ist ein eigener Windpark mit fünf Windturbinen, der etwa 1000 Meter südlich des Technologiezentrums jenseits der Autobahn gebaut werden soll. Dort sollen die Lehrkräfte und Studenten des CC4E die Wirkungsweise von Windturbinen erforschen und auch einen besseren Schutz von Vögeln und Fledermäusen. Vor allem aber soll der Windpark auch wirtschaftliche Erträge aus der Erzeugung und Einspeisung von Windstrom liefern, die dann wieder größtenteils in den Energie-Campus fließen. „Mit unserem Windpark werden wir bis zu 15.000 Bergedorfer Haushalte mit Strom versorgen können“, sagt Beba. „Wenn es uns gelingt, den Windpark obendrein mit dem Pumpspeicherkraftwerk Geesthacht von Vattenfall zu verbinden, dem einzigen in Norddeutschland, dann können wir bis zu 18.000 Haushalte mit Strom versorgen.“
Eine Initiative in Bergedorf hatte versucht, den Bau neuer Windturbinen unter anderem für den Energie-Campus mit einem Bürgerbegehren zu verhindern. Die Hamburgische Bürgerschaft setzte sich aber über das Votum hinweg. Beba und seine Mitarbeiter haben deshalb auch beim Thema Bürgerbeteiligung und Bürgerwiderstand Konfliktpotenzial direkt vor der Haustür. „Wir wollen vor Ort ein Bürgerinformationszentrum einrichten, in dem es um Wissensvermittlung aller Aspekte geht“, sagt Beba. „Wir setzen vor Ort auf eine intensive Einbindung der Bürger in die Arbeit des CC4E.“