Social Media Week, IT-Gipfel und neue Digitalstrategie des Senats: 2014 ist Hamburg in Sachen Internet auf dem Vormarsch. Schon jetzt verdient die Kreativbranche nirgends in Deutschland so gut.
Es gibt neuerdings diese verwegene These, das Internet mache glücklich. Zwei Studien der FU Berlin haben dafür neue Hinweise geliefert.
Die eine konnte belegen, dass positive Reaktionen auf eigene Facebook-Postings so ähnlich im Gehirn wirken wie gutes Essen, Sex oder ein persönliches Lob. Die andere hat gezeigt, dass die Nutzung von Facebook Einsamkeitsgefühle minimiert.
Die Hamburger zählen ja laut unterschiedlicher Erhebungen sowieso schon zu den glücklichsten Menschen im Lande. Glaubt man der Internetthese, könnten sie bald noch glücklicher werden. Denn im Jahr 2014 zeichnet sich ein digitaler Aufbruch in der Stadt ab.
Im Oktober lädt Kanzlerin Angela Merkel zum IT-Gipfel in die Handelskammer Hamburg. Die Vorbereitungen laufen schon jetzt in unterschiedlichen Arbeitsgruppen.
Demnächst stellt der Senat seine neue Strategie zur Förderung der Digitalwirtschaft vor.
Und vom 17. bis 21. Februar werden mehr als 4000 Besucher zur Social Media Week in Hamburg erwartet.
Jede zehnte Stelle wird über Social Media besetzt
Diese weltgrößte globale Konferenz rund um Facebook, Twitter, Xing, Youtube und Co. findet zeitgleich auch in Bangalore, Barcelona, Kopenhagen, Lagos, Mailand, New York und Tokio statt. In keiner der anderen Teilnehmerstädte aber wurden so viele Veranstaltungen angemeldet wie in Hamburg, wo es verteilt über die Stadt mehr als 200 Vorträge und Diskussionsrunden geben wird. Etwa 100 davon sollen im Internet übertragen werden.
Dabei geht es etwa darum, wie Internet-Portale wie Xing oder Linkedin unsere Karrierechancen erhöhen und wie Firmen am klügsten nach Fachpersonal im Netz suchen sollten. Laut „Social Media Recruiting Report“ wurde im vergangenen Jahr bereits jede zehnte Stelle mit Hilfe von Social Media neu besetzt.
Diese Art der Personal-Suche rangiert damit jetzt auf dem dritten Platz hinter Stellenanzeigen in Online-Jobbörsen und denen auf der eigenen Unternehmensseite im Internet. Der Anteil der Firmen, die bei Xing, Facebook und Co. neue Mitarbeiter suchen, hat sich laut der Studie seit 2010 von 22 Prozent auf 49 Prozent mehr als verdoppelt.
Wie beeinflusst das Internet unser Leben?
Es wird bei der Social Media Week aber auch gezeigt, wie das Internet unsere Art des Reisens verändert, welche Rolle Internetplattformen künftig in der Medizin und Patientenbetreuung spielen könnten – oder wie wir in Zeiten des Großen Bruders Obama unsere Daten schützen sollten.
Es gibt Schnellkurse für Eltern, die endlich verstehen wollen, wie ihre Kinder im Netz kommunizieren. Schüler können einen Social-Media-Führerschein erwerben und Jugendliche den Bau kleiner Roboter erlernen.
Zugleich bieten Experten Sprechstunden zur optimalen Gestaltung von Online-Bewerbungen oder Xing-Profilen an.
Bei der Veranstaltung mit dem Namen „Facebook and the brain“ geht es auch um die eingangs zitierten Studien, wie soziale Netzwerke das menschliche Wohlbefinden beeinflussen können.
Zudem wird diskutiert, wie Städte mithilfe des Netzes besser organisiert werden können und wie sich das Wohnen verändert – wenn etwa die Matratze die Menschen künftig genau in der für das Aufwachen optimalen Schlafphase weckt oder der leere Kühlschrank Wurst, Käse und Milch selbstständig online nachbestellt.
Veranstaltung mit „Festival-Charakter“
„Wir wollen mit der Social Media Week sowohl Internet-Profis als auch private Nutzer und Einsteiger ansprechen“, sagt Sabine Ewald, Organisatorin des Hamburger Treffens.
„Viele Nutzer sind unsicher im Umgang mit Internet und Social Media. Wir wollen Anregungen schaffen, sich mit diesen neuen Medien auseinanderzusetzen. Das Ganze soll, wie schon in den vergangenen Jahren, eher Festival-Charakter habe und auch Spaß machen.“
Die enorme Resonanz auf die Social Media Week ist aber nur ein Indiz für die wachsende Bedeutung Hamburgs in der Branche. Allein in den vergangenen zwei Jahren ist die Zahl der Firmen in diesem Bereich in Hamburg um fast 400 auf 9648 gestiegen.
Mit Berlin kann Hamburg in punkto kleiner Neugründungen (neudeutsch: Start-ups) zwar beim besten Willen nicht mithalten. In einem entscheidenden Punkt allerdings liegt die Elbmetropole vor der Bundeshauptstadt.
Hamburger Start-ups sollen gefördert werden
„Nirgendwo in Deutschland arbeiten Unternehmen der Kreativwirtschaft profitabler als hier“, sagt Carsten Brosda, Medienbevollmächtigter des Senats. „Das sorgt dafür, dass unternehmerische Netzwerke und Strukturen entstehen, die nachhaltig sind.“
Mit einer neuen Standortinitiative für die Medien- und Digitalwirtschaft wolle der Senat „die Vernetzung zwischen großen Inhaltehäusern, dem digitalen Mittelstand und Start-ups weiter erhöhen“, sagt Brosda.
Kernanliegen der Initiative ist die „Unterstützung des digitalen Wandels von Mediengeschäftsmodellen“, sprich: Man will mit nach einer Lösung für die Probleme der klassischen Medien suchen, die durch das Internet immer stärker in Bedrängnis geraten.
Die neue Initiative ist eine Weiterentwicklung der 1997 gemeinsam von Wirtschaft und Stadt gegründeten Initiative Hamburg@work. Auch sie wird durch Senatskanzlei, Wirtschaftsförderung und den Verein Hamburg@work getragen.
Dieser ist nach eigenen Angaben mit mehr als 2500 Mitgliedern aus mehr als 650 Unternehmen der digitalen Wirtschaft „das bundesweit größte Netzwerk der Branche“. Die Initiative bekommt knapp eine Million Euro von der Stadt und wird in ähnlicher Höhe durch den Verein finanziert.
„Kreativität trifft Kaufmannsgeist“
Auch Stephan Uhrenbacher, Gründer des Bewertungsportals Qype (heute: Yelp) und der Ferienwohnungs-Plattform 9flats, verweist darauf, dass die Kreativbranche in der Hansestadt deutlich mehr Geld verdient als im Rest der Republik.
Uhrenbacher hat deswegen für die Hamburger Szene das Motto „Kreativität trifft Kaufmannsgeist“ geprägt. „Hamburg hat zwar nicht diesen Berlin-Mitte-Nimbus, und hier wird auch nicht so viel geredet, aber es sitzen die größten Unternehmen der Branche in der Stadt.“
Dazu zählten der weltweit erfolgreiche Internetseitenanbieter Jimdo, Firmen wie Goodgames, Bigpoint oder Qype, Online-Partnervermittler wie Parship oder ElitePartner, und letztlich müsse man auch den Versandhändler Otto dazuzählen – nach Amazon immerhin der zweitgrößte E-Commerce-Händler der Welt.
Uhrenbacher, der in den 90er-Jahren die „Geo“-Internetseite und die Reiseplattform TravelChannel für Gruner + Jahr entwickelt hat, sieht einen Pluspunkt Hamburgs auch in der Stärke der alten Medien, aus denen heraus sich hier viel Neues entwickelt habe.
„Das Umfeld ist in Hamburg sehr gut“, sagt er. „Es ist ja kein Zufall, dass Google und Facebook ihre Zentralen hier angesiedelt haben und nicht in Berlin. Mittlerweile begreift man auch im Rathaus, welches Potenzial in der Branche steckt, und dass es nicht immer nur um ein paar Meter neue Kaimauern geht. Die vielen Anmeldungen für die Social Media Week machen ja auch noch einmal klar, wie viele Menschen hier mittlerweile in der Kreativbranche unterwegs sind.“
Hamburg hat die optimale Mischung
Für Branchenkenner und Berater Nico Lumma hat Hamburg im Vergleich mit anderen Städten den besten Unternehmens-Mix für ein Gedeihen der Kreativbranche. „Berlin hat viele Internetfirmen, München wenig Werbeagenturen, wir haben hier eine optimale Mischung aus IT-Unternehmen, Internetfirmen, Medienhäusern und Werbe-Agenturen.“
Hamburgs digitale Dynamik zeige sich überall, so Lumma. „Otto erfindet sich mit dem Projekt Collins im laufenden Betrieb gerade neu, rund um das Thema Mobile entsteht mit Firmen wie Apprupt, Apploft, TapUnit und anderen eine völlig neu Branche, aber auch die Agenturszene entwickelt sich weiter und führt die Kreativ-rankings an.“
Ein positives Signal für die Branche war zuletzt auch die Rettung des finanziell angeschlagenen betahauses in Altona, einem sogenannten Coworking Space.
Freischaffende Kreative aller Branchen und Start-ups können sich dort im Großraum einen Arbeitsplatz mieten. Durch das gemeinsame Arbeiten sollen Netzwerke, Inspiration und Ideen entstehen.
Nachdem das betahaus im vergangenen Jahr Insolvenz anmelden musste, wurde es durch eine Finanzspritze von Xing und Qype-Gründer Uhrenbacher wieder flott gemacht.
Strahlkraft über die Stadt hinaus
„Es wird in Hamburg in absehbarer Zeit sicherlich keinen Start-up-Hype in Berliner Umfang geben“, sagt der neue Geschäftsführer des betahauses, Lars Brücher. „Aber es gibt erfolgreiche Impulse aus der Szene und der Politik, dem Start-up-Standort Hamburg Sichtbarkeit zu verleihen.“
Die Unterstützung des Neustarts sei ein Beispiel dafür, dass man zunehmend als Standort denke. „Und die derzeit sehr konkrete Planung für einen Umzug in eine größere Immobilie mit Start-up-Räumen zeigt, dass das Thema Fahrt bekommt.“
Dazu trage auch die Social Media Week bei. „Sie ist bisher eines der wenigen Formate in der Stadt, die es hinbekommen, viele Institutionen und Macher für eine Sache zusammenzubekommen und etwas mit Sinn und Strahlkraft über die Stadt hinaus zu schaffen“, sagt Brücher. „In die Richtung müssen wir alle weiter arbeiten.“
Die Teilnahme an den Veranstaltungen der Social Media Week ist kostenlos. Allerdings muss man sich anmelden. Alle Infos unter http://socialmediaweek.org/hamburg/
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