Es gibt Hoffnung für die lettischen Armutsflüchtlinge, denen das Jugendamt die kleine Tochter Miranda wegnahm. Das Deutsche Rote Kreuz will ein Hotelzimmer für sie mieten.
Hamburg. Sie schmusen, küssen sich, strahlen. Kristine P., 27, und ihr Partner Ruslans K., 30, können aufatmen: Schon bald sollen die Armutsflüchtlinge aus Lettland ihre neun Tage alte Tochter Miranda zu sich nehmen dürfen. Erst am Dienstag hatte das Jugendamt Hamburg-Mitte der Mutter das Kind entzogen – weil sie im Winternotpogramm untergebracht ist. Jetzt will das Deutsche Rote Kreuz (DRK) die Eltern aus der Obdachlosigkeit holen. Ruslans und Kristine können zwar kaum Deutsch. Ein Wort für ihr aktuelles Gefühl kennen sie aber: „Glücklich!“
Seit Dienstag wird Baby Miranda in der Kindernotunterkunft an der Feuerbergstraße betreut. Nur zweimal täglich, jeweils für drei Stunden, dürfen die Eltern ihr Kind sehen. Doch jetzt will das Deutsche Rote Kreuz (DRK) ein Hotelzimmer für die Familie anmieten – und geordnete Verhältnisse sind die Voraussetzung dafür, dass Kristine und Ruslans ihr Baby wiederbekommen.
„Ich war von dem Fall sehr gerührt“, sagt Harald Krüger, Chef des Harburger DRK. Das Zimmer in einem Mittelklassehotel in Harburg werde man zunächst für vier Wochen bezahlen, dazu erhält das Paar 1000 Euro Unterstützung. Außerdem will das DRK bei Behördengängen helfen, Windeln und Kleidung für das Baby stehen schon bereit. „Wichtig ist, dass der Vater rasch Ersatz für seinen verlorenen Pass bekommt. Damit er schnell eine Arbeit annehmen kann“, sagt Krüger.
Die Geschichte des lettischen Paares steht für die Geschichte vieler EU-Armutsflüchtlinge. Innerhalb der Europäischen Union gilt Freizügigkeit, EU-Bürger dürfen ihren Arbeits- und Wohnort frei wählen. Insbesondere für Mittellose aus Osteuropa ist die Flucht ins Ausland häufig der einzige Weg aus der Armut – auch wenn sie weder auf Arbeit noch auf Sozialleistungen hoffen dürfen. Die Sehnsucht nach einem besseren Leben hat die gelernte Schneiderin Kristine und Ruslans, der keinen Schulabschluss hat, bewogen, die lettische Hauptstadt Riga zu verlassen und sich im Sommer 2013 Arbeit in den Niederlanden zu suchen. „Keine Perspektive“, sagt Ruslans. So ergehe es vielen seiner Landsleute.
Im niederländischen Vlaardingen ist es Kristine, die das Paar als Erntehelferin ernährt. Ruslans darf nicht arbeiten, er hat seine Papiere kurz nach der Einreise verloren. Als die Schwangerschaft nicht mehr zu verbergen ist, wird Kristine entlassen und ist ihre Bleibe los. Das Paar, Kristine ist im sechsten Monat, muss auf Bahnhöfen schlafen, wird von der Polizei vertrieben. In der Hoffnung auf Hilfe flüchten sie Ende November nach Hamburg – ohne zu ahnen, dass EU-Bürger auch in Deutschland keine Sozialleistungen beziehen. Dort landen sie gleich in der Obdachlosenunterkunft an der Spaldingstraße.
In dieser Zeit nimmt die Sozialbehörde Kontakt zu Kristine und Ruslans auf. Eine Unterbringung kann sie dem Paar zwar nicht bieten, aber ein paar „kreative Lösungen“, über die die Behörde nicht im Detail sprechen möchte. Doch die Letten hätten jede Hilfe abgelehnt, sagt Behördensprecher Marcel Schweitzer, sie hätten sich „selbst um alles kümmern wollen“. Geregelt ist aber auch Monate später nichts.
Am 13. Februar kommt ihre Tochter Miranda zur Welt. Weil sie keinen festen Wohnsitz angeben können, verständigt das Marienkrankenhaus das Jugendamt Mitte, so verlangen es die Vorschriften. Und Kinder dürfen aus Schutzgründen nicht im Winternotprogramm untergebracht werden. Das Amt nimmt Miranda in Obhut und bringt es zur Feuerbergstraße. Für Kristine ist die Kindesentziehung auch deshalb ein Dilemma, weil sie ihr Baby nicht so häufig stillen kann, wie sie müsste. Die junge Mutter muss nun Medikamente nehmen, die den Milchfluss drosseln.
Um solche Situationen zu vermeiden, fordert die Obdachlosenzeitung „Hinz & Kunzt“ seit Langem Unterkünfte für obdachlose Familien, ebenso wie die Kirche und die Linkspartei. Cansu Özdemir, sozialpolitische Sprecherin der Linken, will jetzt mit einer Senatsanfrage unter anderem herausfinden, wie viele Inobhutnahmen es seit Beginn des Winternotprogramms gegeben hat. Man wolle dem Paar helfen, wo es geht. Am Montag werde eine Muttersprachlerin die Eltern zum Jugendamt begleiten. Krüger, der die Zustände in Riga gut kennt, weiß auch, dass das Paar in Deutschland keine rosige Perspektive hat: „Vielleicht sind sie am Ende doch gut beraten nach Lettland zurückzukehren, Dort haben sie wenigstens Familie.“