Themenwoche lockte 3000 Nerds und Einsteiger nach Hamburg. Experten sehen wachsende Bedeutung der Hansestadt für moderne Kreativität. Das Treffen fand zeitgleich in mehreren Weltmetropolen statt.

Hamburg. Natürlich kann man die Welt, oder wenigstens die eigene Stadt auch ohne Computer und digitale Daten besser machen. Zum Beispiel, indem man Supermärkte bis 23 Uhr öffnen lässt. Für so etwas Praktisches brauche man kein „Big Data“, nicht einmal einen Rechner, sagt ausgerechnet Kai von Luck. Ausgerechnet er, der Informatik-Professor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), der sich selbst als „Nerd“ bezeichnet, als Computerfreak, und der sich seit vielen Jahren mit Projekten zu SmartHome und SmartCity befasst – also mit der Frage, wie man Digitaltechnik für mehr Komfort und Sicherheit im Alltagsleben nutzen kann.

Aber Daten und Technik allein seien eben trotzdem nicht alles, so von Luck. Man müsse auch wissen, was man wolle, welche Bedürfnisse es gebe. Man brauche eine Geschichte, die man erzählen wolle, neudeutsch: eine Story. Und dann schaue man, welche Technik und welche Daten man dafür benötige. Der umtriebige Informatik-Professor hat das auch bei der Social Media Week betont, die am Freitag zu Ende gegangen ist.

Auch die Social Media Week selbst hat sich mittlerweile zu einer schönen Geschichte für Hamburg entwickelt. Fünf Tage lang waren 3000 Nerds und Einsteiger bei der Konferenz zu Gast. Rund 13.000 Anmeldungen hat es zu den mehr als 200 Veranstaltungen gegeben, die sich um die moderne Nutzung von „Social Media“ wie Facebook, Twitter, Xing und Co. drehten. Das Treffen, das zeitgleich in Bangalore, Barcelona, Kopenhagen, Lagos, Mailand, New York und Tokio stattfand, ist mittlerweile die weltgrößte globale Konferenz zum Thema. Schwerpunkte der über die ganze Stadt verteilten Veranstaltungen in Hamburg waren die Auswirkungen von Social Media auf Karriere und Personalsuche, auf das Reiseverhalten, auf die klassischen Medien, aber auch auf die Unterhaltungsindustrie.

Der große Erfolg der Social Media Week, die bereits zum dritten Mal in Hamburg stattfand, ist für Branchenexperten auch ein Indiz dafür, wie stark die Hansestadt mittlerweile im Bereich der modernen Kreativwirtschaft geworden ist. Auch das Hamburger Treffen der „Online Marketing Rockstars“ am vergangenen Freitag, bei dem Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti und andere Internet-Stars Vorträge hielten, unterstreicht diese Entwicklung. Zwar ist Berlin bei den Neugründungen, also in der sogenannten Start-up-Szene deutlich stärker. Nirgends aber verdient die Branche so gut wie in Hamburg.

„Die gute Entwicklung der Social Media Week spiegelt die gute Entwicklung der Stadt wider“, sagt Andrea Frahm aus dem Aufsichtsrat der SMW. Anders als in Berlin, wo die Veranstaltung jeweils im September stattfindet, sei in der Hansestadt auch die Industrie stark beteiligt, Unternehmen wie Tchibo oder Warner Music engagierten sich. Auch die Politik interessiere sich hier deutlich stärker für das Thema als in Berlin. „Was in Hamburg gemacht wird, hat Hand und Fuß“, sagt Frahm. „Wäre schön, wenn Berlin da auch mal so aus dem Quark käme.“

Die Social Media Week habe noch einmal an Qualität gewonnen – „in der Breite des Angebots und in der inhaltlichen Tiefe. Das zu schaffen ist schon außergewöhnlich“, sagt auch der Medienbevollmächtigte des Senats, Carsten Brosda. „Dabei hat diese Woche gezeigt, wie viel Kraft in der digitalen Wirtschaft in Hamburg steckt und wie viele Leute sich engagiert und leidenschaftlich um den digitalen Wandel kümmern.“ Dieser „fröhliche Fortschrittsgeist“ sei die Grundlage dafür, „dass es uns auch hier in Hamburg gelingt, ein erfolgreiches digitales Ökosystem zu bauen“. Den nächsten Schritt gehe der Senat in der kommenden Woche mit dem Start der neuen Medienstandortinitiative. Damit wolle man auch „die Vernetzung zwischen großen Inhaltehäusern, dem digitalen Mittelstand und Start-ups weiter erhöhen“, sagt Brosda. Kernanliegen der Initiative sei die „Unterstützung des digitalen Wandels von Mediengeschäftsmodellen“, sprich: Man will mit nach einer Lösung für die Probleme der klassischen Medien suchen, die durch das Internet immer stärker in Bedrängnis geraten.

Hamburg müsse seine Stellung als „Medienhauptstadt“ aggressiv verteidigen, sagt auch HAW-Professor von Luck. Dazu gehörten Neugründungen und neue Geschäftsmodelle. Um auch international stärker wahrgenommen zu werden, müsse die Stadt aber auch an ihrer „Story“ arbeiten, die Stadt brauche eine Geschichte, die sie attraktiver mache.

„Wenn sich ein junger Mensch in Madrid sagt, dass er sein Glück draußen in der Welt machen will, dann muss er an Hamburg denken“, sagt von Luck. Berlin habe das „arm aber sexy“ gehabt, und heute heiße die Berlin-Story: „Da geht was.“ Hamburg aber habe „Nachholbedarf bei der Art, wie es sich erzählt“.

Dabei gebe es viele gute klassische Motive, die für das Erzählen der „Hamburg-Story“ taugten, so von Luck. Wenngleich die Geschichte der Reeperbahn als „sündigste Meile der Welt“ heute aufgrund der Veränderungen auf dem Kiez nicht mehr im ursprünglichen Sinne funktioniere, so eigne sich das klassische „Tor zur Welt“ immer noch als Grundlage. Wenn man von einer Kaufmannsstadt spreche, habe das ja immer zwei Seiten: Einmal denke man an das Krämerische. Andererseits aber auch an das Weltoffene. Daran, dass die Kaufleute ihre ältesten Söhne immer für längere Zeit zum Arbeiten nach Übersee schickten und diese dann die Welt mit nach Hause brachten. „Eine Stadt braucht Mythen“, sagt der HAW-Professor. „Wenn wir unsere Mythen zu einer guten Story weben, dann lässt sich diese ideal über das soziale Internet verbreiten. Zum Nutzen der ganzen Stadt.“

An der HAW arbeiten der Informatiker und seine Studenten aus diesem Motiv heraus an einem Patenprogramm. „Wichtig für die internationale Attraktivität ist immer, dass da schon Leute leben, die meine Sprache sprechen, die meine Kultur kennen“, sagt von Luck. Um Hamburg für Studenten zum Beispiel aus Peru oder Portugal interessant zu machen, sollen dabei über Social Media Patenschaften von bereits hier lebenden Landsleuten für mögliche Zuzügler übernommen werden. Sie können dann beim Erwerb der Aufenthaltserlaubnis oder der Suche nach Wohnungen suchen – und sie können dafür sorgen, dass die Neu-Hamburger sich nicht zu lange allein in der neuen Stadt fühlten. „Wir müssen eine Stadt sein, in der niemand Angst vor verregneten Sonntagen hat“, sagt von Luck – weil es für jeden genug zu erleben gebe, und jeder sich in einer eigenen Gruppe aufgehoben fühlen könne.

Langfristig sei es bei all dem nicht gut für Hamburg, mit Berlin zu konkurrieren. „Wir denken noch zu regional, das ist ein Fehler“, sagt von Luck. Die beiden Städte seien nur noch anderthalb Zugstunden auseinander und müssten längst als gemeinsame Metropolregion gesehen werden. „Wir sind näher aneinander als New York und Boston. Ein Gegeneinander bringt da nichts. Das schadet sonst beiden Städten.“

Allerdings gehe es auch nicht nur um die Story, so von Luck, sondern auch um die intelligente Nutzung der Technik im Sinne aller Bürger. „Wenn ich zum Beispiel eine kaputte Gehwegplatte in der Stadt sehe, warum kann ich das nicht einfach per Smartphone an die Verwaltung melden?“, fragt der Berufs-Nerd. Nach seiner Wunschvorstellung soll die Verwaltung solche Meldungen aber nicht nur einfacher entgegennehmen, sondern ihre Bearbeitung „tracken“, sprich: Wie bei der Nachverfolgung einer Paketsendung sollen die Bürger online sehen, in welchem Bearbeitungsstand ihr Hinweis gerade ist und wann die Wegplatte repariert wird. Damit sie im Zweifel auch beim nächtlichen Weg zum geöffneten Supermarkt nicht darüber stolpern – und ganz analog auf die Nase fallen.

Viele der mehr als 200 Veranstaltungen der Social Media Week wurden aufgezeichnet. Die Videos sind weiterhin verfügbar unter http://socialmediaweek.org/hamburg/. Folgen Sie dem Autor bei Twitter unter @jmwell.